Beziehung in Zeiten von Brexit und Corona
Seit Dezember ist in England nichts mehr, wie es war: Lockdown, mutierter Coronavirus und der Brexit. Die Harburgerin Cathrin Gros erlebt das gerade vor Ort mit – und lässt sich den Optimismus nicht nehmen
Über eine schwäbisch-britische Beziehung in Zeiten von Brexit und Corona berichten wir in unserer heutigen Ausgabe.
Harburg/Bristol Es ist noch keine vier Wochen her, da ist Cathrin Gros ziemlich überstürzt nach Bristol aufgebrochen. Weil sich in Deutschland ein harter Lockdown abzeichnete, buchte sie ihren Flug nach London um und flog eine Woche früher als geplant nach Großbritannien zu ihrem Lebenspartner. Zu groß war die Sorge, das lang ersehnte Wiedersehen müsste noch länger aufgeschoben werden. Es klappte, die Freude war erst einmal groß.
Dass innerhalb der nächsten vier Wochen die Weltöffentlichkeit mehr als einmal sorgenvoll auf die Pressekonferenzen des Regierungschefs Boris Johnson schauen würde, war da noch nicht abzusehen. Doch so kam es: Impfstart mit Notzulassung der Vakzine, das mutierte Coronavirus und der Brexit haben das tägliche Leben der Briten und der Europäer massiv beeinflusst – und werden es weiter tun.
Gros sitzt in der Wohnung ihres Freundes Harry Hunter und blickt über die Dächer Bristols bis zum Hafen. „Uns geht es gut hier, wir merken von all den Dingen draußen eigentlich gar nicht so viel“, sagt die 33-Jährige, die aus Harburg stammt und heute in Donauwörth lebt. Viele ihrer Bekannten und Freunde fragen sie nach Corona, der Impfung oder dem Brexit und was das jetzt für sie und ihren Freund bedeutet. „Es ist klar, dass irgendwie alles ziemlich kompliziert ist.“Aber sie macht sich keine Sorgen, dass ihre privaten Pläne wirklich ins Wanken geraten.
Vor ihr steht ihr Laptop, ein mittlerweile ganz normaler Tag am Heimarbeitsplatz – jetzt im EUAusland. Dank ihres großzügigen Arbeitgebers und der digitalen Technik kann sie im mobilen Office arbeiten – von Bristol aus beantwortet sie die Anrufe ihrer Kollegen und Kunden aus Deutschland und verschiedenen Teilen der Welt – ihr Arbeitsalltag ist ohnehin sehr international. Bis auf die fehlenden Kollegen läuft die berufliche Welt daher eher in normalen Bahnen, während sich draußen vor der Haustür seit ihrer Ankunft am 13. Dezember die Ereignisse überschlagen haben.
Nach zehn Tagen Quarantäne – das war damals die Auflage für Reisende aus Deutschland – durfte sie eigentlich wieder raus. Bristol ist
bunte Stadt mit viel Kunst, schönen Cafés und besonderen Geschäften. Doch mittlerweile bestimmt die Nachricht über das mutierte Coronavirus in Großbritannien die Öffentlichkeit. Ab Weihnachten sollte es eigentlich eine Lockerung der Auflagen geben, doch das Gegenteil ist der Fall. Das Warnsystem in Großbritannien – bisher hatte es drei Stufen – erhält eine vierte, und ganz Schottland und der Südosten der Insel stecken quasi im harten Lockdown.
Die Rückreise über Weihnachten nach Deutschland wäre nicht möglich gewesen, denn alle Flüge werden erst einmal gestoppt. Ihren geplanten Heimflug hat sie auf Ende Januar verschoben – Stand heute darf sie ihn antreten. Allerdings ist die Auflage, nur mit negativem Testergebnis, das nicht älter als 48 Stunden sein darf, ins Flugzeug zu steigen, ein organisatorischer Drahtseilakt. Denn auch in Großbritannien ist eine Testung kein Selbstläufer, und die Wartezeit auf ein Ergebnis teilweise sehr lang. Ihr
Selbsttest nach der Ankunft, der per Post in ein Labor gesandt und angeblich nach 24 Stunden ein Ergebnis bringen sollte, war im vorweihnachtlichen Chaos verloren gegangen.
Die Familie ihres Freundes lebt dort, wo sich das neue, ansteckendere Virus schnell verbreitet. Die Weihnachtsfeiertage waren deshalb ohne große Geselligkeit, die die Briten lieben. „Dort wechseln die Menschen die Straßenseite, wenn beim Spazierengehen jemand entgegenkommt“, erzählt Gros. In Bristol sei das noch nicht so extrem. „Da merke ich die Unterschiede zwischen Stadt und Land.“
Seit 4. Januar sind landesweit alle Läden und Schulen geschlossen, Treffen mit einer haushaltsfremden Person sind anders als in Deutschland nur draußen möglich. Dafür gibt es keine nächtliche Ausgangseine sperre. Haben die Briten angesichts der mutierten Variante mehr Angst? „Ich glaube nicht. In Deutschland hat es mehr schockiert“, sagt Gros. Zumal es vor Ort schwieriger sei, Zahlen zu Inzidenzwerten für Regionen oder Städte zu erfahren – in Großbritannien steht das deutlich weniger im Fokus der Nachrichtenportale, auch wenn immer neue, landesweite Höchstwerte gemeldet werden.
Deutlich mehr bewege die Briten ein anderer Aspekt der Pandemie: das Impfen. Das sei irgendwie immer Thema. „Es ist spürbar, dass die Menschen hier große Hoffnung in die Impfung setzen“, erzählt die junge Frau. Deshalb war auch das gewagtere Verfahren mit der Notzulassung für die Briten keine große Sache. Vielmehr halte man sich an dem Versprechen aufrecht, dass bis April alle durchgeimpft sein sollen – auch ihr Freund Harry soll dann die Spritze erhalten haben.
Und der Brexit? Ist eine Erleichterung zu spüren, dass er endlich durch ist? „Manche sagen, wir sind nun in der langen Phase des EUWiedereintritts“, sagt Cathrin Gros und lacht. Viele Briten zeigen gegenüber der Regierung eine deutliche Resignation, so ihre Erfahrung. Es gäbe nicht wenige, die bei einem Kennenlernen gleich klarstellen, sie seien nicht für den Brexit gewesen. „Das liegt nicht daran, dass ich Deutsche bin, sondern weil das Thema sie in ihrem Nationalstolz kränkt“, bewertet die 33-Jährige die Situation.
Für sie persönlich und als Paar macht der Brexit das Leben bürokratischer. Dass die Einreise nur noch mit Reisepass geht, sei das Geringste. Der Plan war, dass ihr Freund demnächst nach Deutschland zieht. Aktuell könne aber niemand sagen, was dafür nötig ist und wie das konkret laufen kann. „Wir sind in einer Abwartesituation“, sagt Gros. „Das ist anstrengend. Aber irgendwann geht es immer irgendwie weiter. Ganz generell: Ein bisschen Optimismus muss man in der aktuellen Situation schon behalten.“
Treffen mit anderen Leuten sind nur draußen möglich