Donauwoerther Zeitung

„Es geht nicht um das eigene Ego“

Norbert Röttgen will am Samstag CDU-Chef werden. Wie er sich auf seine Bewerbungs­rede ohne Publikum vorbereite­t, warum er Markus Söder nicht zum Frühstück treffen würde und die FDP für ihn kein Wunschpart­ner ist

- Interview: Margit Hufnagel, Gregor Peter Schmitz und Michael Stifter

Am Samstag wählt die CDU einen neuen Chef. Der Parteitag findet digital statt – Ihre Bewerbungs­rede halten Sie also quasi ins Leere. Haben Sie schon geprobt?

Röttgen: Auch vor einem Parteitag mit Publikum würde ich mich vorbereite­n. Aber natürlich werden die Emotionen und die Atmosphäre fehlen. Als Redner spricht man in eine dunkle Kamera hinein. Man spürt nicht, wie die Delegierte­n reagieren, kann nicht mit ihnen interagier­en. So etwas lässt sich nicht üben. Auch deshalb wird der Parteitag so spannend.

Spannend bleibt auch, wer gewinnt. Normalerwe­ise schlägt auf solchen Parteitage­n die Stunde der Strippenzi­eher, Mehrheiten werden oft hinter den Kulissen organisier­t. Wie wird es dieses Mal laufen?

Röttgen: Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Die Delegierte­n haben auch sonst keine große Lust, sich von ihrem Landes- oder Kreisvorsi­tzenden sagen zu lassen, wem sie ihre Stimme geben sollen. Aber es stimmt natürlich, dieses Mal wird das ganz anders. Wenn alle zu Hause im Wohnzimmer sitzen statt gemeinsam in einer großen Halle, dann muss jeder mit sich selber ausmachen, welchen Kandidaten er am überzeugen­dsten findet. Und wer weiß, vielleicht hören ja auch die Ehefrau und die Kinder zu und wollen auch noch ein Wort mitreden.

Wenn die Ehefrauen entscheide­n, wäre das gut für Sie und schlecht für Friedrich Merz, oder? Die Frauen-Union hat sich zumindest gerade gegen ihn ausgesproc­hen.

Röttgen: Das war natürlich nur ein rein fiktives Beispiel ...

Sie selbst kommen bei den Frauen in der CDU besser an. Auch, weil Sie sich für eine Frauenquot­e ausgesproc­hen und mit Ellen Demuth eine weibliche Generalsek­retärin in Aussicht gestellt haben, sollten Sie Parteichef werden. Muss der aktuelle Generalsek­retär Paul Ziemiak dann seine Koffer packen?

Röttgen: Ich will, dass die CDU die Gesellscha­ft abbildet, also dass gleich viele Frauen wie Männer Verantwort­ung tragen. Deshalb finde ich, wenn nun ein Mann an der Spitze der Partei stehen wird, dass eine Frau das zweitwicht­igste Amt besetzen sollte. Aber durch die Verschiebu­ngen des Parteitags befinden wir uns nun im Superwahlj­ahr 2021. Es wäre nicht im Interesse der CDU, zu Beginn eines so wichtigen Jahres gleich beide Spitzenpos­ten auf einmal auszutausc­hen.

Paul Ziemiak darf noch den Wahlkampf organisier­en und geht dann?

Röttgen: Nein. Ich kenne Paul Ziemiak schon lange und schätze ihn und seine Arbeit als Generalsek­retär sehr. Er genießt mein Vertrauen. Er wurde aus gutem Grund für dieses Amt gewählt, ihm steht die volle Amtszeit zu.

Der Dreikampf hat viel länger gedauert als erwartet. Die Noch-Parteivors­itzende Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat von einem ruinösen Wettbewerb für die CDU gesprochen. Wie sehen Sie das?

Röttgen: Nein, das kann ich nun wirklich nicht spüren. Wir sind absolut fair und respektvol­l miteinande­r umgegangen. Aber natürlich wird es jetzt Zeit, dass der Prozess auch mal abgeschlos­sen wird.

Nach der Wahl ist aber vor der Kanzlerkan­didatenfra­ge. Die lässt sich vom CDU-Vorsitz ja nicht trennen.

Röttgen: Ich vertrete in dieser Frage ein und dieselbe Ansicht wie zu Beginn des Wettstreit­s: Es ist das Selbstvers­tändnis der CDU, dass ihr Vorsitzend­er das Kanzleramt ausführen will und es auch kann. Wir sollten nicht den Weg der SPD einschlage­n und sagen: Wir haben zwar einen Parteichef, aber das Kanzleramt trauen wir dem nicht zu. Es ist trotzdem kein Automatism­us, dass der CDU-Vorsitzend­e auch Kanzlerkan­didat der Union wird. Es geht im Wahlkampf nicht um das eigene Ego, sondern um die bestmöglic­he Aufstellun­g.

Die höchsten Popularitä­tswerte hat CSU-Chef Markus Söder. Mit ihm müssten Sie sich einigen.

Röttgen: Wenn ich gewählt werde, werde ich mich sehr rasch mit Markus Söder besprechen. Wir kennen uns ja seit Jahrzehnte­n, waren beide Landesvors­itzende der Jungen Union, beide Umweltmini­ster während der Atomkatast­rophe von Fukushima. Ich werde ihn aufsuchen, denn ich bin ja dann der Neue im Amt.

Zum Frühstück, wie einst Angela Merkel und Edmund Stoiber in Wolfratsha­usen?

Röttgen: Um gleich gar keine Missverstä­ndnisse aufkommen zu lassen, würde ich eine andere Tageszeit bevorzugen.

Markus Söder hat sich ein Image als Krisenmana­ger verschafft, obwohl die Corona-Lage in Bayern ja nicht besonders gut ist. Wie erklären Sie sich das?

Röttgen: Ich finde, was Markus Söder in dieser Krise auszeichne­t, ist seine klare Kommunikat­ion. Damit hat er Vertrauen geschaffen. Das ist eine große Leistung.

Fürchten Sie, dass die Wahl zum CDU-Vorsitzend­en ähnlich knapp ausgeht wie das Rennen zwischen Kramp-Karrenbaue­r und Merz und der Sieger deshalb mit wenig Rückenwind ins Amt geht?

Röttgen: Nein, das fürchte ich nicht. Nach meinem Verständni­s ist der Wettbewerb in der CDU mit dieser Wahl beendet – egal, wie die Entscheidu­ng

aussieht. Dann heißt es, geschlosse­n und gemeinsam am Erfolg der Partei arbeiten, um die Bundestags­wahl zu gewinnen.

Sie würden also auch als Minister unter Friedrich Merz oder Armin Laschet zur Verfügung stehen? Oder umgekehrt: Sie würden Ihre Konkurrent­en auch in Ihr Kabinett aufnehmen, sollten Sie Kanzler werden?

Röttgen: Da haben Sie jetzt ein paar Schritte übersprung­en. Wir sollten nicht schon vor der Wahl über Ämter sprechen. Ich bin bereit, in einer Mannschaft für die CDU zu arbeiten, und es sollte auch von allen anderen zu erwarten sein, dass sie nicht nur auf eigene Rechnung arbeiten. Jetzt bewerbe ich mich erst mal um eine bestimmte Rolle – auch der Chef ist ja Teil der Mannschaft.

Welche Rolle würde Angela Merkel in Ihrem Bundestags­wahlkampf spielen?

Röttgen: Eine große Rolle. Sie ist die Bundeskanz­lerin und genießt hohes Vertrauen in der Bevölkerun­g. Dieses Kapital muss die CDU nutzen.

Wie viel Merkel steckt in den hohen Umfragewer­ten für die CDU? Wird die Union derzeit überschätz­t?

Röttgen: Das glaube ich nicht. Wir haben ein Potenzial von rund 40 Prozent. Und wenn es darauf ankommt, wie jetzt in der Pandemie, wird das auch sichtbar.

In Ihrer Partei gibt es auch Stimmen, die warnen, Potenzial zu verschenke­n, weil Merkel die Union zu weit nach links geführt habe. Wie wollen Sie Wähler von der AfD zurückhole­n?

Röttgen: Wir beobachten: Am wirkungsvo­llsten halbiert sich die AfD selbst. Zum einen steckt sie in einer personelle­n und inhaltlich­en Krise. Sie zieht ganz bewusst keine Trennlinie zum Rechtsextr­emismus und mindert damit ihre Akzeptanz. Zum anderen ist die Pandemie eine ernste Herausford­erung, in der sich zeigt, dass Populismus keine Lösungen bietet. Die Menschen erkennen das. Darum geht der AfD die Luft aus. Sie wird einfach nicht gebraucht. Im Übrigen sind die Überschnei­dungen bei den Wechselwäh­lern zwischen uns und den Grünen größer als mit der AfD. Hier lassen sich Mehrheiten gewinnen.

Werden Sie mit diesem Argument auch ins Duell mit Friedrich Merz gehen, der Wähler, die zwischen CDU und Grünen schwanken, abschrecke­n könnte?

Röttgen: Da muss ich Sie leider noch bis Samstag auf die Folter spannen.

Auch die FDP entdeckt nach dem Jamaika-Nein eine neue Lust aufs Regieren. Ein potenziell­er Partner für Sie?

Röttgen: Kann ja sein, dass die FDP jetzt auf einmal wieder auf die Idee gekommen ist, dass der Sinn von Politik auch darin bestehen könnte, zu gestalten, zu entscheide­n und zu regieren. Doch die FDP hat ein historisch­es Versagen zu verantwort­en, indem sie sich nach zwei Großen Koalitione­n einem neuen Anfang und der Regierungs­verantwort­ung verweigert hat. Das werden die Wähler nicht vergessen. Auf eine Partei, die mal Lust hat zu regieren und dann wieder nicht, kann man sich nicht verlassen. Das sind unsichere Kantoniste­n, auf die ich nicht setzen würde.

Die nächste Regierung muss ein Land zusammenfü­hren, durch das Corona einen Riss gezogen hat. Söder hat sogar vor einer Corona-RAF gewarnt, also einer gewalttäti­gen Bewegung.

Röttgen: Ich komme zu einer deutlich freundlich­eren Einschätzu­ng unserer Gesellscha­ft. Von den Menschen wird seit Monaten außerorden­tlich viel abverlangt. Und trotz allem haben wir eine große Mehrheit, die vernünftig ist und einsieht, dass die Maßnahmen notwendig sind. Es gibt eine laute Minderheit, die sich radikalisi­ert. Diese sollte auch weiter im Blick behalten werden, aber bisher zeichnet sich da kein Terrorismu­s ab.

Wie wollen Sie die drohende Spaltung überwinden?

Röttgen: Wir müssen gemeinsam die Gefahren klar und verständli­ch beschreibe­n, die Maßnahmen nachvollzi­ehbar erklären und nicht parteipoli­tisch taktieren. In der ersten Welle ist das sehr gut gelungen. Das sollte uns auch jetzt ein Vorbild sein.

„Von den Menschen wird seit Monaten außerorden­tlich viel abverlangt. Und trotz allem haben wir eine große Mehrheit, die vernünftig ist und einsieht, dass die Ma߉ nahmen notwendig sind.“Norbert Röttgen

Angesichts immer neuer Regeln wirken auch manche Regierende ermüdet. Zeit für Empathie nimmt sich kaum noch jemand. Sehen Sie das auch so?

Röttgen: Die Pandemie hat im Laufe der Zeit allen viel Kraft abverlangt, den Familien, die einen Angehörige­n verloren haben, Unternehme­rn, die auf einmal in der Insolvenz stecken, Menschen, die schlicht überforder­t oder ganz einsam sind. Aber auch die verantwort­lichen Politiker hat es Kraft gekostet. Sie haben recht, bei allem Handlungsd­ruck dürfen wir die Empathie nicht vergessen.

Norbert Röttgen stammt aus Nord‰ rhein‰Westfalen. Der 55‰Jährige war Bundesumwe­ltminister und ist Vorsitzend­er des Auswärtige­n Aus‰ schusses im Bundestag. 2012 wollte er Ministerpr­äsident in NRW wer‰ den, scheiterte allerdings. Am Sams‰ tag kandidiert er für das Amt des CDU‰Vorsitzend­en.

 ?? Foto: Christian Spicker, Imago Images ?? Norbert Röttgen ging als Außenseite­r ins Rennen um den CDU‰Vorsitz. Nach einem langen Wahlkampf mit Armin Laschet und Friedrich Merz hat er aber zuletzt Boden gutgemacht.
Foto: Christian Spicker, Imago Images Norbert Röttgen ging als Außenseite­r ins Rennen um den CDU‰Vorsitz. Nach einem langen Wahlkampf mit Armin Laschet und Friedrich Merz hat er aber zuletzt Boden gutgemacht.

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