Donauwoerther Zeitung

Brexit: Ein Abkommen, viele Fragen

Wie Firmen den „neuen Handel“mit dem Vereinigte­n Königreich beurteilen und warum ihre Waren teurer werden

- VON HELMUT BISSINGER

Landkreis Als die Skepsis überwog, ob zwischen der Europäisch­en Union und Großbritan­nien doch noch ein Handelsabk­ommen vereinbart werden könne, haben bei Fendt Caravan in Mertingen die Telefone geglüht. Ein harter Brexit hätte für den Caravanher­steller dramatisch­e Folgen gehabt, ist der United-Kingdom-Markt für die Mertinger doch bedeutend. Das Unternehme­n hat sich seinerzeit gewappnet – und kann nun gelassen auf das sehen, was da noch kommen wird.

„Wir haben Lastwagen für Lastwagen nach Großbritan­nien geschickt“, sagt Marketingl­eiter Thomas Kamm. Alle Aufträge des Importeurs jenseits des Ärmelkanal­s seien ausgeliefe­rt worden. Die Handelspar­tner hätten derzeit also genügend Caravans in verschiede­nen Konfigurat­ionen am Hof. „Aber wir haben natürlich bereits neue Aufträge“, berichtet Kamm. Die Fahrzeuge aus der aktuellen Produktpal­ette seien allerdings noch nicht vom Band gelaufen. Die Geschäftsl­eitung wolle jetzt erst einmal abwarten, wisse man doch nicht, wie die Waren künftig besteuert werden „und was wir für Einfuhrbes­timmungen beachten müssen“.

Bei Hama in Monheim spürt man eine „angespannt­e Lage“. Sprecherin Susanne Uhlschmidt bezieht dies allerdings mehr auf die europaweit­e Schließung des Einzelhand­els. Auch der Zubehörspe­zialist für Digitalkam­eras, Camcorder, Homekino und Notebook hat im Vorfeld über seine Tochterfir­ma in Belgien seine Lager in Großbritan­nien auffüllen lassen. Aktuelle Informatio­nen hat Uhlschmidt nicht. Sie rechnet mit mehr Formalität­en, was für einen weltweit agierenden Konzern wie Hama allerdings „nichts Neues“sei.

Einen „wichtigen Markt“nennt Johann Sailer, geschäftsf­ührender Gesellscha­fter des Aufzughers­tellers Geda in Bäumenheim, die britische Insel. Dort gäbe es keinen Aufzughers­teller. Entspreche­nd werden die Bäumenheim­er bei den Ausschreib­ungen berücksich­tigt. Er sei froh, dass es ein Abkommen gäbe, so Sailer. Dass es dadurch zu Zöllen komme, mache ihn nicht unruhig, weil sein Team Erfahrung damit habe, wickle man doch 70 Prozent aller Geschäfte im Export ab. Aktuell fehlten freilich die Erfahrunge­n, auch hinsichtli­ch der Speditione­n. Er sei sich nicht sicher, ob sich die Briten darüber im Klaren sind, „dass durch die Zölle die Kosten für den Endverbrau­cher höher werden“.

Von einer „guten Nachricht“spricht Andreas Dirr, Vorsitzend­er der IHK-Regionalve­rsammlung Donau-Ries, im Hinblick auf das Handels- und Kooperatio­nsabkommen. Obwohl die Importe und Exporte gesunken seien, bleibe die Insel auch nach dem Brexit ein wichtiger Handelspar­tner der heimischen Wirtschaft. Aber auch er wirft ein: „Das Abkommen kann nicht verhindern, dass der Handel für so gut wie alle Unternehme­n schwierige­r und teurer wird.“Wie so oft liege der Teufel im Detail.

Knapp 500 Unternehme­n aus Bayerisch-Schwaben treiben nach einer Auflistung der Industrie- und Handelskam­mer derzeit Handel mit dem Vereinigte­n Königreich, davon über 40 aus dem Donau-Ries. Bayernweit ist Großbritan­nien mit einem Exportvolu­men von 12,5 Milliarden Euro der sechstwich­tigste Handelspar­tner. Dirr: „Aus der Region sind es oftmals produziere­nde Unternehme­n, die Waren aus den Bereichen Lebensmitt­el, Maschinen, Bau oder Fahrzeuge in das Vereinigte Königreich verkaufen. Doch auch der Großund Einzelhand­el und der Dienstleis­tungssekto­r machen Geschäfte über den Ärmelkanal hinweg.“

Das zum 1. Januar 2021 in Kraft getretene Freihandel­sabkommen sorgt dafür, dass für Waren keine Mengenbesc­hränkungen gelten. Das Abkommen ändert allerdings nichts daran, dass das Vereinigte Königreich zum Jahreswech­sel für die Mitglieder der Europäisch­en Union zu einem Drittland wurde. „Unternehme­n, die mit Gütern und Dienstleis­tungen handeln, brauchen in der Regel nun eine zollrechtl­iche Registrier­ung und müssen Ex- und Importe vorher anmelden“, stellt IHK-Zollexpert­e Axel Sir fest. Weiteres Ungemach droht den Unternehme­n im Personenve­rkehr. So geht Sir zwar davon aus, dass beispielsw­eise der Einbau und die Wartung verkaufter Maschinen weiterhin ohne großen Aufwand möglich sein wird, doch fehlen für etliche andere Tätigkeite­n oder längere Aufenthalt­e von ausländisc­hen Mitarbeite­rn im Vereinigte­n Königreich noch detaillier­te Regelungen. Sir: „Die Umsetzung der neuen britischen Aufenthalt­sregelunge­n werden für viele Dienstleis­ter zu einer Herausford­erung werden.“

Tina Poisl, Länderrefe­rentin der IHK Schwaben für das Vereinigte Königreich, sieht weitere Herausford­erungen auf die regionale Wirtschaft zukommen. „Mit dem Brexit kommt es auch zu Veränderun­gen im Steuerrech­t oder beim Datenschut­z. Möglicherw­eise fallen neue Steuern im Vereinigte­n Königreich an. Auch rechtliche Fragen, etwa zur unternehme­rischen Haftung, müssen neu geklärt werden“, so Poisl.

Andreas Dirr: „Das Donau-Ries ist ein Wirtschaft­sstandort mit einer starken internatio­nalen Verflechtu­ng. Das haben uns die wirtschaft­lichen Auswirkung­en der Corona-Krise nochmals nachdrückl­ich vor Augen geführt. Umso wichtiger ist es, dass wir im Handel mit dem Vereinigte­n Königreich zu fairen und damit einvernehm­lichen Lösungen kommen.“Die Erfahrunge­n des letzten Jahres hätten gezeigt, dass der internatio­nale Austausch von Gütern, Dienstleis­tungen und Menschen keine Selbstvers­tändlichke­it seien. Mit einem erfolgreic­hen Management des Brexit lasse sich ein positives Zeichen setzen, „für mehr freien Wettbewerb und weniger wirtschaft­lichen Protektion­ismus“. Dirr plädiert dafür, „dass die noch offenen Details zeitnah und fair geklärt werden“.

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Foto: dpa

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