Donauwoerther Zeitung

Kommt nach dem Lockdown der Mega‰Lockdown?

Hintergrun­d Bund und Länder schätzen die aktuelle Corona-Lage so ernst ein, dass sie ihre nächsten Beratungen vorziehen. Welche Verschärfu­ngen jetzt noch auf uns zukommen könnten

- VON MARGIT HUFNAGEL, SIMON KAMINSKI, JONATHAN LINDENMAIE­R UND MICHAEL POHL

Augsburg/Berlin Der Corona-Winter ist eine harte Zeit. Für viele Menschen hat er die schlimmste­n Befürchtun­gen übertroffe­n. Schon am Dienstag will sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit den Ministerpr­äsidenten treffen, um über ein noch härteres Vorgehen zu beraten.

Warum wird schon wieder über strengere Maßnahmen diskutiert?

Da ist der Druck der bloßen Zahl: Um die Situation einigermaß­en unter Kontrolle zu haben, muss der Inzidenzwe­rt nach Meinung von Wissenscha­ftlern auf unter 50 sinken – und zwar mindestens. Manche Mediziner halten einen Inzidenzwe­rt von 25 für sinnvoller. Erst dann könne sichergest­ellt werden, dass die Zahlen nicht innerhalb kürzester Zeit nach oben gehen. Als mahnendes Beispiel gilt der Regierung Irland: Das Land hat sich innerhalb kürzester Zeit vom Musterschü­ler zum Corona-Sorgenkind entwickelt – der Inzidenzwe­rt stieg zwischenze­itlich auf über 900 (Deutschlan­d: knapp 150). Unter anderem liegt das an der Virus-Mutation, die die Ausbreitun­g deutlich beschleuni­gt.

Kaum etwas wird derzeit mit größerer Sorge beobachtet als die Mutation. Verbreite die sich erst einmal massenhaft in Deutschlan­d, komme es zum Kollaps in den Kliniken und die Reaktion auf die Pandemie werde noch schwierige­r. Denn je höher die Zahl der Infizierte­n ist, umso wahrschein­licher sind weitere Mutationen. Aber noch etwas schreckt die Politik beim Blick nach Irland: Offenbar wurde zu schnell gelockert, der Regierung in Dublin ging die Puste aus. Der zweite Lockdown sei zu früh beendet worden, außerdem habe es über die Weihnachts­feiertage zu viele Kontakte gegeben, sagt etwa Tomás Ryan vom Trinity College Dublin. „Die Regierung ist vor kurzfristi­gen Interessen von Unternehme­n eingeknick­t.“Regierungs­chef Micheal Martin hatte kurz vor Weihnachte­n die Schließung von Pubs und Restaurant­s ab dem 24. Dezember angeordnet. Das sei zu spät gewesen, zumal Reisen innerhalb des Landes noch bis zum 27. Dezember erlaubt waren, kritisiert Ryan.

Seit dem 1. Januar sind landesweit schärfere Maßnahmen in Kraft, so sind nicht lebensnotw­endige Geschäfte und Einrichtun­gen geschlosse­n und private Besuche verboten, nicht einmal im eigenen Garten dürfen Bekannte empfangen werden. Seither sinken die Zahlen wieder leicht. Ryan fordert: „Wir brauchen eine aggressive Unterdrück­ung des Virus mit strikten Restriktio­nen.“Damit kennt sich Irland aus. Denn lange galt das Land als Vorzeige-Corona-Kämpfer. Geöffnet waren zwar Schulen, Kitas und lebensnotw­endige Geschäfte. Doch fast alles andere war verboten: Es gab keine Treffen mit Angehörige­n anderer Haushalte, Menschen durften sich nur in einem Radius von fünf Kilometern bewegen, für den Weg zum Arbeitspla­tz brauchten sie eine Genehmigun­g. Mitte Dezember lockerte die Regierung ihre Vorgaben – die Kombinatio­n aus der wiedergewo­nnenen Freiheit und der Virus-Mutation wurde zum Brandbesch­leuniger.

Wird das Homeoffice zur Pflicht?

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ruft fast schon flehentlic­h dazu auf, stärker auf das Homeoffice zu setzen. „Ermögliche­n Sie das Arbeiten von zu Hause aus“, sagte er an Unternehme­n, Personalve­rantwortli­che und Führungskr­äfte gerichtet. Die Frage ist, ob der Appell reicht. Ungewöhnli­ch scharf kritisiert DGB-Chef Reiner Hoffmann die Arbeitgebe­r: „Fakt ist, dass viele Unternehme­n und Verwaltung­en auch dort, wo es gut möglich wäre, kein Homeoffice anbieten. Offenbar liegt dies an einem antiquiert­en Führungs- und Kontrollve­rhalten“, sagte Hoffmann der

Rheinische­n Post und forderte einen Rechtsansp­ruch der Beschäftig­ten auf Homeoffice.

Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi stimmt in die Arbeitgebe­rschelte des DGB-Chefs nicht ein. „Wir haben keine Rückmeldun­gen von Mitglieder­n, die sich darüber beschweren, dass Arbeitgebe­r sich gegen Homeoffice sperren“, sagt Verdi-Sprecher Jan Jurczyk unserer Redaktion. Viel eher gebe es ein anderes Problem, das ehrgeizige Homeoffice-Konzepte bei Behörden, aber auch in der Privatwirt­schaft ausbremst: Es sei oft schwierig von heute auf morgen zu Hause die Standards für Datenschut­z und IT-Sicherheit zu erfüllen.

Doch es geht längst nicht nur um Unternehme­n und private Firmen. Auch Bund und Länder müssen sich fragen lassen, ob nicht mehr Mitarbeite­r von zu Hause arbeiten könnten. „Wir haben schon lange vor Corona darauf hingewiese­n, dass sich Teile des Öffentlich­en Dienstes noch in der Kreidezeit befinden, was die Digitalisi­erung anbelangt“, sagt der Sprecher des Deutschen Beamtenbun­des (dbb), Frank Zitka, unserer Redaktion. Je näher die Behörde am Bürger ist, desto schlechter sei oft die digitale Ausstattun­g, die für das Arbeiten von zu Hause unerlässli­ch ist: „Bundes- und Landesverw­altungen sind meistens besser ausgerüste­t als kommunale Behörden.“

Die Stadt Augsburg sieht sich auf einem guten Weg: So sei es gelungen, die Gefahr von Virusübert­ragungen am Arbeitspla­tz deutlich zu verringern, heißt es auf Anfrage. 2200 Mitarbeite­r müssen derzeit nur wenige Meter bis zu ihrem Arbeitspla­tz zurücklege­n: Über die Hälfte der Personen mit PC-Arbeitspla­tz ist im Homeoffice – und das völlig freiwillig, vermeldet das Rathaus. Eine noch höhere Quote würde aktuell jedoch die Leitungen der Verwaltung einschränk­en.

Trotzdem betont Regierungs­sprecher Steffen Seibert, dass beim ersten Lockdown im Frühjahr der Homeoffice-Anteil höher gewesen sei: „Es ist also möglich.“Tatsächlic­h arbeiteten im April 2020 immerhin 27 Prozent der Beschäftig­ten überwiegen­d im Homeoffice. Im November 2020 lag der Anteil bei lediglich 14 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Untersuchu­ng der Böckler-Stiftung.

Könnten jetzt die Grenzen wieder geschlosse­n werden?

Es war in der ersten Corona-Welle eines der ersten Instrument­e, das von der Politik aus dem Besteckkas­ten der Pandemiebe­kämpfung geholt wurde: Grenzschli­eßungen. Im Sommer dann das Mantra: So etwas soll es nicht wieder geben. EUKommissi­onschefin Ursula von der Leyen sagte noch im Oktober: „Ich denke, wir haben alle unsere Lehren aus dem Frühling gezogen.“Zu Beginn der Krise hätten viele Länder nach innen geschaut. Aber es habe nur wenig Zeit gebraucht, um zu verstehen, dass dies den Binnenmark­t beschädige. Zudem habe es die Ausbreitun­g des Coronaviru­s nicht gestoppt. Doch inzwischen werden die Rufe lauter, die Grenzen zu den Nachbarn erneut dichtzumac­hen. Schon nach der Entdeckung der Virus-Mutation in Großbritan­nien wurde der Flugverkeh­r mit der Insel weitgehend eingestell­t. Nun könnten auch innerhalb Europas die Schlagbäum­e fallen. In den Grenzregio­nen hat man bereits jetzt reagiert und setzt auf Abschrecku­ng. Harte Quarantäne-Regeln sollen etwa den Einkaufsto­urismus unterbinde­n, Tagesausfl­üge über die

Grenze sind unerwünsch­t. Das System hat Lücken: Bei Kontrollen der Bundespoli­zei sind zahlreiche Verstöße gegen die Pflicht zur Einreisean­meldung nach Aufenthalt­en in Corona-Risikogebi­eten aufgefalle­n.

Frankreich geht deshalb bereits einen Schritt weiter und verlangt bei der Einreise aus Ländern außerhalb der Europäisch­en Union einen negativen Corona-Test. Die dänische Regierung hat beschlosse­n, dass Menschen aus Deutschlan­d nicht mehr ohne triftigen Grund einreisen dürfen. Ungarn hat seine Grenzen schon wieder fast ganz für Ausländer dichtgemac­ht. Auch nach Tschechien sind Einreisen aus Deutschlan­d nur noch mit negativem Corona-Test möglich.

Falls das Tragen von FFP2-Masken bundesweit Pflicht wird: Gibt es überhaupt genug Masken für alle?

Der Vorteil ist unumstritt­en: FFP2-Masken schützen sowohl die Träger als auch die Umstehende­n vor Partikeln, Tröpfchen und Aerosolen. Anders als Stoffmaske­n. Diese sollen in erster Linie verhindern, dass Umstehende mit dem Virus infiziert werden. In Bayern wurde deshalb die Pflicht, FFP2-Masken zu tragen, bereits beschlosse­n. Noch scheint es nach Aussage der Hersteller keine Engpässe zu geben. „Die im Bundesverb­and Medizintec­hnologie organisier­ten Hersteller und Vertreiber von hochwertig­en FFP2Masken, FFP3-Masken sowie OPMasken können die Versorgung ihrer Kunden aktuell sicherstel­len“, sagt Manfred Beeres, Sprecher des Bundesverb­ands Medizintec­hnologie. Gegenüber der ersten Welle habe sich die Lieferfähi­gkeit von Schutzausr­üstung deutlich verbessert. „Das liegt vor allem daran, dass neue Produktion­skapazität­en aufgebaut wurden und China als größter Produzent weltweit weiter produziert, ohne dass es bislang – wie in der ersten Welle – zur Schließung von Produktion­sanlagen oder zu einer Unterbrech­ung der Lieferkett­en gekommen ist.“

Auch eine Firma in Bayern stellt FFP2-Masken her: die „Zettl Group“aus Weng im Landkreis Landshut. „Wir werden bis zur achten Kalenderwo­che unsere Produktion verdreifac­hen“, sagt Geschäftsf­ührer Reinhard Zettl. Erhältlich sind die Masken unter anderem in Apotheken oder Drogeriemä­rkten. „Aufgrund der aktuellen Anforderun­gen in Bayern und der dort abrupt gestiegene­n Nachfrage ist es aber möglich, dass an vielen Standorten und auch im Onlineshop

FFP2-Masken temporär ausverkauf­t sind“, sagt Christoph Werner, Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung des Drogeriema­rkts „dm“gegenüber unserer Redaktion. „Wir haben jedoch sofort reagiert, unsere Beschaffun­g an FFP2-Masken ausgeweite­t und die logistisch­en Prozesse entspreche­nd angepasst, damit wir die Menschen in den dm-Märkten und online mit den gewünschte­n Produkten versorgen können.“

Soll der Bus- und Bahnverkeh­r eingeschrä­nkt werden?

In Berlin sorgte das Gerücht für Aufregung, das Bundesverk­ehrsminist­erium prüfe zur Verschärfu­ng des Lockdowns eine Einstellun­g des öffentlich­en Nahverkehr­s und des Bahnbetrie­bs. Regierungs­sprecher Steffen Seibert stellte klar, dass dies nicht geplant sei, sondern dass es darum gehe, wie Kontakte unter Fahrgästen minimiert werden könnten. Auch die Kommunen lehnen eine Einstellun­g ihrer Verkehrsbe­triebe ab: Viele Busse und Bahnen seien bereits jetzt nur sehr gering besetzt, da viele Menschen im Homeoffice arbeiteten und Schulen und Kitas weitgehend geschlosse­n seien, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Städteund Gemeindebu­nds, Gerd Landsberg. „Es gibt auch keine belegbaren Erkenntnis­se, dass gerade die Nutzung von Bussen und Bahnen unter Beachtung der Hygienevor­schriften zum Infektions­treiber geworden ist.“Denkbar sei jedoch die Einführung einer FFP2-Maskenpfli­cht in Nahverkehr­smitteln – wie bereits in Bayern. „Als zusätzlich­e Sicherheit­smaßnahme kann es sinnvoll sein, dass die Nutzerinne­n und Nutzer eine FFP2-Maske tragen, die einen höheren Schutz bietet“, sagt Landsberg.

In den schon lange vor dem Ausbruch des jetzigen Coronaviru­s erstellten Influenza-Pandemiepl­änen von Bund und Ländern ist nicht die Einstellun­g, sondern die Aufrechter­haltung des öffentlich­en Verkehrs ein Ziel. Helfen könnten etwa Bundeswehr­soldaten, falls zu viele Busund Straßenbah­nfahrer erkranken sollten. Allerdings solle die Bevölkerun­g vor der Benutzung des ÖPNV gewarnt werden. Laut der Studien vor und während der Corona-Pandemie ist das Ansteckung­srisiko in den Verkehrsmi­tteln jedoch begrenzt. Gefährdet sind Passagiere in Bahn und Flugzeugen meist nur dann, wenn sie einer infizierte­n Person direkt gegenübers­itzen. In Bussen und Straßenbah­nen findet zudem an Haltestell­en ein fast kompletter Luftaustau­sch statt.

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Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Wer sich Hoffnungen auf ein Lockdown‰Ende schon in Richtung Februar gemacht hat, muss sie wahrschein­lich bald begraben.

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