Die gute Seele der Sektion blickt auf 125 Jahre DAV zurück
Seit 1950 ist Gustl Dinger aus Donauwörth beim Alpenverein, war Vorstand, Tourenführer und hat Hunderte Gipfel mit ihren Hütten erklommen. Sein Blick auf den Verein, die Ansprüche der Wanderer und warum er auch gern mal alleine unterwegs ist
Donauwörth Es schneit ordentlich, als Gustl Dinger zum ausgemachten Treffpunkt kommt. Doch für den 87-Jährigen ist das kein Grund, den vereinbarten Spaziergang auf dem Edelweißweg abzusagen. Nach der kleinen und einsamen Tour zu zweit ist auch klar warum: Er hat in seinen über 70 Jahren als Kletterer und Bergsteiger schon ganz andere Herausforderungen gemeistert.
Seit 1950 ist er Mitglied in der Donauwörther Sektion des DAV und gehört damit zu den Urgesteinen des Vereins, der heute über 3600 Mitglieder zählt und an diesem Sonntag das große Jubiläum begeht: 125 Jahre besteht der DAV in Donauwörth.
Es gibt noch eine alte schwarzweiße Aufnahme von ihm, da klettert er in Konstein im Wellheimer Tal am Felsen – barfuß, mit kurzer Hose und weißem Hemd unter dem Pullunder. Um seinen Bauch hat er ein Seil geknotet, im Hintergrund sieht man, dass es hinter ihm steil nach unten geht. „Wir hatten anfangs niemanden, der uns gezeigt hat, wie das geht mit dem Klettern“, erinnert sich Dinger. „Wir mussten uns alles selber beibringen.“Und er hatte den Mut dazu.
Als Dinger in den Verein aufgenommen wurde, musste jemand für ihn bürgen. Denn der Alpenverein war damals eine elitäre Vereinigung bei der nicht jeder, der es wollte, eine Mitgliedschaft anmelden konnte. War man drin, war man im Kreis gesellschaftlich angesehener Kameraden – meist Männer – unterwegs. Viele kamen, weil der Alpenverein eine Möglichkeit war die damals schon populäre Sportart des Skifahrens zu verwirklichen. „Wer hatte schon ein Auto, um im Winter in die Berge zu fahren?“Die wenigsten. Der DAV aber bot eine organisierte Busfahrt und brachte die Menschen in den Schnee. Im Sommer ging es dann zu Fuß auf den Berg – ein
Hauch von Urlaub. Zudem gab es für die Mitglieder und damit auch für Dinger und seine Kletterfreunde die passende Ausrüstung, mit der sie sich auf Touren im Gebirge vorbereiten konnten. Mit vereinseigenen Hanfseilen – kein ideales Kletterseil, wie Dinger noch weiß – haben sie sich zu zweit oder zu dritt gesichert. Doch das änderte sich, als am Josefstag im Jahr 1953 bei einem 15-Jährigen der DAV Sektion Donauwörth beim Klettern das Seil gerissen ist und er starb. Ein Unglück, das die Verantwortlichen erschütterte. Fortan zahlte der Verein nur noch einen Zuschuss für eigenes Material.
Die Sicherheit am Berg beschäftigt ihn sein ganzes Leben. Das zahlt sich bei einer Klettertour aus, als er sich beim Abstieg mit zwei Kameraden verzettelt hat. Auf einem schmalen Felsvorsprung mussten die drei in einem Notbiwak übernachten. Sie seilten sich an, dass sie im Schlaf nicht abstürzten – auch wenn daran eigentlich nicht zu denken war. Die Beine baumelten über den Fels, sie vertrauten auf den nächsten Morgen und das Material. „Niemals hätte ich meinen letzten Haken hergegeben“, sagt Dinger.
Das Bewusstsein, für sich selbst am Berg verantwortlich zu sein und sich nicht zu überschätzen, hat sich in ihm eingebrannt. „Selbst wenn ich nicht so schnell wie die anderen aufsteigen konnte – wie damals am Mont Blanc – am Ende ist jeder am Berg dafür verantwortlich, dass er niemandem zur Last wird, und sicher wieder runterkommt.“Der
Respekt vor dem Berg sei elementar wichtig. „Wer keine Angst hat, der ist im Berg fehl am Platz“, sagt Dinger mahnend. Heute würden die Menschen gerne vergessen, dass der Besitz eines Handys nicht garantiert, dass die Bergwacht einen abholt. „Es gibt kein Recht auf Rettung am Berg“, sagt Dinger.
Was für ihn das Erlebnis am Berg so wertvoll macht, zeigt deutlich seine Antwort auf die Frage nach der Tour, die ihm ewig unvergessen bleiben wird. Es war die eine, die er zusammen mit seinen drei „Buben“auf den Großglockner unternommen hatte. Der Jüngste war gerade 14 Jahre alt, als sie vom Tal weg bis zum Gipfel auf knapp 3800 Meter stiegen – eigentlich ohne es richtig vorgehabt zu haben, sondern „weil es so gut lief“. 17 Stunden waren sie unterwegs. „Der Antrieb bis zum Gipfel zu gehen, das kam von den Buben. Es war ein prächtiger Tag, wir waren erst gegen 18 Uhr am Gipfel und um Mitternacht wieder unten.“Wenn er so erzählt, der Gustl – so nennen ihn seine Freunde – dann merkt man, dass es ihm nicht um die Höhenmeter geht, sondern um das gemeinsame Erlebnis, den Erfolg, es bis ganz nach oben geschafft zu haben und sich des Glücks bewusst zu sein, einen so grandiosen Bergtag erlebt zu haben, an dem einfach alles gepasst hat.
Zweimal war Dinger im Verein an der Spitze. Von 1970 bis 1985 war er Vorsitzender und hat in dieser Zeit dem Verein ein Zuhause gegeben – im wahrsten Sinne des Wortes. Bei einem Empfang der Vereinsvorsitzenden des damaligen OB Alfred Böswald im Café Engel entstand die Idee, dass der alte Wasserturm in der Hadergasse saniert und umgebaut werden soll. Bis dahin hatte der DAV sein Material in diversen Nebenräumen von Gaststätten gelagert, die gesellschaftlichen Höhepunkte wie Faschingsbälle und mehr fanden in der Krone statt. Doch es war klar: Es braucht ein Vereinsheim.
Mit viel Eigenleistung wurde unter der Führung Dingers in zwei Jahren der marode Wasserturm saniert. Sogar die Bäume für die Balken einer neuen Zwischendecke wurden in der Parkstadt selbst geschlagen, zum Sägewerk geliefert und schließlich eingezogen. „Zum Glück hatten wir viele Leute dabei, die handwerklich erfahren waren“, erinnert sich Dinger. Nur die im Kamin nistenden Dohlen hätten die Eröffnungsfeier, zu der alles mit Rang und Namen geladen war, fast zum Scheitern gebracht. Als Dinger die Feuerstelle einheizte, zog der Rauch nicht ab. Er bemerkte es zwar rechtzeitig, konnte ordentlich lüften. „Aber es war anfangs eine ziemlich kühle Versammlung all der wichtigen Menschen“, erzählt Dinger und lacht. Die Dohlen wurden am Ende erfolgreich verjagt, das Vereinsheim ist bis heute geliebte Heimat der Alpinisten.
Der ehemalige Ehrenvorsitzende und die „gute Seele“des Vereins ist bis heute gut zu Fuß. Es gibt viele Touren, die er gerne gemacht hätte, aber die er nicht mehr machen wird. Er geht nicht mehr auf die Hütten, dafür ist er sich seines Alters zu bewusst. Aber er hat es immer geschätzt, die Geselligkeit, das Singen und der Plausch mit anderen. Er hat es sich immer mal herausgenommen, alleine zu gehen. Nur so sei das Wandern und Laufen in der Natur noch einmal ein viel intensiveres Erlebnis. „Man hört mehr auf seinen Körper und seine innere Stimme.“