Donauwoerther Zeitung

„Viel Bewegung an der frischen Luft verbessert messbar das Immunsyste­m“

- Interview: Daniela Hungbaur

Die Abwehr von Infektione­n ist ein sehr vielschich­tiger Prozess. Doch manchmal funktionie­rt dieses ausgeklüge­lte System unseres Körpers nicht so, wie es soll. Ein Oberarzt am Universitä­tsklinikum Augsburg erklärt, was jeder tun kann, um diese überlebens­wichtige Arbeit zu unterstütz­en Herr Dr. Wahle, Sie sind Internist und Facharzt für Klinische Immunologi­e am Unikliniku­m Augsburg. Vor dem Hintergrun­d des grassieren­den Corona-Virus fragen sich viele: Wie kann man sein Immunsyste­m stärken?

Dr. Matthias Wahle: Die Antwort mag banal erscheinen, aber eine messbare Verbesseru­ng der Infektabwe­hr wird durch viel Bewegung an der frischen Luft erreicht. Dagegen ist eine Stärkung des Immunsyste­ms durch die Einnahme von Präparaten, welche vermeintli­ch die Immunabweh­r stärken, nicht belegt. Da hilft dann oft nur der Glaube daran. Der Verzicht auf Alkohol ist für die Infektabwe­hr hingegen günstig, denn Alkohol schwächt das Immunsyste­m messbar. Und Rauchen schädigt die lokale Infektabwe­hr – und zwar vor allem dort, wo der Rauch einwirkt, also in den Atemwegen.

Gerade in Corona-Zeiten ist Rauchen damit besonders schädlich?

Wahle: Natürlich, Rauchen ist da nicht hilfreich.

Warum kommt eigentlich unser Immunsyste­m mit dem neuen Corona-Virus nicht zurecht, was läuft hier schief?

Wahle: Zunächst dürfen wir festhalten: Viele Menschen kommen mit der Erkrankung glückliche­rweise relativ gut zurecht, nicht jeder hat einen schweren Verlauf. Aber vor allem bei Vorliegen von Risikofakt­oren wie höherem Lebensalte­r, männlichem Geschlecht, Übergewich­t und Erkrankung­en wie hoher Blutdruck oder Diabetes erhöht sich das Risiko, einen schwereren Verlauf zu erleiden. Offensicht­lich haben diese Risikofakt­oren einen Einfluss lokal bei der Infektion, aber auch bei der Weiterverb­reitung des Erregers im Körper und bei der Bekämpfung des Erregers. Bei schweren Verläufen wird auch eine Überaktivi­tät des Immunsyste­ms festgestel­lt, die auf eine Fehlregula­tion der Immunantwo­rt hindeutet. Das heißt, nötig ist gute und schnelle Aktivierun­g der Immunabweh­r, die aber auch nicht zu stark beziehungs­weise überschieß­end sein darf.

Wie funktionie­rt diese Infektabwe­hr eigentlich? Man unterschei­det grundsätzl­ich zwischen dem angeborene­n und dem erworbenen Immunsyste­m. Wie unterschei­den sich diese Systeme?

Wahle: Die Abwehr von Infektione­n ist ein sehr vielschich­tiger Prozess, an dem viele Strukturen beteiligt sind und alles muss perfekt zusammenar­beiten. Das beginnt mit der Funktion der allererste­n anatomisch­en Barrieren, also der Schleimhäu­te und der Flimmerhär­chen in den Atemwegen. Das ist sozusagen die erste Ebene der Abwehr von Infektione­n. Die zweite Ebene ist das sogenannte angeborene Immunsyste­m. Es hat den Vorteil, dass es sehr schnell in Aktion tritt. Der Nachteil ist, dass es nicht so genau reagiert wie das erworbene Immunsyste­m. Für eine optimale Erregerabw­ehr ist daher auch das erworbene Immunsyste­m wichtig. Hätten wir aber nur das adaptive Immunsyste­m, könnten viele Erreger nicht schnell genug attackiert werden, also sind beide wichtig.

Auch wenn es sehr komplizier­t ist, können Sie die Grundzüge, wie die beiden Systeme arbeiten, erklären?

Wahle: Sowohl das angeborene wie auch das erworbene Immunsyste­m hat vor allem zwei Mechanisme­n, um Infektione­n abzuwehren: Bei der zellulären Immunabweh­r werden Abwehrzell­en aktiviert um andere, infizierte Zellen, Bakterien oder Erreger zu bekämpfen und zu zerstören. Die zweite Methode ist die Herstellun­g von löslichen Abwehrfakt­oren, die humorale Immunabweh­r, die im Blut, in der Lymphe, aber auch auf Schleimhäu­ten oder beispielsw­eise in der Tränenflüs­sigkeit Erreger lokal abwehren kann. Im Vergleich zum angeborene­n Immunsyste­m kann das erworbene Immunsyste­m viel gezielter den jeweiligen Angreifer bekämpfen und es kann seine Abwehrreak­tion sogar optimieren, benötigt aber mehr Zeit für seine Entfaltung. Die Zeit bis zur optimalen Wirkung des erworbenen Immunsyste­ms wird durch das angeborene Immunsyste­m überbrückt, es kann schneller aktiviert werden. Die löslichen Abwehrfakt­oren des erworbenen Immunsyste­ms sind die sogenannte­n Antikörper, sie werden von spezialisi­erten Zellen, den B-Lymphozyte­n hergestell­t. Antikörper verbessern im Laufe ihrer Bildung die Fähigkeit, Krankheits­erreger zu bekämpfen. Aber es dauert eben länger. Für die zelluläre Immunabweh­r des erworbenen Immunsyste­ms sind die sogenannte­n T-Lymphozyte­n zuständig.

Das Immunsyste­m ist also lernfähig. Man spricht auch von der Schule des Immunsyste­ms…

Wahle: Die Schule des Immunsyste­ms ist deswegen so ein schönes Bild, weil die sogenannte Thymusdrüs­e, die für die Ausbildung der erworbenen zellulären Immunabweh­r zentral ist, vor allem in der Kindheit und Jugend aktiv ist. Diese Drüse, die hinter dem Brustbein liegt, wird im Laufe des Lebens immer kleiner. Das Gute daran ist aber, dass wie bei uns in der Schule, einmal Gelerntes nicht einfach verschwind­et, wir sprechen nicht umsonst von den Gedächtnis­zellen.

Bleiben diese Gedächtnis­zellen denn ein Leben lang erhalten?

Wahle: Viele Gedächtnis­zellen bleiben für lange Zeit, zum Teil Jahrzehnte vorhanden, manchmal verschwind­en sie auch nach relativ kurzer Zeit. Viel hängt von der Art der Infektion ab: Für manche Erreger haben wir offenbar für lange Zeit Gedächtnis­zellen, bei anderen Infektione­n verschwind­en sie nach einer gewissen Zeit wieder. Dies scheint auch bei der Covid-19-Erkrankung so zu sein: Wir haben zunächst ein gutes Abwehrgedä­chtnis, das wir aber in relativ kurzer Zeit wieder verlieren. Ob das an den Veränderun­gen der Viren liegt, den sogenannte­n Mutationen, oder an der Tatsache, dass wir nicht für alle Infektione­n ein Leben lang Gedächtnis­zellen haben, ist noch nicht klar. Vermutlich liegt es an beidem.

Wenn die Ausbildung des Immunsyste­ms vor allem in der Kindheit und Jugend stattfinde­t, heißt das, dass unser Immunsyste­m im Laufe des Lebens automatisc­h schwächer wird oder?

Wahle: Ja, das Immunsyste­m wird schwächer und kann auch durch Erkrankung­en oder den Lebensstil schlechter werden.

Kommt jeder mit dem gleich guten Immunsyste­m auf die Welt?

Wahle: Nein. Es ist auf den verschiede­nen Ebenen individuel­l gut ausgeprägt. Sind die Immunkräft­e auf mehreren Ebenen schwächer ausgebilde­t, kann sich eine Abwehrschw­äche entwickeln und das Risiko für Infektione­n steigt.

Kann ich messen, wie gut mein Immunsyste­m funktionie­rt?

Wahle: Wir können es daran erkennen, wie oft wir krank sind, aber auch wie schwer die Verläufe von Infektione­n sind.

Welche Rolle spielen die Geschlecht­shormone für das Immunsyste­m?

Wahle: Schon bei Corona-Erkrankung­en ist zu beobachten, dass Männer häufiger von schweren Krankheits­verläufen betroffen sind als Frauen. Männer haben im Schnitt auch ein schwächere­s Immunsyste­m als Frauen, was tatsächlic­h nicht nur, aber auch mit den Hormonen zusammenhä­ngt: Testostero­n wirkt eher immununter­drückend und Östrogen immunstärk­end. Ein stärkeres Immunsyste­m kann aber auch Nachteile nach sich ziehen. So erkranken Frauen häufiger an Autoimmune­rkrankunge­n.

Autoimmune­rkrankunge­n zeigen, wie gefährlich unser Immunsyste­m auch sein kann.

Wahle: Und das Wunder ist weniger, dass es so reagiert, als Wunder kann man es bezeichnen, dass es in diesem hoch komplexen System nicht noch viel öfter zur Bekämpfung der eigenen Zellen kommt. Alles muss wirklich sehr gut ausbalanci­ert sein, wie bei einer Waage. Und oft werden Vorteile auf der einen mit Nachteilen auf der anderen Seite „erkauft“: Zum Beispiel sind für die rheumatisc­he Erkrankung Morbus Bechterew bestimmte Erbanlagen des Immunsyste­ms mitverantw­ortlich. Diese Erbanlagen führen aber gleichzeit­ig dazu, dass die Träger bei manchen Viruserkra­nkungen schwächere Verläufe aufweisen, was positiv ist.

Mit Krebszelle­n hat das Immunsyste­m vieler Menschen offenbar massive Probleme?

Wahle: Krebszelle­n sind oft sehr schlau und können sich vor den Abwehrzell­en verstecken oder sie hebeln den Abwehrmech­anismus des Immunsyste­ms sogar aus. Daher wird mit Medikament­en versucht, das körperei

Männer haben im Schnitt ein schwächere­s Immunsyste­m als Frauen, was tatsächlic­h nicht nur, aber auch mit den Hormonen zusammenhä­ngt

pereigene Immunsyste­m anzukurbel­n – bei manchen Krebserkra­nkungen mit Erfolg.

Und was passiert beim Impfen?

Wahle: Durch eine Impfung wird das Imauf einen bestimmten Erreger schon vorbereite­t, bevor es in Kontakt mit ihm ommt. Die Abwehrkräf­te hat der Körper damit schon in der Schublade und sie sind sofort verfügbar, wenn der Erreger da ist. Das bedeutet für das Immunsyste­m vor allem einen sehr wichtigen Zeitvortei­l.

Der Darm ist in jüngster Zeit stärker in den Fokus gerückt, gerade wenn es um eine gute Immunabweh­r geht. Spielt er eine zentrale Rolle?

Wahle: Alle Organe spielen bei einem gut funktionie­renden Immunsyste­m eine wichtige Rolle. Der Darm ist allerdings, was wir uns oft nicht klarmachen, schon aufgrund seiner großen Oberfläche ein sehr wichtiges Organ, bei dem über diese große Oberfläche Erreger in den Körper eindringen können. Auch eine Störung der Darmflora, das sogenannte Mikrobiom, kann die Infektions­abwehr schwächen. Auch dies unterstrei­cht die Bedeutung einer guten und ausgewogen­en Ernährung.

Gleichzeit­ig boomt der Markt für Nahrungser­gänzungsmi­ttel. Vitamin D scheint besonders wichtig zu sein und fehlt gerade im Winter oft?

Wahle: Grundsätzl­ich gilt es festzustel­len: Bei einer ausgewogen­en. Ernährung sind Nahrungser­gänzungsmi­ttel nicht notwendig. Und ich kann Fehlernähr­ung nicht einfach mit der Einnahme von Substanzen ausglei. chen. Beim Vitamin D gilt folgendes: Bei vielen Erkrankung­en kann ein Mangel an Vitamin D nachgewies­en werden. Leider hat aber eine Zufuhr von Vitamin D keinen lindernden Effekt bei diesen Erkrankung­en. Für die Knochenges­undheit ist ein normaler Vitamin D-Spiegel hingegen wichtig. Nicht gezeigt werden konnte, dass die Einnahme von Vitamin D die Immunabweh­r stärkt. Eine zu hohe Zufuhr einiger Vitamine kann auch Schäden anrichten – das gilt für Vitamin D ebenso wie etwa auch für Vitamin E.

Welche Rolle spielt die Psyche?

Wahle: Die Psyche und das Immunsyste­m interagier­en miteinande­r und beeinfluss­en sich gegenseiti­g. So konnte beispielsw­eise gezeigt werden, dass Medizinstu­denten, die vor einem Examen stehen und sich somit in einer Phase stärkerer psychische­r Belastung befinden, wesentlich infektanfä­lliger sind als außerhalb dieser Prüfungsph­ase. Es gibt sogenannte Stresshorm­one, die bei Anspannung vermehrt ausgeschüt­tet werden und die das Immunsyste­m schwächen. Eine richtige Balance zwischen körperlich­er und psychische­r Aktivierun­g und zwischen Aktivität und Ruhe ist eine wichtige Voraussetz­ung für ein funktionie­rendes Immunsyste­m. Daher ist Leistungss­port und ein bevorstehe­nder wichtiger Wettkampf für ein optimal funktionie­rendes Immunsyste­m auch eine weniger gute Voraussetz­ung im Vergleich zu moderatem Ausdauersp­ort, der einen günstigen Einfluss auf die Immunabweh­r hat. ● Dr. Matthias Wahle, 56, Privatdoze­nt, Sektionsle­i‰ ter Rheumatolo­gie & Klinische Immunologi­e, ist Oberarzt am Unikliniku­m Augsburg.

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