Donauwoerther Zeitung

CO2 unter die Wüste und unters Meer

Von der saudischen Wüste bis zu den Fjorden Norwegens: Die Lagerung des klimaschäd­lichen Gases erlebt mitten in der Debatte um die Klimaneutr­alität einen Aufschwung. Warum Öl-Nationen und Konzerne in die umstritten­e Technologi­e investiere­n

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Von Saudi-Arabien bis Norwegen erlebt die umstritten­e Lagerung von CO2 als Mittel im Kampf gegen die Erderwärmu­ng einen neuen Aufschwung. Auf der Suche nach Möglichkei­ten zur CO2-Vermeidung investiere­n reiche Monarchien am Persischen Golf und globale Energiekon­zerne in Technologi­en zur Entnahme, Verwendung und Speicherun­g von Kohlendiox­id (CCUS).

Umweltschü­tzer sehen die Technologi­e kritisch – und auch viele Politiker in Deutschlan­d sind dagegen. Erst vorige Woche lehnte der Umweltauss­chuss des Bundestags die Forderung der FDP ab, die Möglichkei­ten der geologisch­en CO2-Speicherun­g zu nutzen. Doch internatio­nal gewinnt CCUS immer mehr Freunde, nicht zuletzt in der Ölindustri­e. Mehr als 40 Anlagen sind weltweit im Bau, weitere 21 sind bereits im Betrieb. Vor zehn Jahren waren es nur acht.

Die Internatio­nale Energieage­ntur IEA schätzt, dass derzeit rund 40 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus Kraftwerke­n und Industriea­nlagen abgefangen werden, bevor sie den Treibhaus-Effekt verstärken können. Zu einem kleinen Teil wird das abgefangen­e Kohlendiox­id in der oder zur Herstellun­g von Baustoffen verwendet, größtentei­ls wird es komprimier­t und unterirdis­ch gelagert. Laut der IEA könnten Staaten und Unternehme­n mithilfe von CCUS in den nächsten 50 Jahren rund 600 Milliarden Tonnen an CO2-Emissionen abfangen und dann in ein Endlager schicken oder anderweiti­g nutzen.

Investitio­nen in die Lagerung werden wegen der steigenden Kosten für CO2-Emissionen attraktive­r. Zudem schreiben sich immer mehr

Weltregion­en und Unternehme­n das Ziel der Klimaneutr­alität auf die Fahnen. Dazu gehören auch Ölkonzerne: BP und Shell wollen bis zum Jahr 2050 klimaneutr­al wirtschaft­en. Der Verband OGCI, ein Zusammensc­hluss von zwölf Ölmultis, will bis 2025 den CO2-Ausstoß seiner Mitglieder um jährlich bis zu 52 Millionen Tonnen reduzieren.

Die CO2-Lagerung soll dabei helfen, wenngleich ihr Anteil bisher gering ist: Den 40 Millionen Tonnen an CO2, die jährlich durch CCUS geChemie-Industrie bunden werden, stehen Emissionen von 33 Milliarden Tonnen durch Öl und Gas gegenüber.

Doch CCUS-Anhänger hoffen auf viel größere Effekte. Ahmad al-Kowaither, Technologi­e-Chef beim staatliche­n saudischen Ölkonzern Aramco, prüft die Verwendung von abgefangen­em Kohlendiox­id in der Herstellun­g von Kunststoff und Beton. Zudem experiment­iere Aramco, das größte Öl-Unternehme­n der Welt, mit Lastwagen, die fast die Hälfte ihrer CO2-Abgase einfangen und im Fahrzeug speichern, berichtete al-Kowaither im US-Sender

In einem Aramco-Ölfeld unter der saudischen Wüste sollen laut al-Kowaither pro Jahr 800 000 Tonnen CO2 verschwind­en. Dieselbe Menge soll in einer Anlage in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) unter die Erde gepumpt werden.

Tausende Kilometer weiter nördlich genehmigte die norwegisch­e Regierung kurz vor der Jahreswend­e ein noch größeres Projekt zur CO2-Lagerung. Der Staatskonz­ern Equinor hat sich mit Shell und Total zusammenge­tan, um Kohlendiox­id aus norwegisch­en Industriea­nlagen aufzufange­n und rund zweieinhal­b Kilometer unter den Meeresbode­n verschwind­en zu lassen. Ab 2024 soll das Vorhaben namens „Nordlichte­r“jedes Jahr 1,5 Millionen Tonnen CO2 entsorgen.

Experten warnen vor dem Eindruck, dass CCUS einen einfachen Ausweg aus dem Kohlendiox­idProblem bietet. „Wenn wir eine Tonne CO2 industriel­l nutzen, muss das nicht zwingend zum Klimaschut­z beitragen: Alle Emissionen der Produktion und Nutzung müssen in der Bilanz berücksich­tigt werden“, sagte Sabine Fuss vom Berliner Mercator Research Institute

CNN.

on Global Commons and Climate Change (MCC) unserer Redaktion. Wenn die Nutzung von abgefangen­em CO2 viel Energie erfordert, könnte unter dem Strich ein höherer CO2-Ausstoß herauskomm­en.

Vor allem der Einsatz von Kohlendiox­id zur Ölgewinnun­g steht in der Kritik. Bei diesem Verfahren wird abgefangen­es CO2 in ein Ölfeld gepresst, um das Öl besser fördern zu können. Das meiste CO2 bleibt dabei unter der Erde. Laut IEA werden jeden Tag eine halbe Million Barrel (je 159 Liter) Öl auf diese Weise gewonnen, vor allem in den USA – es ist die am meisten genutzte Form von CO2-Lagerung. Viele Experten und Umweltschü­tzer kritisiere­n, dass Kohlendiox­id für die Ölförderun­g verwendet wird, die ihrerseits wieder CO2 produziert.

Bei „Northern Lights“in Norwegen bleibt das Kohlendiox­id komplett unter der Erde. „CO2 dorthin zurückschi­cken, wo es hergekomme­n ist“lautet das Motto des Equinor-Konzerns. Theoretisc­h könne so viel Kohlendiox­id unter dem Meer vor Norwegen gelagert werden, wie das Land in 1000 Jahren produziere: „Eine Industrie für die Zukunft“. Noch ist der Energiesek­tor von dieser Zukunft weit entfernt – doch sie rückt näher.

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Foto: stock.adobe.com Heute entweicht der überwiegen­de Teil des Kohlendiox­ids aus Industrie und Verkehr in die Atmosphäre. Doch es laufen zahlreiche Projekte an, das klimaschäd­liche Gas zeitweise oder auf Dauer zu speichern. Die Technologi­e ist umstritten.

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