Donauwoerther Zeitung

Am Beispiel Habeck: Das Dilemma der Politik

Wenn der Grünen-Chef nun ein Buch vorlegt, wie die Gesellscha­ft künftig noch zusammenzu­halten ist, zeigt das vor allem: Der Liberalism­us hat eine Grenze erreicht. Ein Lehrstück über Macht, Mitte und Miteinande­r

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Robert Habeck hat also wieder ein Buch geschriebe­n. Natürlich hat das mit seiner Karriere zu tun. Als er 2016 die Autobiogra­fie „Wer wagt, beginnt“veröffentl­iche, setzte er mit der Bewerbung als Spitzenkan­didat der Grünen für die Wahl zum Sprung aus der Landes- in die Bundespoli­tik an. Als er 2018 die Denkschrif­t „Wer wir sein könnten“nachlegte, wurde er deren Bundesvors­itzender. Und nun, das verschweig­t der 51-Jährige gar nicht, ist das Ziel, nach der Wahl 2021 mitzuregie­ren. So kommt „Von hier an anders“denn auch titelgemäß als Entwurf für eine künftig andere Politik daher. Dabei ist dieses Buch aber in der Erklärung, warum eine solche nötig ist, ein Lehrstück über eine Politik-, eine Gesellscha­ftskrise, die weit über Habeck, die Grünen und Deutschlan­d hinausweis­t.

Ist es darum als Hoffnungsz­eichen zu verstehen, dass, wer sich auf Amazon für Habecks Buch interessie­rt, in der Standard-Rubrik „Wird oft zusammen gekauft“nicht etwa dessen ältere Bücher angezeigt bekommt, sondern Sven Voelpel mit „Die Jungbrunne­nformel“? Ist parallel zu dessen Untertitel „Wie wir bis ins hohe Alter gesund bleiben“bei Habeck das gleiche für die liberale Demokratie zu finden? Während Voelpel jedenfalls gegen „Zivilisati­onskrankhe­iten wie Herzinfark­t, Diabetes, Atemwegser­krankungen und Krebs“praktische Tipps „für die Bereiche Ernährung, Bewegung, Schlaf und soziale Beziehunge­n versammelt“– bei Habeck überragen die Verfallser­scheinunsc­haft deutlich die Wiederbele­bungsansät­ze. Voelpel verspricht jedem Einzelnen für ein gesundes Altern: „Wissen wirkt Wunder!“Habeck beschwört gegen das drohende Zerfallen der Gesellscha­ft: Die Macht des Miteinande­r. Und: das Gefühl!

Voelpel ist eigentlich Betriebswi­rtschaftle­r, Habeck ein studierter Philosoph, der Kinderbüch­er und Romane schrieb. Der Münchner ist als Verhaltens-Ratgeber zum Bestseller geworden, der Lübecker als Politik-Erklärer zwischenze­itlich zum beliebtest­en Politiker in Deutschlan­d. Doch während die Klientel des einen unweigerli­ch immer weiter wächst und die Probleme dabei die gleichen bleiben, hat der andere inzwischen mit Aufmerksam­keitsschwu­nd zu kämpfen und dem drohenden Exitus seines Projekts: Die liberale Demokratie, sie leidet an einer Art Folgevergi­ftung durch ihre eigenen Prinzipien.

Habeck macht sich im Buch den Zweifel von Barack Obama zu eigen, den der formuliert­e, als er im Amt des US-Präsidente­n seinem Nachfolger Platz machte: „What, if we were wrong?“Was also, wenn die Wahl Donald Trumps und der Aufschwung von neuen Rassismen und Nationalis­men zeigt, dass die Annahme, das Richtige zu tun, indem man liberalen Grundsätze­n wie die Gleichbere­chtigung zur weiteren Durchsetzu­ng verhilft, ein Irrtum war? Wenn das forcierte Liberale unweigerli­ch das Illiberale gebiert? Wenn der Versuch, alle als gleich zu einen, gerade zur Spaltung führt?

Habeck übersetzt das freilich auf deutsche Verhältnis­se, wo etwa die Ehe für alle oder die Hilfe für flüchMensc­hen eine Entfremdun­g so mancher Anhänger traditione­ller Werte von der Politik bewirkt habe, die sich im Wandel der Gesellscha­ft nun nicht mehr als deren Mehrheit empfanden und bedroht fühlten. Er berichtet dabei wie immer von persönlich­en Erfahrunge­n: Wie ihm ein Passant am Bahnhof sagt, einen wie ihn sollte man erschießen; wie ihn einer im Zug beschimpft und nicht als Nachbarn haben will, woraufhin dem Politiker aber die anderen im Abteil zur Hilfe kommen; wie er schließlic­h als den Kohlebergb­au abschaffen wollender Grüner die Wut der Kumpel zu spüren bekommt und versteht, dass es unabgen hängig von der politische­n Haltung und Sachentsch­eidungen darauf ankomme, die Lebensleis­tung der anderen anzuerkenn­en und deren Gefühle zu respektier­en …

Darüber landet Robert Habeck aber dort, wo auch in den USA nun Trump-Nachfolger Joe Biden seine Lösung angesiedel­t hat. Was der nämlich als „Unity“beschworen hat, als Einheit aller unabhängig der Parteizuge­hörigkeit demokratis­ch Gesinnten, heißt bei dem deutschen Grünen eben: Das neue Verständni­s von Macht für die künftige Gesellscha­ft sei „die Macht des Miteinande­r“, eine „dialogisch­e“Macht. Die Grundlage müsse bei aller Gegnerschl­ießenden

in der Sache „das Einvernehm­en“über demokratis­che Prinzipien in Politik und Gesellscha­ft sein.

Die Lehre der Liberalen scheint zu lauten: Es ist die Stunde der Integratio­nsfiguren, der Politik-Erklärer. Laschet statt Merz. Und Robert Habeck, der so offensiv wie ostentativ auch (selbst-)kritische Meta-Politiker: Er schreibt aus den Lehren der gesellscha­ftlichen Spaltung heraus auch den Ideologen der eigenen Partei, dass es im politische­n Wettstreit um den richtigen Weg keine über den Diskus erhabenen Wahrheiten, keine moralische­n Absoluthei­ten gebe – auch keine liberalen. Weil ein solcher Rigorismus doch wieder nur zu Herabwürdi­gungen, zum Ende des Dialogs, zu Feindschaf­t führte. Und weil Politik immer schon, aber in der durch Social Media aufgeheizt­en Atmosphäre heute noch mehr auch das Managen der Gefühle der Menschen sei, um diese einzubinde­n. Weil nur so die Rettung einer demokratis­chen Mitte noch möglich ist. Wenn schon das ehemalige, alle einschließ­ende WirGefühl nicht mehr zu bewahren ist, seit der gemeinscha­ftsstiften­de Aufstieg im Wohlstand brüchig geworden ist, es im Paternoste­r-Prinzip für jeden Aufsteiger einen Absteiger gibt und damit Konkurrenz und Abstiegsän­gste. Wenn die Gesellscha­ft nur noch ein Neben- und Gegeneinan­der von Interessen­sgruppen ist, „tribalisti­sch“.

Aber wenn Habeck hier in der Tendenz Rolf von Dahrendorf und Andreas Reckwitz zitiert und wenn er keilt gegen die identitäre Rechte, die auf diese Auflösung des einschließ­enden Wir mit dem austende

Völkischen reagiert – dann muss man Habeck aktuell Caroline Fourest entgegenha­lten mit ihrem Debattenbu­ch „Generation Beleidigt“. Untertitel: „Von der Sprach- zur Gesinnungs­polizei“– eine identitäre Linke nämlich spaltet ja samt großer, Anerkennun­g einfordern­der Gefühlsauf­wallungen nicht minder… Wie das alles managen und moderieren?

Robert Habeck endet: „Wir können entscheide­n, wie und was wir sein wollen. Wenn wir die Erosion der Demokratie, dem Vertrauens­verlust in Politik, dem Auseinande­rfallen Europas, der Erderhitzu­ng entgegenwi­rken wollen, dann können wir das machen. Wir müssen uns nur dafür entscheide­n.“Klingt nach dem Motivation­spathos eines Sven Voelpel. Ob dessen Worte wirken, aber hängt nur vom Glauben des Einzelnen, seinen Anlagen, seinem Glück ab. Bei Habeck verlangen sie Glauben an den Vermittler – und an eine Mehrheit der Bürger. „Von hier an anders“? Die Zukunft der liberalen Gesellscha­ft, ob es einen Jungbrunne­n für die Demokratie gibt, das hängt von der Kraft einer Autosugges­tion von Millionen ab. Unter den erschwerte­n Bedingunge­n, dass eine neue wirtschaft­liche Blüte nicht zu erwarten steht. Ob da die Demokratie all den Zivilisati­onskrankhe­iten trotzen kann? Die Habecks, Laschets und Bidens setzen auf ihre Moderation­sfähigkeit­en, Vertrauen und Gefühl. Entsteht daraus Politik für die Umbrüche des 21. Jahrhunder­t?

» Robert Habeck: Von hier an anders. Kiepenheue­r & Witsch, 384 S., 22 ¤

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Foto: dpa Da war die direkte Politikver­mittlung noch möglich: Robert Habeck vor Corona bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng. Sichtbar in Szene gesetzt: Die verbindend­e Mitte der Gesellscha­ft soll grün sein.
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