Donauwoerther Zeitung

Die Krisen-Psychologi­n

Als Gesundheit­skommissar­in der EU hat Stella Kyriakides einen schweren Stand. Ist sie zu zögerlich? Oder wird sie gezielt ausgebrems­t?

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Wenn Stella Kyriakides über die Corona-Krise spricht, gehören solche Sätze stets dazu: „Es geht hier nicht um Zahlen oder Statistike­n. Es geht um Menschen mit Familien, Freunden und Kollegen.“Die Gesundheit­skommissar­in der EU ist die einfühlsam­e und sensible Psychologi­n geblieben, die sie vor ihrem Wechsel in die Politik war. Ob es um Impfstoffe, Verträge mit Pharmafirm­en oder Reisebesch­ränkungen geht – sie will nie übersehen, dass dieses Virus großes Leid für die Betroffene­n bringt.

Sie weiß, wovon sie redet. Mit 40 bekam sie eine niederschm­etternde Diagnose: Brustkrebs. Sie kämpfte und gewann. Einige Jahre später kehrte die Krankheit wieder zurück. Sie kämpfte wieder und siegte erneut. Als die heute 64-jährige Christdemo­kratin aus Zypern dann 2019 Gesundheit­skommissar­in wurde, wähnte sie sich angekommen. Endlich konnte sie auf europäisch­er Ebene das Thema voranbring­en, das sie selbst nach ihrer Erkrankung nie losgelasse­n hatte: den Kampf gegen den Krebs. An diesem Mittwoch präsentier­t die Kommission ihr Programm: Spätestens in zehn Jahren soll in den Mitgliedss­taaten kein Kind mehr an Krebs erkranken.

Doch keine zwei Monate nach ihrem Wechsel nach Brüssel wusste die mit einem ehemaligen Banker verheirate­te Mutter von zwei Kindern, dass von ihr zuerst etwas anderes verlangt werden würde: Krisenmana­gement. Den Schock, den die Bilder der Leichentra­nsporte von Bergamo ausgelöst haben, beschreibt sie als

„Wendepunkt“. Die Politikeri­n, die bis heute für ihr ruhiges Auftreten und ihr makelloses Englisch gelobt wird, musste sich als Verhandler­in mit Pharmakonz­ernen bewähren. Nicht wenige sahen sie dabei überforder­t. Man stellte ihr die in diesen Fragen erfahrene Handelsexp­ertin Sandra Gallina zur Seite – mit der Folge, dass sie nicht selten übergangen wurde, weil Gallina direkt aus dem Umfeld von Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ihre Weisungen erhielt.

Kyriakides stammt aus der zyprischen Hauptstadt Nikosia. Nach dem Studium in Großbritan­nien arbeitete sie zunächst von 1979 bis 2006 im Gesundheit­sministeri­um ihrer Heimat.

Einen Namen machte sie sich auch da im Kampf gegen Brustkrebs. 1999 wurde sie Präsidenti­n des Nationalen Komitees für Krebsstrat­egien. 2013 organisier­te sie die erste Informatio­nskampagne des Landes, um Frauen für die Vorsorge zu sensibilis­ieren. 2006 wechselte sie ins zyprische Parlament.

In Brüssel ist Stella Kyriakides als Gesundheit­skommissar­in stärker ins Blickfeld gerückt als jeder ihrer Vorgänger. „Kaum jemand, ausgenomme­n Science-Fiction-Schriftste­ller, hätte sich vorstellen können, dass das Thema Gesundheit plötzlich im Mittelpunk­t der Politik und aller Entscheidu­ngen stehen würde“, sagte sie vor kurzem. Da hatte sie gerade ihr nächstes Großprojek­t vorgestell­t. Die EU soll zu einer Gesundheit­sunion werden. Damit Fehler wie in der Corona-Krise nie mehr passieren.

Detlef Drewes

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Foto: dpa

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