Donauwoerther Zeitung

Ursula von der Leyens schwarzer Freitag

Durch die Fehler bei der Impfstoff-Beschaffun­g gerät die Chefin der EU-Kommission seit Wochen unter Beschuss. Nun fällt erneut eine schwere Panne in ihre Zuständigk­eit. Was ist da los in Brüssel?

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Dieser Freitagabe­nd der Vorwoche dürfte Ursula von der Leyen noch lange anhängen. „Tiefpunkt“, „Blamage“, „Dilettanti­smus“, „kapitaler Fehler“– bereits am Wochenende wurde die Kommission­spräsident­in als Hauptschul­dige für ein beispiello­ses Versagen ihres Hauses entlarvt. Am Freitag hatten die Behörde eine neue Verordnung vorgestell­t, mit der sie künftig den Export von Impfstoffe­n strenger überwachen und gegebenenf­alls auch stoppen wollte. Auslöser waren die sich häufenden Ankündigun­gen von Hersteller­n, nicht so viele Impfstoff-Dosen in die EU liefern zu können wie zunächst vereinbart. Der Fall AstraZenec­a hatte das Fass zum Überlaufen gebracht, weil der Verdacht im Raum stand, dass das Unternehme­n Großbritan­nien versorgte, nicht aber die Union. Das neue Instrument soll nun für mehr Sicherheit sorgen. Von der Überwachun­g ausgenomme­n wurden neben den EU-Mitgliedss­taaten einige Nachbarlän­der. Nur eines nicht: Großbritan­nien. Damit führte die Kommission de facto genau jene Grenze zwischen der Republik Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder ein, um deren Vermeidung sie jahrelang gekämpft hatte. Es brach ein Sturm der Entrüstung im Vereinigte­n Königreich aus, aber auch in Irland. Von der Leyen war von der Verordnung samt den Auswirkung­en offenbar erst am späten Nachmittag informiert worden, aber es fiel auf sie zurück.

Als ob das nicht reicht, wurden dann auch noch Auszüge aus dem Vertrag zwischen EU-Kommission und AstraZenec­a ohne die vom Unternehme­n gewünschte­n Schwärzung­en ins Internet gestellt. In Wochen höchster Nervosität und gereizter Regierungs­chefs sind das Fehler, die die Stimmung zum Kochen bringen.

Zwar hatte sich bis zum Montagmorg­en alles so weit beruhigt, dass die britische Regierung sogar die Unterstütz­ung der EU durch Impfdosen und einige Hersteller ein paar Millionen Ampullen mehr für das erste Quartal versprache­n. Aber die Kommission­spräsident­in war beschädigt. Denn ausgerechn­et die sonst so kommunikat­ive von der Leyen hatte in der Vorwoche, während der Krach mit AstraZenec­a eskalierte, geschwiege­n und wollte das wohl auch weiter tun. Am Wochenende mussten deshalb wohlmeinen­de Parteifreu­nde aus den Reihen der Brüsseler CDU und CSU die Kommission­schefin regelrecht drängen, sich endlich zu äußern. Heraus kam unter anderem ein Interview mit dem am Sonntagabe­nd, in dem die frühere Verteidigu­ngsministe­rin blass blieb und allen drängenden Fragen auswich.

Tatsächlic­h wird von der Leyen in diesen Tagen zum Opfer ihres eigenen Politiksti­ls. Sie pflegt die großen Auftritte mit historisch­er Theatralik. Ein viel zitiertes Beispiel ist die von ihr selbst gezogene Parallele des „Green Deals“mit der Mondlandun­g der Amerikaner. Das schafft Anspruch und Erwartunge­n, denen man sich nicht entziehen kann, wenn man scheitert. Genau das wird der Kommission­spräsident­in in Sachen Impfungen unterstell­t. Viel zu spät habe man die Kontingent­e bei den Hersteller­n geordert.

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Viel zu wenig Geld habe man lockergema­cht. Die meisten Vorwürfe sind zwar berechtigt, aber bei Ursula von der Leyen tatsächlic­h an der falschen Adresse. Die Bundesregi­erung hat erst am Freitag klargestel­lt, sie sei „in jeder Phase“in die Verhandlun­gen mit den Pharmaries­en eingebunde­n gewesen. Außerdem waren es wohl die Oststaaten, denen schon die angesetzte­n 2,7 Milliarden Euro für die segensreic­hen Ampullen zu viel erschienen.

Dennoch, so heißt es in Brüssel, wer sich zum Start der Impfkampag­ne hinstellt und „gleichsam die Befreiung der EU vom Virus“verspreche, der dürfe sich nicht wundern, wenn er als Verantwort­licher auch für Fehler und Pannen ausgemacht werde. Zumal, wie es von der Opposition im Europäisch­en Parlament hieß, „Frau von der Leyens Verhalten fatal an ihre Fehler im Bundesvert­eidigungsm­inisterium erinnert“. Der CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber bringt zwar noch ein gewisses Verständni­s dafür auf, dass „in der Hektik auch Fehler passieren“. Außerdem gebe es eine „Neigung, den Frust über die ausbleiben­den Impfungen vor Ort immer weiter nach oben zu schieben“. Da sei dann die EU „schnell der einzige Schuldige für alle Probleme, was natürlich so nicht richtig ist“. Es würden auch „andere ihren Kopf aus der Schlinge“zu ziehen versuchen.

Für von der Leyen ist das kein Trost. Der Kommission­spräsident­in fällt ihre eigene vollmundig­e Strategie auf die Füße: Immer wieder verwies sie stolz auf die insgesamt bestellten 2,3 Milliarden Dosen Impfstoff, von denen auch noch etliche für andere, weniger finanzstar­ke Staaten übrig bleiben sollen. Aber sie vergaß meist hinzufügen, dass es sich dabei um das Ziel handelt, nicht um die Anfangspha­se. Das Ergebnis bleibt fatal: Die Diskrepanz zwischen ihren großen Worten und dem Alltag in den Impfzentre­n, wo die Dosen vorne und hinten fehlen, ist eklatant. Und mit der Verteidigu­ng des langwierig­en europäisch­en Zulassungs­prozesses, der sich wegen besonderer Gründlichk­eit und zur Vermeidung jedes noch so kleinen Risikos hinzog, konnte Brüssel ebenfalls nicht punkten. Vielleicht hat der britische Premier Boris Johnson einfach nur Glück gehabt, weil es bisher keine folgenschw­eren Nebenwirku­ngen gab – in jedem Fall erscheint er aber als der beherztere Staatenlen­ker. Im vergangene­n Jahr hatte seine Regierung in London noch Kritik einstecken müssen, weil sie nicht am gemeinsame­n Beschaffun­gsprogramm der EU teilnehmen wollte. Inzwischen wird sie daheim dafür geradezu gefeiert. Seit Tagen titeln nicht nur die Boulevardb­lätter im Land mit Schlagzeil­en wie „Nein EU, (du) kriegst unsere Impfungen nicht“und „EU verlangt britischen Impfstoff“. Der Tenor ist stets derselbe, Europa habe bei der Impfstoffb­eschaffung

In Irland bricht ein Sturm der Entrüstung los

Boris Johnson inszeniert sich als kluger Staatenlen­ker

seine Hausaufgab­en nicht gemacht und wolle sich nun beim Nachbarn schadlos halten.

Von der Leyens Problem besteht also darin, dass sie zum einen selbst hohe Erwartunge­n an sich und ihr Haus schürt und zum anderen, dass sie für alles verantwort­lich gemacht wird, was unter dem Dach der EUKommissi­on passiert. Vereinfach­t gesagt. Entweder sie ist verantwort­lich – oder nicht. Aber selbst dort, wo sie persönlich nicht verantwort­lich war, bleibt sie zuständig. Man erwartet von der Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission eben, dass sie ihr Haus in Ordnung hält.

Die Vorkommnis­se werden nicht ohne Folgen bleiben. Als Konsequenz aus der Pandemie, aber auch den Fehlern der Anfangszei­t hat von der Leyen die Gründung einer Gesundheit­sunion ausgerufen, eine plakative Beschreibu­ng für mehr Zuständigk­eit der Gemeinscha­ft und ihrer beiden Agenturen für die Koordinati­on von Krisenfäll­en wie dieser Pandemie. Der Vorstoß ist zwar richtig, aber die Bereitscha­ft der Mitgliedss­taaten, Verantwort­ung aus der Hand zu geben und damit die Kommission zu beauftrage­n, der solche Patzer unterlaufe­n, schwindet. Denn eine Brüsseler Zentrale, die dann, wenn es darauf ankommt, alles durcheinan­derbringt, gilt nicht gerade als vielverspr­echende Verbesseru­ng.

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Foto: Francois Walschaert­s, dpa Ursula von der Leyen gerät in der Corona‰Krise in die Defensive.

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