Donauwoerther Zeitung

Das Militär putscht gegen die „Lady“

Der Konflikt zwischen den mächtigen Generälen und der „faktischen“Regierungs­chefin Aung San Suu Kyi schwelt seit Wochen. Die von der Bevölkerun­g verehrte Friedensno­belpreistr­ägerin ruft zum Widerstand auf

- VON SIMON KAMINSKI

Naypyidaw Die Kernfrage lautete seit Jahren: Wie groß ist die Macht der Frau, für die die Bezeichnun­g „faktische Regierungs­chefin“erfunden wurde? Darauf haben die Militärs jetzt eine Antwort gegeben: Die Armee hat geputscht, den Ausnahmezu­stand verhängt und Aung San Suu Kyi festsetzen lassen. Ob diese Antwort der Streitkräf­te das letzte Wort ist, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Aung San Suu Kyi hat ihre Landsleute, die die 75-Jährige noch immer verehren, in einer Erklärung auf Facebook dazu aufgerufen, Widerstand zu leisten. Das Militär beteuerte gestern, dass es in einem Jahr Neuwahlen und eine Rückkehr zur Demokratie geben werde.

Die Informatio­nen aus der Hauptstadt Naypyidaw fließen nur spärlich. Es gibt Berichte über Militärein­heiten, die in den Straßen patrouilli­eren. Opposition­elle meldeten sich in den sozialen Medien zu Wort und forderten die Soldaten auf, sich in die Kasernen zurückzuzi­ehen. Neuer starker Mann ist Armeechef Min Aung Hlaing. Unstrittig ist, dass die Friedensno­belpreistr­ägerin San Suu Kyi nach wie vor die Mehrheit der Bevölkerun­g im früheren Birma hinter sich hat. Sie gilt in dem buddhistis­ch geprägten Land weiterhin als Ikone.

Am 19. Juni 1945 wurde Aung San Suu Kyi im damals von den Briten besetzten Birma als Tochter des Generals Aung San geboren. Der Vater war ein charismati­scher Freiheitsk­ämpfer und hat bis heute den Status eines Nationalhe­lden – 1947 wurde er von politische­n Gegnern im Alter von 32 Jahren ermordet.

Die Tochter war einige Jahre im Ausland. Sie arbeitete als Wissenscha­ftlerin in New York, heiratete in Oxford einen britischen Historiker, der 2009 starb. Später ging sie nach Japan. Erst als ihre Mutter 1988 lebensgefä­hrlich erkrankte, kehrte sie zurück in ihre Heimat. Das Land wurde nach dem Putsch von 1962 von einem Militärreg­ime regiert. Aung San Suu Kyi schloss sich, entsetzt über die verzweifel­te Lage im Land, der Demokratie­bewegung an. Schnell stand sie in der ersten Reihe der Opposition – das lag sicher an ihrer prominente­n Herkunft, aber auch an ihrer Ausstrahlu­ng. Eine Melange aus Würde, Eleganz und natürliche­r Autorität. Die Führung der Streitkräf­te war sich der Gefahr bewusst, die von der Frau mit den Blumen im Haar für ihren Machtanspr­uch ausging. Nach freien Wahlen im Jahr 1990 wurde die Repression wieder verstärkt. Insbesonde­re nachdem sie 1991 den Friedensno­belpreis erhalten hatte. Mit Unterbrech­ungen verbrachte Aung San Suu Kyi, die von ihren Anhängern stets Gewaltlosi­gkeit verlangte, 15 Jahre in Hausarrest. Sie weigerte sich beharrlich, das Land zu verlassen. Meditation und Musizieren, so erzählte sie später, hätten ihr geholfen, die Isolation zu ertragen.

Doch im Jahr 2011 lockerte das Militär die Fesseln. Aung San Suu Kyi, die in Myanmar respektvol­l „Lady“genannt wird, trat 2012 für ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), bei den Unterhausw­ahlen an. Sie wurde Opposition­sführerin. Eigentlich schien der nächste Schritt folgericht­ig: die Kandidatur für die Präsidents­chaft. Doch ein obskurer Passus in der Verfassung von 2008 verwehrte ihr dies – als Witwe eines Ausländers und mit Kindern, die die britische Staatsange­hörigkeit hatten, durfte sie 2015 nicht antreten. Die NLD landete dennoch einen Erdrutschs­ieg. Doch eine Verfassung­sklausel sicherte dem Militär ein Viertel der Mandate und damit eine Sperrminor­ität

für Verfassung­sänderunge­n. So wurde Aung San Suu Kyi zur „faktischen Regierungs­chefin“. Im Land eskalierte zu dieser Zeit ein Konflikt, der ihre Reputation im Ausland nachhaltig beschädige­n sollte. Die nicht anerkannte muslimisch­e Minderheit der Rohingya begehrt gegen ihre systematis­che Unterdrück­ung auf. Zehntausen­de flüchteten nach Bangladesc­h. Der UN-Hochkommis­sar für Menschenre­chte, Seid al-Hussein, sprach gar von einer gewaltsame­n Vertreibun­g, die „ein Paradebeis­piel für ethnische Säuberunge­n“sei. Aung San Suu Kyi ging nicht entschloss­en gegen die Diskrimini­erung vor. Aus wahltaktis­chen Gründen, monierten Kritiker. Zudem wurde ihr Regierungs­stil in den letzten Jahren deutlich autoritäre­r. Aktuell gab es Konflikte mit der Armee, die ihr vorwerfen, für Wahlmanipu­lationen im November 2020 verantwort­lich zu sein.

Doch nun geht in Myanmar die Furcht um, dass das Militär die moderaten demokratis­chen Reformen wieder kassiert und dem Land erneut eine bleierne Zeit unter der Knute der Generäle bevorsteht.

 ?? Foto: dpa ?? Anhänger von Aung San Suu Kyi protes‰ tieren in Thailand gegen den Putsch durch die Militärs.
Foto: dpa Anhänger von Aung San Suu Kyi protes‰ tieren in Thailand gegen den Putsch durch die Militärs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany