Donauwoerther Zeitung

Politik mit Impfstoffe­n in Nahost

Wie Corona China und Russland hilft, ihren Einfluss auszubauen

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Nicht nur in Europa herrscht Mangel an Impfstoffe­n gegen das Corona-Virus. Die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE), die schon jeden dritten Bewohner des Landes geimpft haben und damit weltweit auf Platz zwei hinter Israel liegen, mussten Impftermin­e verschiebe­n, weil es Nachschubp­robleme mit dem Präparat von BioNTech/Pfizer gibt. Doch anders als viele Länder haben die VAE eine Alternativ­e: Die Behörden impfen nun zusätzlich mit dem Präparat des chinesisch­en Hersteller­s Sinopharm. Mit Unterstütz­ung Chinas seien die VAE auf bestem Wege, zum „Impfzentru­m des Nahen Ostens“zu werden, freute sich die chinesisch­e Global Times. Denn die VAE und Ägypten, das von den Emiraten Sinopharm-Vakzin erhalten hat, zählen eigentlich zu den engsten arabischen Partnern der USA in der Region.

Wie die VAE versuchen der Irak, Jordanien und Bahrain, ihre Abhängigke­it von westlichen Produkten zu senken. Die Türkei setzt sogar komplett auf China und verimpft ausschließ­lich das Präparat von Sinovac, einem weiteren Hersteller aus China. Auch für das russische Vakzin Sputnik V gibt es Abnehmer: Der Iran erwartet gerade die erste Lieferung. Revolution­sführer Ali Khamenei hat andere Impfstoffe verboten. Begründung: Er traue dem Westen nicht. Auch Tunesien, Algerien, VAE und Palästina haben das russische Mittel zugelassen.

In der Türkei will das Unternehme­n VisCoran den russischen Impfstoff in Lizenz herstellen und verteilen lassen. Exporte in andere Länder seien möglich, sobald der türkische Bedarf gedeckt sei, heißt es. Bei der Vereinbaru­ng mit Russland hoffen die Türken auf den Technologi­etransfer, den westliche Hersteller meist nicht einräumen: Der Iran will Sputnik V selbst herstellen, die VAE das Sinopharm-Präparat.

Der Zugang zu Medizin-Knowhow ist nur einer der Vorteile für Kunden von Russland und China: Die Impfstoffe können in normalen Kühlschrän­ken aufbewahrt werden und sind deutlich billiger und in ausreichen­der Mengen vorhanden. China und Russland können sich so neue Märkte für ihre pharmazeut­ischen Industrien erschließe­n, was ohne Pandemie wohl nicht so einfach wäre. Vor allem aber können Peking und Moskau ihre „soft power“– ihre Einflussna­hme durch Diplomatie, Kultur oder Wirtschaft – im Nahen Osten erhöhen. Beide Länder setzten ihre Impfstoffe als „diplomatis­che Werkzeuge“im Konkurrenz­kampf mit den USA ein, kommentier­te denn auch die Online-Zeitung The New Arab.

China ist ohnehin ein wichtiges Land für die Region: Nahost-Staaten liefern fast die Hälfte des chinesisch­en Ölimports. Chinesisch­e Firmen bauen im Gegenzug milliarden­schwere Infrastruk­turprojekt­e wie Tunnel, Flughäfen und Eisenbahnl­inien. In Chinas strategisc­hem Plan für eine „Neue Seidenstra­ße“ist der Nahe Osten als Scharnier zwischen China, Afrika und Europa wichtig.

Die Pandemie eröffnet Peking neue Möglichkei­ten. Zuerst schickte China medizinisc­he Hilfsgüter wie Masken in viele Länder, jetzt ist das Land mit Impfstoffe­n rasch zur Stelle. Auch Russland hat Interesse an engeren Beziehunge­n zum Nahen Osten. Bisher liefert Moskau neben Waffen vor allem Nukleartec­hnologie: Russische Firmen bauen in der Türkei und in Ägypten die jeweils ersten Atomkraftw­erke. Zudem profitiert Russland – etwa in Syrien – vom Rückzug der USA.

Medizinpro­dukte als „diplomatis­che Werkzeuge“

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