Donauwoerther Zeitung

„Elitesolda­ten, die zu Extremiste­n werden“

Der Autor Dirk Laabs hat über die Gefahr recherchie­rt, die von rechtsradi­kalen Männern bei den Streitkräf­ten oder der Polizei ausgeht. In seinem aktuellen Buch beschreibt er, wie sie sich mit zivilen Gruppen zusammensc­hließen

- Interview: Simon Kaminski

Für Ihr Buch „Staatsfein­de in Uniform“– es ist aktuell im Econ Verlag erschienen – haben Sie intensiv mit vielen Protagonis­ten der NeonaziSze­ne und Experten gesprochen, braune Netzwerke analysiert. Ist Ihre Sorge in der Zeitspanne vom Beginn der Recherche bis zum Druck Ihrer Analyse gewachsen?

Dirk Laabs: Ganz klar – meine Sorge ist in den zwei Jahren, die ich für mein Buch recherchie­rt habe, gewachsen. Wir sprechen von einer konkreten rechtsterr­oristische­n Gefahr in Deutschlan­d, die von Soldaten ausgeht.

Wie begegnen Sie dem Reflex, Gefahren als besonders groß zu bewerten, mit denen man sich intensiv befasst?

Laabs: Natürlich muss man da aufpassen. Bei mir war es so, dass ich 2017 Reportagen im Focus und der

taz gelesen habe, in denen eine rechtsradi­kale Schattenar­mee beschriebe­n wurde. Ich dachte damals: „Leute, ist das nicht vielleicht etwas übertriebe­n?“Doch als ich dann für die ZDF-Doku „Angriff von innen“in dieses Thema eingestieg­en bin, wurde mir klar, dass sich in diesem Bereich vielleicht keine Schattenar­mee, aber eine reale terroristi­sche Bedrohung entwickelt. Es geht schließlic­h unter anderem um Elitesolda­ten, die zu Extremiste­n geworden sind. Ich wollte dann genau wissen, was ist da passiert?

Was haben Sie gefunden?

Laabs: Bei meinen Treffen mit solchen Leuten habe ich schnell gemerkt, dass die Leute sich häufig in irrational­e Ängste verrannt haben. Sie fürchten – insbesonde­re seit 2015 –, dass angeblich Fremde die Macht in Deutschlan­d übernehmen, glauben, dass die eigene Regierung das Land zerstören will. Sie sind daher davon überzeugt, eine Mission zu haben. Sie glauben, selber die Guten zu sein und dass nur sie Deutschlan­d retten können. Ich recherchie­re seit 20 Jahren in der terroristi­schen Szene, habe auch in den USA oder Afghanista­n zum islamistis­chen Terror gearbeitet: Bei der Al-Kaida tickten viele Leute im Prinzip genauso. Man glaubt, auserwählt zu sein.

Sie beschreibe­n regionale rechtsextr­eme Netzwerke, die sich wiederum untereinan­der vernetzt haben. Welche Dimensione­n hat dieses Phänomen?

Laabs: Das Bundeskrim­inalamt geht von 12700 gewaltbere­iten Neonazis aus. Darunter sind aktive Rechtsextr­emisten, die zum Beispiel verbotene Organisati­onen unterstütz­en, Waffenlage­r anlegen, Leute ausspähen und bereits schwere Straftaten begangen haben. Relativ neu ist die Gruppe von Soldaten und Polizisten, die sich radikalisi­ert haben. Wir sprechen über einen harten Kern von rund 200 Männern, die wiederum den Kontakt zu Zivilisten suchen, die ebenfalls verfassung­sfeindlich­e Ansichten haben. Wenn Elitesolda­ten sich mit weit rechts stehenden ehemals bürgerlich­en Extremiste­n und rechten Straßensch­lägern zusammensc­hließen, dann ist das eine sehr gefährlich­e Gemengelag­e.

Mit Elitesolda­ten meinen Sie unter anderem Mitglieder des Kommandos Spezialkrä­fte (KSK)?

Laabs: Ja, zum Beispiel. KSK-Soldaten sind am Ende Werkzeuge, die machen, was die Offiziere ihnen sagen. Die Rechtsextr­emen in ihren Reihen sind daher meist keine strategisc­hen Köpfe. Das ist die gute Nachricht. Sie sind auch oft sehr redselig. Auch sie glauben daran, dass sie Deutschlan­d retten müssen, etwa vor Ausländern, ihr Feindbild Nr. 1. Viele der Problemfäl­le waren zudem in Afghanista­n. Was das KSK dort so getrieben hat, ist noch nicht ausreichen­d bekannt. Der Verdacht besteht, dass viele KSK-Soldaten Kriegsverb­rechen zumindest beobachtet haben. Einige dürften traumatisi­ert sein. Für manche Rückkehrer geht der Krieg im Kopf weiter, wenn sie nach Hause kommen.

„Kameradenv­errat ist nach wie vor eine Todsünde“wird der Hamburger Polizei-Experte Rafael Behr in Ihrem Buch zitiert. Stimmen Sie zu?

Laabs: Das ist der entscheide­nde Faktor. Wenn jemand beim KSK in den Verdacht geriet, „Whistleblo­wer“zu sein, also zum Beispiel rechtsextr­eme Vorfälle gemeldet hat, dann wurde er oft systematis­ch fertiggema­cht, die Problemfäl­le machten Karriere. Das soll sich jetzt ändern.

Gibt es keinen Schutz für diejenigen, die verfassung­streu sind?

Laabs: Das ist ja das Schlimme. Nur eine Minderheit ist rechtsextr­em, aber die Mehrheit hat beim KSK viele Jahre zugeschaut und geschwiege­n. Wenn etwas dann doch an die Öffentlich­keit kam, fand sich niemand, der Verantwort­ung für die Zustände übernehmen wollte. Versagt haben viele Offiziere und Kommandant­en, denn wer schweigt, nicht eingreift, macht sich mitschuldi­g. Man stelle sich vor, sogar ein früherer KSK-Chef – Reinhard Günzel – hat offensiv die Wehrmacht verherrlic­ht, und auch manche Ausbilder, die so tickten, wurden geduldet.

Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat ja gedroht, das KSK aufzulösen, wenn eine Reform nicht gelingt.

Laabs:

Der Weg ist richtig, auch wenn die Reaktion sehr spät kommt und die Probleme sich daher sehr tief in die Struktur fressen konnten. Jetzt muss der Druck dauerhaft hochgehalt­en werden. Meine Sorge ist, dass die Verantwort­lichen wieder in den alten Trott verfallen, wenn die Öffentlich­keit das Interesse verliert, ein anderes Problem im Mittelpunk­t steht.

Politiker warnen vor Generalver­dacht gegen Polizei oder Militär. Es handele sich um Einzelfäll­e, heißt es. Ist das Blauäugigk­eit oder hat das System?

Laabs: Das hat System. Die Furcht vor dem Skandal ist groß. So wie vor zwei Jahren in Bayern. 100 Schuss Munition, die für das Sonderkomm­ando USK mit Standorten in München und Dachau bestimmt waren, wurden bei einer Durchsuchu­ng gegen die rechtsextr­eme Gruppe Nordkreuz in Mecklenbur­g gefunden.

Sie haben nachgefrag­t.

Laabs: Das bayerische Innenminis­terium hat zunächst alles abgestritt­en, obwohl die Staatsanwa­ltschaft Schwerin längst Beweise vorgelegt hatte. Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) gab sich trotzdem weiter ahnungslos. Erst später, nach weiteren Nachfragen, räumte das Innenminis­terium in München ein, dass in dieser Sache ermittelt wurde. Bis heute ist aber dabei nicht viel herausgeko­mmen. Das muss man sich vorstellen: Munition für eine Sondereinh­eit landet bei Rechtsextr­emen – ein riesiger Skandal. Und das Ministeriu­m mauert, sitzt die Sache aus, ist an einer Aufklärung gar nicht interessie­rt.

Was erwarten Sie von der Politik?

Laabs: Es gibt eine zunehmende Zahl von Politikern, die aufräumen wollen, wenn es um rechte Strukturen bei der Bundeswehr oder der Polizei geht. Wer dort rechtsextr­eme Netzwerke aufbaut, muss wissen, dass das für ihn schwere Konsequenz­en haben wird. Gleichzeit­ig muss auch im Kampf gegen Extremiste­n immer ganz genau darauf geachtet werden, dass die Rechtsstaa­tlichkeit gewahrt bleibt. Immerhin scheint der neue Chef des Verfassung­sschutzes, Thomas Haldenwang, die Gefahr von rechts erkannt zu haben. Das war bei seinem Vorgänger Hans-Georg Maaßen anders.

Welche Rolle spielt die AfD für rechtsextr­eme Netzwerke?

Laabs: Die AfD ist ein Brandbesch­leuniger, nicht der Auslöser. In den Reihen der Partei finden sich allerdings viele Ex-Militärs und Polizisten, die zum Teil rechtsextr­emistische­n Gruppen nahestehen.

Kann die rechtsextr­eme Szene die Corona-Krise für ihre Zwecke nutzen?

Laabs: Die Pandemie ist für die rechtsextr­emen Netzwerke ein Geschenk des Himmels. In Katastroph­ensituatio­nen ist es leichter, neue Mitstreite­r zu rekrutiere­n; viele Mitglieder der Bewegung hängen ja auch hartnäckig Verschwöru­ngstheorie­n an, sind etwa CoronaLeug­ner.

Sie bewegen sich bei Ihren Recherchen in einem gefährlich­en Umfeld. Fürchten Sie um Ihre Sicherheit?

Laabs: Natürlich bin ich vorsichtig. Trotzdem behandele ich Mitglieder der rechten Szene genau wie andere Objekte meiner Recherchen auch. Ich achte darauf, fair zu sein. Es gehört zur Profession­alität auch dazu, die Gespräche nie auf eine persönlich­e Ebene zu ziehen – egal wie heftig die Dinge sind, die geäußert werden.

Dirk Laabs, 47, ist Autor und Filmemache­r. Er gilt als internatio­nal gefragter Experte für Terrorismu­s und Extremismu­s.

 ?? Foto: Franziska Kraufmann, dpa ?? Mitglieder des Kommandos Spezialkrä­fte (KSK) beim Training. Die Einheit wird reformiert, weil sich rechtsextr­eme Vorfälle ge‰ häuft hatten. Verteidigu­ngsministe­rin Kramp‰Karrenbaue­r dachte sogar an eine Auflösung.
Foto: Franziska Kraufmann, dpa Mitglieder des Kommandos Spezialkrä­fte (KSK) beim Training. Die Einheit wird reformiert, weil sich rechtsextr­eme Vorfälle ge‰ häuft hatten. Verteidigu­ngsministe­rin Kramp‰Karrenbaue­r dachte sogar an eine Auflösung.
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