Ein VideospielHändler erschüttert die Börsen
Der Kurs von Gamestop schießt in atmenberaubende Höhen, Kleinanleger und Hedgefonds liefern sich in den USA ein Kräftemessen. Es gibt auch Filialen in der Region, die Deutschland-Zentrale liegt in Memmingen
Augsburg Kennen Sie Gamestop? Nein? Wenn man nicht gerade Videospiele spielt, ist dies im Normalfall auch nicht nötig. Das US-Unternehmen verkauft Computerspiele, die Wurzeln liegen in den 80er Jahren, gegründet wurde die Firma damals unter anderem von Gary Kusin, einem Absolventen der Harvard Business School. In Deutschland betreibt Gamestop über 200 Läden, auch in unserer Region. Die Deutschland-Zentrale liegt in Memmingen. Gamestop wäre trotzdem ein Händler von vielen, wäre das Unternehmen nicht in den USA an der Börse notiert und Gegenstand eines Kräftemessens zwischen einem Schwarm an Kleinanlegern auf der einen Seite und mächtigen Hedgefonds auf der anderen Seite. Die Folgen versetzten die Finanzmärkte wenn nicht in Panik, so doch in Tiefe Sorge und wirbeln die Börsen seit vergangener Woche auf.
Was ist passiert? Der Verkauf von Computerspielen in Läden gilt eigentlich längst nicht mehr als großes Zukunftsgeschäft. Spiele können inzwischen auch heruntergeladen werden. Gamestop hat zuletzt massenhaft Filialen geschlossen, der Aktienkurs dümpelte lange Zeit bei drei bis vier Dollar. Erst seit Ende des vergangenen Jahres legte der Kurs wieder zu, als Investor Ryan Cohen Gamestop helfen wollte, den Online-Vertrieb zu stärken.
In den vergangenen zwei Wochen schoss die Gamestop-Aktie regelrecht in die Höhe – um bis zu 2000 (!) Prozent. Hauptgrund für die Kursexplosion scheint zu sein, dass massenhaft Kleinanleger auf neuen US-Handelsplattformen wie Reddit und Robinhood die Papiere des Videospielhändlers kauften. Dabei organisieren sich die Hobbyhändler in Foren wie zum Beispiel „Wall Street
Bets“. In konzertierten Käufen können sie viel bewegen. Der Kurs schoss in die Höhe. Motiviert haben dürfte dabei viele Kleinaktionäre, dass auch große Spieler die Gamestop-Aktie im Visier hatten: große Hedgefonds. Sich an Hedgefonds – großen Finanzinvestoren, die auf Rendite aus sind – zu reiben, hat für bestimmte Kleinanleger einen eigenen Reiz. „Die konzertierten Käufe haben auch einen soziopolitischen Hintergrund“, sagt Robert Halver, Finanzmarktspezialist der Baader Bank. Die Hobbyhändler könnten zum Beispiel aus dem Umfeld der früheren Occupy-Wallstreet-Bewegung kommen. Für sie sind Hedgefonds die Speerspitze des bösen Kapitalismus.
Jetzt könnte es – mit einem gewissen Charme – einfach das Hobby von Privatanlegern sein, sich mit Hedgefonds zu messen, hätte der Fall Gamestop nicht zu massiven Marktverwerfungen geführt. Das Problem: Die großen Investoren hatten auf fallende Kurse spekuliert. Als sogenannte „Shortseller“verkaufen sie beispielsweise Aktien, die sie sich geliehen haben, und versprechen, sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzugeben. Wenn zu diesem späteren Zeitpunkt die Aktie im Kurs gefallen ist, schlagen die
Händler zu, um den Deal zu bedienen. Die Differenz ist der Gewinn. Doch das Geschäft ist riskant.
Finanzexperte Halver nennt ein Beispiel: Angenommen, man verkauft Aktien zum Wert von 100 Euro in der Hoffnung, dass ihr Wert auf 20 Euro sinkt, um sie dann zurückzukaufen und 80 Euro Gewinn zu machen. „Wenn dann der Wert auf 200 oder 300 Euro steigt und der Investor gezwungen ist, sie trotzdem zu erwerben, um sein Versprechen einzulösen, entstehen riesige Verluste – man hat mit Zitronen gehandelt“, sagt Halver.
Dies ist Hedgefonds im Gamestop-Fall passiert. Die Verluste der Fonds gehen in den Milliarden-Dollar-Bereich. Weshalb entsteht daraus aber ein Problem für den ganzen Finanzmarkt? „Wenn plötzlich Milliarden Dollar fehlen, könnten die Fonds gezwungen sein, Aktien, Gold oder Immobilien zu verkaufen, um genügend Liquidität zu haben“, sagt Halver. Solche großen Verkäufe können Verwerfungen in ganzen Volkswirtschaften zur Folge haben, wenn plötzlich Kurse sinken. „Am Ende hätte man eine finale Finanzkrise, bei der abermals der Staat als Retter einspringen muss.“
Zeitweise sprang der GamestopKurs auf rund 500 US-Dollar. Die
Handelsplattform Robinhood zog dann offenbar die Notbremse und setze Käufe des Papiers aus. In Deutschland stoppte der OnlineHändler Trade Republic am Donnerstag vergangener Woche auf ähnliche Weise den Handel mit Papieren der Kinokette AMC, von Blackberry und Nokia, die anscheinend ebenfalls Gegenstand von Spekulationen sind. Aber ist es legitim, Kleinanleger plötzlich vom Handel mit Aktien abzuschneiden? Das ist die andere Seite. Die Staatsanwaltschaft Texas ist alarmiert und befürchtet Absprachen zwischen Handelsplattformen und Hedgefonds, die ihre Dominanz gefährdet sehen könnten. Die US-Börsenaufsicht will die Vorgänge untersuchen und Kleinanleger schützen.
Für Börsen-Experte Halver ist indes klar, dass Vorgänge wie diese „Auswüchse einer Geldpolitik außer Rand und Band sind“, wie er sagt. „Grundübel ist das billige Geld der Zentralbanken. Gäbe es ausreichend Zinsen, könnte man sich solche Spekulationen kaum erlauben.“
Gamestop-Gründer Gary Kusin, inzwischen 69, hat das Geschehen übrigens von der Seitenlinie aus beobachtet, berichtet
„Ich habe mir nur etwas Popcorn geholt.“
Der Aktionär.