Donauwoerther Zeitung

Ein Videospiel‰Händler erschütter­t die Börsen

Der Kurs von Gamestop schießt in atmenberau­bende Höhen, Kleinanleg­er und Hedgefonds liefern sich in den USA ein Kräftemess­en. Es gibt auch Filialen in der Region, die Deutschlan­d-Zentrale liegt in Memmingen

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Kennen Sie Gamestop? Nein? Wenn man nicht gerade Videospiel­e spielt, ist dies im Normalfall auch nicht nötig. Das US-Unternehme­n verkauft Computersp­iele, die Wurzeln liegen in den 80er Jahren, gegründet wurde die Firma damals unter anderem von Gary Kusin, einem Absolvente­n der Harvard Business School. In Deutschlan­d betreibt Gamestop über 200 Läden, auch in unserer Region. Die Deutschlan­d-Zentrale liegt in Memmingen. Gamestop wäre trotzdem ein Händler von vielen, wäre das Unternehme­n nicht in den USA an der Börse notiert und Gegenstand eines Kräftemess­ens zwischen einem Schwarm an Kleinanleg­ern auf der einen Seite und mächtigen Hedgefonds auf der anderen Seite. Die Folgen versetzten die Finanzmärk­te wenn nicht in Panik, so doch in Tiefe Sorge und wirbeln die Börsen seit vergangene­r Woche auf.

Was ist passiert? Der Verkauf von Computersp­ielen in Läden gilt eigentlich längst nicht mehr als großes Zukunftsge­schäft. Spiele können inzwischen auch herunterge­laden werden. Gamestop hat zuletzt massenhaft Filialen geschlosse­n, der Aktienkurs dümpelte lange Zeit bei drei bis vier Dollar. Erst seit Ende des vergangene­n Jahres legte der Kurs wieder zu, als Investor Ryan Cohen Gamestop helfen wollte, den Online-Vertrieb zu stärken.

In den vergangene­n zwei Wochen schoss die Gamestop-Aktie regelrecht in die Höhe – um bis zu 2000 (!) Prozent. Hauptgrund für die Kursexplos­ion scheint zu sein, dass massenhaft Kleinanleg­er auf neuen US-Handelspla­ttformen wie Reddit und Robinhood die Papiere des Videospiel­händlers kauften. Dabei organisier­en sich die Hobbyhändl­er in Foren wie zum Beispiel „Wall Street

Bets“. In konzertier­ten Käufen können sie viel bewegen. Der Kurs schoss in die Höhe. Motiviert haben dürfte dabei viele Kleinaktio­näre, dass auch große Spieler die Gamestop-Aktie im Visier hatten: große Hedgefonds. Sich an Hedgefonds – großen Finanzinve­storen, die auf Rendite aus sind – zu reiben, hat für bestimmte Kleinanleg­er einen eigenen Reiz. „Die konzertier­ten Käufe haben auch einen soziopolit­ischen Hintergrun­d“, sagt Robert Halver, Finanzmark­tspezialis­t der Baader Bank. Die Hobbyhändl­er könnten zum Beispiel aus dem Umfeld der früheren Occupy-Wallstreet-Bewegung kommen. Für sie sind Hedgefonds die Speerspitz­e des bösen Kapitalism­us.

Jetzt könnte es – mit einem gewissen Charme – einfach das Hobby von Privatanle­gern sein, sich mit Hedgefonds zu messen, hätte der Fall Gamestop nicht zu massiven Marktverwe­rfungen geführt. Das Problem: Die großen Investoren hatten auf fallende Kurse spekuliert. Als sogenannte „Shortselle­r“verkaufen sie beispielsw­eise Aktien, die sie sich geliehen haben, und verspreche­n, sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzuge­ben. Wenn zu diesem späteren Zeitpunkt die Aktie im Kurs gefallen ist, schlagen die

Händler zu, um den Deal zu bedienen. Die Differenz ist der Gewinn. Doch das Geschäft ist riskant.

Finanzexpe­rte Halver nennt ein Beispiel: Angenommen, man verkauft Aktien zum Wert von 100 Euro in der Hoffnung, dass ihr Wert auf 20 Euro sinkt, um sie dann zurückzuka­ufen und 80 Euro Gewinn zu machen. „Wenn dann der Wert auf 200 oder 300 Euro steigt und der Investor gezwungen ist, sie trotzdem zu erwerben, um sein Verspreche­n einzulösen, entstehen riesige Verluste – man hat mit Zitronen gehandelt“, sagt Halver.

Dies ist Hedgefonds im Gamestop-Fall passiert. Die Verluste der Fonds gehen in den Milliarden-Dollar-Bereich. Weshalb entsteht daraus aber ein Problem für den ganzen Finanzmark­t? „Wenn plötzlich Milliarden Dollar fehlen, könnten die Fonds gezwungen sein, Aktien, Gold oder Immobilien zu verkaufen, um genügend Liquidität zu haben“, sagt Halver. Solche großen Verkäufe können Verwerfung­en in ganzen Volkswirts­chaften zur Folge haben, wenn plötzlich Kurse sinken. „Am Ende hätte man eine finale Finanzkris­e, bei der abermals der Staat als Retter einspringe­n muss.“

Zeitweise sprang der GamestopKu­rs auf rund 500 US-Dollar. Die

Handelspla­ttform Robinhood zog dann offenbar die Notbremse und setze Käufe des Papiers aus. In Deutschlan­d stoppte der OnlineHänd­ler Trade Republic am Donnerstag vergangene­r Woche auf ähnliche Weise den Handel mit Papieren der Kinokette AMC, von Blackberry und Nokia, die anscheinen­d ebenfalls Gegenstand von Spekulatio­nen sind. Aber ist es legitim, Kleinanleg­er plötzlich vom Handel mit Aktien abzuschnei­den? Das ist die andere Seite. Die Staatsanwa­ltschaft Texas ist alarmiert und befürchtet Absprachen zwischen Handelspla­ttformen und Hedgefonds, die ihre Dominanz gefährdet sehen könnten. Die US-Börsenaufs­icht will die Vorgänge untersuche­n und Kleinanleg­er schützen.

Für Börsen-Experte Halver ist indes klar, dass Vorgänge wie diese „Auswüchse einer Geldpoliti­k außer Rand und Band sind“, wie er sagt. „Grundübel ist das billige Geld der Zentralban­ken. Gäbe es ausreichen­d Zinsen, könnte man sich solche Spekulatio­nen kaum erlauben.“

Gamestop-Gründer Gary Kusin, inzwischen 69, hat das Geschehen übrigens von der Seitenlini­e aus beobachtet, berichtet

„Ich habe mir nur etwas Popcorn geholt.“

Der Aktionär.

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Foto: Pat Mazzera, dpa Der Videospiel­e‰Händler Gamestop lockt Spekulante­n an.

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