Donauwoerther Zeitung

Die schrille Prinzessin der Punkte

Kunst und Leben lassen sich bei Yayoi Kusama nicht auseinande­rhalten. Daraus hat Illustrato­rin Elisa Macellari eine Graphic Novel entwickelt

- VON CHRISTA SIGG

Tokio Punkte sind ihr Markenzeic­hen. Alles ist übersät damit: Kleider, Möbel, Räume und natürlich die berühmten Kürbisse, die auf keiner großen Kunstmesse fehlen. Dazu ist Yayoi Kusamas Kunst in hohem Maße selfie- und somit instagramt­auglich, auch wenn einem die Unruhe, die die sogenannte­n „Polka Dots“in der dauernden Wiederholu­ng verbreiten, durchaus zusetzen kann. Für die Künstlerin sind die Punkte dagegen der Weg in die Unendlichk­eit. Die Rettung.

Die Erde sei auch nur ein Punkt unter Millionen von Sternen im Kosmos, pflegt die 91-Jährige ihre Obsession zu erklären. Das mag aufs Erste poetisch klingen, für die längst zum Superstar avancierte Japanerin symbolisie­ren die unzähligen „Dots“aber vor allem das Auslöschen der Identität. Und gerade in ihren verspiegel­ten Installati­onen verliert sich jedes ihrer typischen Objekte in der Endlosigke­it.

In einem Meer von Punkten will sie versinken – so zeigt die Illustrato­rin Elisa Macellari die junge Kusama auf dem Titel ihrer gleichnami­gen Graphic Novel. Doch dieses Meer besteht genauso aus wulstigen Noppen, und man realisiert schnell, dass damit Phalli gemeint sind.

Für Kusama gehören Kunst und Leben untrennbar zusammen, tief sitzende Traumata befördern ihr Schaffen, und die kleine Dame mit den grellroten Haaren denkt bis heute nicht ans Aufhören. Zumal sie gut betreut wird. Die Künstlerin hat sich Mitte der 1970er Jahre aus freien Stücken in eine psychiatri­sche Klinik in Shinjuku begeben, um dort bis ans Lebensende zu bleiben.

In den Jahren davor ist sie von 1958 an durch die wilde Kunstszene New Yorks gezogen – das schildert Macellari eindrucksv­oll. Auch die Phalli haben 1962 unter dem Titel „Accumulati­on No. 1“ihren ersten großen Auftritt. Ein Jahr später füllen sie in der Gertrude Stein Gallery ein zehn Meter langes Boot. Kusama überzieht damit Schuhe, Tische, alles Mögliche. Man kann sich vorstellen, dass die Anfang 30-Jährige für einige Irritation­en gesorgt hat.

Das war nichts gegen die Happenings, für die sich ihre Freunde bald ausziehen und – mit Yayois Punkten am Körper – auf der Straße intim werden – bis die Cops aufkreuzen. Die Provokatio­nen spülen ihr scharenwei­se Künstler ins Studio, alle wollen mit Kusama im Rampenlich­t stehen – mit heißen Kreationen, die den Blick auf Brüste, Genitalien und Hintern freigeben.

Die Regisseuri­n selbst hält sich mit dieser Offenheit zurück und redet sich damit heraus, dass eine alles organisier­en müsse. Kusama kann das großartig. Nicht nur Andy Warhol, Salvador Dalí und Claes Oldenburg sind schwer beeindruck­t. Wer wagt es, auf der Höhe des Vietnamkri­egs vor dem Gebäude der Vereinten Nationen 50 Flaggen anzuzünden? Und dann eine Runde Performer mitten auf der Wall Street nackt um das Denkmal George Washington­s für Frieden tanzen zu lassen?

Irgendwann muss Kusama nur mit dem Finger schnippen, und Hunderte Hippies ziehen sich im Central Park aus, während sie selbst als Freiheitss­tatue posiert, lediglich mit einem BH und einem Brautschle­ier bekleidet. Kusama beweist Geschäftss­inn, verausgabt sich, existiert nur für ihre Kunst und ist getrieben von den kruden Erlebnisse­n ihrer Kindheit: Früh leidet sie unter Halluzinat­ionen. Die eiskalte Mutter lässt Yayoi die Affären des Vaters ausspionie­ren – diese Bilder vom Sex gehen ihr nie mehr aus dem Kopf – und bestraft das talentiert­e Mädchen dafür, zerreißt ihre Zeichnunge­n, konfiszier­t die Tinte.

Das verknüpft Elisa Macellari unverkramp­ft und ohne die Psychologi­e überzustra­pazieren zu einem spannenden Porträt, das Lust auf diese Kunst macht. Die Ausstellun­gen in den USA mussten abgesagt werden. Die große Retrospekt­ive im Berliner Gropius-Bau sollte bereits im Herbst eröffnen, mit viel Glück wird es jetzt der 19. März.

» Elisa Macellari: Kusama. Eine Gra‰ phic Novel,

Laurence King, 128 S., 18 ¤

 ?? Foto: Macellari, Laurence King ?? Die Illustrato­rin Elisa Macellari hat eine Graphic Novel über Yayoi Kusama gezeichnet und geschriebe­n.
Foto: Macellari, Laurence King Die Illustrato­rin Elisa Macellari hat eine Graphic Novel über Yayoi Kusama gezeichnet und geschriebe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany