Donauwoerther Zeitung

„Abenteurer kann man auch zu Hause sein“

Der Norweger Erling Kagge hat als Erster Expedition­en sowohl an den Süd- und an den Nordpol bewältigt

- Interview: Philipp Laage, dpa

Wenn irgendjema­nd heute noch ein echter Abenteurer ist, dann Erling Kagge. Der Norweger erreichte als erster Mensch die „drei Pole der Erde“– Südpol, Nordpol und den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest. In der extremen Kälte der Antarktis war er wochenlang völlig allein nur mit einem Schlitten unterwegs. Seine Erfahrunge­n und Erkenntnis­se hat Kagge in einer „Philosophi­e für Abenteurer“, festgehalt­en. Hier erzählt er, was die mit dem vermeintli­ch ganz normalen Leben zu tun hat.

Was hat Sie motiviert, Ihre Abenteuer zu starten?

Erling Kagge: Ich glaube, wir sind alle geborene Entdecker. Du, ich und jeder andere auch. Jedes Kind fragt sich, was hinter dem Horizont liegt. Und jedes Kind möchte mehr Raum um sich herum schaffen. Dieser Entdeckerg­eist verschwind­et nie, aber er wird langsam verwässert durch den Kindergart­en, Eltern, Freunde, Schule und Kollegen. Aber wir haben ihn in uns, solange wir leben.

Was waren die härtesten Momente auf Ihren Expedition­en zum Süd- und Nordpol?

Kagge: Jeden Morgen zur richtigen Zeit aufzustehe­n, wenn es im Zelt minus 50 Grad hat. Der erste Schritt ist immer der schwierigs­te.

Und die erhabenste­n, großartigs­ten Augenblick­e?

Kagge: Teil der Natur zu sein, Mutter Erde zuzuhören. Sie verrät dir, woher du kommst, und auch ein paar Dinge, die noch auf der Straße vor dir liegen. Außerdem war die Wärme schön, wenn ich Erfrierung­en hatte, und satt zu sein, nachdem ich vor Hunger fast gestorben bin.

Manche sagen, das Abenteuer warte direkt vor der Haustür. Stimmen Sie zu oder halten Sie das für ein Klischee?

Kagge: Da stimme ich definitiv zu. Manche der größten Geheimniss­e des Lebens warten in deiner eigenen Nachbarsch­aft. Jedes zweite Reisebuch handelt von jemandem, der weit gereist ist, aber die Antworten auf die großen Fragen findet, wenn er nach Hause zurückkehr­t.

Was hält denn Reisende davon ab, ein Abenteuer zu erleben?

Kagge: Du musst erkennen, wie

wichtig es ist, dein Leben etwas schwierige­r zu machen als nötig. Ein freier Mensch besitzt Zeit. Aber wenn du dich im Leben immer für den einfachste­n Weg entscheide­st, dann lebst du ein unfreies Leben.

Wie meinen Sie das genau?

Kagge: Verantwort­ung ist der Schlüssel zu einem freien Leben. Wenn du Verantwort­ung vermeidest, wirst du dich an jeder Kreuzung für den einfachste­n Weg entscheide­n, und in diesem Fall werden deine Entscheidu­ngen, ob groß oder klein, vorherbest­immt sein. Wir sollten uns ein herausford­erndes Leben wünschen. Verantwort­ung und Belastunge­n geben dem Leben Substanz. Immer den einfachste­n Weg zu wählen ist das Rezept dafür, das Leben um diese Substanz zu bringen. Wenn dein Leben keinen Unterschie­d für andere macht, wird es auf lange Sicht auch dir nicht mehr so viel bedeuten.

Muss ich Reiseveran­stalter meiden, um Abenteuer zu erleben?

Kagge: Nein. Ich glaube, jeder muss seinen eigenen Weg finden. Und Reiseveran­stalter schlechtzu­reden, finde ich respektlos.

Fühlen Sie manchmal Nostalgie, weil die Welt schon entdeckt ist und es kaum noch weiße Flecken auf der Landkarte gibt?

Kagge: Ich glaube, die Welt bleibt eigentlich unentdeckt. Sie ändert sich die ganze Zeit, genau wie wir, und in diesem Sinn ist die Welt jeden Morgen wieder neu. Und was Entdeckung­en angeht, da bin ich überzeugt, dass das Beste erst noch vor uns liegt.

Haben wir zu viel Angst, mit etwas zu scheitern?

Kagge: Manchmal wahrschein­lich schon. Scheitern ist fast nie ein gutes Gefühl. Diese Erfahrung ist anderersei­ts eine sehr gute Schule, auch wenn sie am aufwendigs­ten ist. Jemand, der niemals scheitert, hat wahrschein­lich von Anfang an zu wenig gewagt. Scheitern ist Teil des Lebens – wir alle scheitern.

Was wird Ihr nächstes Abenteuer sein?

Kagge: Ich stelle mir das Leben als einen langen Spaziergan­g vor. Ein Weg, auf dem jeder seinen eigenen Südpol finden muss.

Erling Kagge, ge‰ boren 1963, ist Verleger, Autor, Kunstsamml­er, Abenteurer und Familienva­ter. Er hat mehrere Bücher veröf‰ fentlicht, darunter „Stille. Ein Wegweiser“. Und nun das Buch „Philosophi­e für Abenteurer“(Insel‰Verlag, 186 S., 18 ¤).

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Erling Kagge sucht das extreme Abenteuer ‰ wie hier im Eis der Antarktis, alleine nur mit einem Schlitten
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