Fenster in alle Welt
App macht digitales fern Sehen möglich
In Zeiten, in denen Regierungen Ausgangssperren und Kontaktverbote verhängen, sind moderne Kommunikationstechnologien oft die einzige Möglichkeit, Kontakt mit der Außenwelt zu halten. Aber der ständige Blick in den Monitor, wo man in der Videokonferenz auf die immer gleiche Regalwand des Kollegen starrt, wird mit der Zeit auch dröge. Die News auf Facebook oder Videos auf Youtube sind auch nur ein sehr kleines Fenster in die Außenwelt. Eskapismus? Schwer möglich. Aber es gibt Werkzeuge, die den coronal verengten Blick weiten – zum Beispiel WindowSwap.
Wie der Name bereits andeutet, kann man mit der Seite sein Fenster tauschen und in andere Welten eintauchen. Per Mausklick lässt sich durch die virtuelle Fensterscheibe in den Nachthimmel von Harlem blicken, in einen Vorgarten in Florida oder Fensterputzern an einem Hochhaus in Seoul bei der Arbeit zuschauen – als säße man selbst vor dem Fenster. Im elektronischen Dorf ist Chicago von Teheran nur einen Mausklick entfernt.
WindowSwap basiert im Grunde auf einer Art informellem Netzwerk: Jeder, der daran teilnehmen möchte, kann ein 10-minütiges Video von seiner Fensterperspektive machen und die mit Ort und Namen versehene Aufnahme hochladen. Per Zufallsgenerator wird dann eine digitale Tour d’Horizon erstellt (kleiner Schönheitsfehler: nicht live, sondern aufgezeichnet). WindowSwap wurde von einem Künstlerehepaar in Singapur gegründet, die im Lockdown einen Weg finden wollten, ohne Bewegung zu reisen.
Natürlich gibt es schon seit Jahren Webcams, mit denen man einen Blick auf Strände oder Plätze erhaschen kann. Doch das Interessante am digitalen Fenstertausch ist: Man wird per Zufall durch die Welt katapultiert. An Orte, an die einen kein Algorithmus gelotst hätte. Anders
Der Zufall öffnet Fenster in Chicago oder Bogotá
als bei einer Webcam, die einen künstlichen Kontrollblick auf einen Ort erzeugt, den man als Besucher des öffentlichen Raums gar nicht hat, ist der Blick aus dem Fenster ein sehr persönlicher, privater Blick auf die Umgebung, weil er ja aus der Wohnung heraus entsteht. Es ist so, als würde man selbst dort sitzen und aus dem Fenster lugen. Als wäre man bei jemandem zu Hause zu Gast. Das Tool bedient keine voyeuristischen Begierden, sondern eine Art Weltfluchtverlangen einer Gesellschaft im Lockdown. Es ist, als würde man durch eine digitale Galerie flanieren, die die Welt in ihrer ganzen Schönheit und Widersprüchlichkeit abbildet.
Es gibt auch noch andere Wege, der Einöde in den eigenen vier Wänden zu entfliehen. Zum Beispiel die „Random Website Machine“, die zufällige Webseiten im Netz auswählt. Klickt man auf den Zufallsgenerator, landet man etwa bei einer Kaffeerösterei im Stadtviertel Usaquén in Bogotá oder bei einer Ziegelei in den Pyrenäen. Es wirkt wie eine Zeitreise, als wäre man gerade nicht nur mit einer Raumkapsel an einen anderen Ort der Welt katapultiert worden, sondern in der Zeit des Web 1.0 gelandet, als der Versand von Datenpaketen tatsächlich eine gefühlte Weltreise war.
Man muss nicht immer algorithmischen Wegweisern folgen. Wer Sehnsucht nach Paris hat, kann beispielsweise auf Youtube Métro-Stationen abfahren oder in 360-GradPerspektive mit dem Aufzug auf die Aussichtsplattform des Eiffelturms fahren (genauer gesagt, den Filmer mit seiner Kamera begleiten). Zum Glück gibt es mittlerweile viele Fenster in die Welt da draußen, mit denen man sein Zuhause durchlüften kann.