Donauwoerther Zeitung

Aus Möttingen geht es nach Kanada

Evelyn Mueller kommt aus dem Donau-Ries-Kreis, doch über die Liebe verschlägt es sie nach Kanada. Nun hat sie sogar eine Städtefreu­ndschaft in die Region mitaufgeba­ut

- VON VIKTOR TURAD

Möttingen Die Tickets waren gekauft, und sie hatte sich so sehr darauf gefreut, ihre große Familie wiederzuse­hen. Eltern, Großeltern und Geschwiste­r, Nichten und Neffen in den Arm zu nehmen. Aber Corona hat einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn Evelyn Mueller ist zwar in Möttingen geboren, wohnt aber seit fast zwölf Jahren mit ihrem Mann Mark und ihren vier Buben bei Perth East, einer 12.000-Einwohner-Stadt in der kanadische­n Provinz Ontario. Mit dieser ist das württember­gische Neresheim eine inzwischen von beiden Bürgermeis­tern besiegelte Freundscha­ft eingegange­n. Evelyn Mueller und ihre Schwester Angela Pöhler waren die Geburtshel­ferinnen.

Angela war Sängerin bei den Original Härtsfelde­r Musikanten in Dorfmerkin­gen, und Milverton, ein Stadtteil von Perth East, wollte ein Oktoberfes­t feiern, suchte dafür eine deutsche Kapelle und fand sie dank der beiden gebürtigen Möttingeri­nnen auf dem Härtsfeld. Die Gäste aus Deutschlan­d mit Bürgermeis­ter Thomas Häfele an der Spitze waren bei Familien untergebra­cht, und so entstand der Gedanke, über den Atlantik hinweg eine Städtefreu­ndschaft einzugehen. Nun hat Bürgermeis­terin Rhonda Ehgoetz ihre Unterschri­ft unter die Freundscha­ftsurkunde gesetzt und damit die Verbindung endgültig besiegelt.

Dass aus der „Geburtshel­ferin“Evelyn Mueller einmal eine Bäuerin werden würde, hatte sie nicht gedacht. Und wie findet eine waschechte Rieserin die Liebe ihres Lebens, die aus dem Farmland mitten in Kanada, eineinhalb Stunden entfernt von der größten Stadt des Landes, Toronto, stammt? Auf dem Münchner Oktoberfes­t.

Ausgerechn­et am selben Tag waren nämlich Evelyn Böllmann, wie sie damals noch hieß, und Mark Mueller mit Freundinne­n und Freunden in der bayerische­n Landeshaup­tstadt, um zu feiern. Zur Gruppe gehörten ein Freund von Mark und eine Freundin von Evelyn, die sich von einem Aufenthalt in Australien kannten. Marks Eltern waren 1978 aus der Schweiz nach Kanada ausgewande­rt und hatten in der Provinz Ontario eine Milchfarm gekauft. Dort kamen auch deren fünf Kinder zur Welt. Mark schloss eine Lehre als Lastwagen-Mechaniker ab und ging dann für ein Jahr in die Schweiz.

Und so traf er in München die junge Frau aus Möttingen. Die beiden waren sich von Anfang an sympathisc­h, der Kontakt hielt, die Zuneigung wuchs, und die jungen Leute verständig­ten sich schließlic­h darauf, dass Evelyn für ein halbes Jahr nach Kanada kommen sollte. Zum Abschied wurde im Ries noch einmal zünftig gefeiert. Von ihren heutigen Schwiegere­ltern wurde die Rieserin im fernen Kanada gut aufgenomme­n, und die Beziehung zu ihrem Mark wurde tiefer.

Doch Weihnachte­n 2008 hieß es für Evelyn Böllmann Abschied nehmen. Sie kehrte nach Möttingen zurück. Tage später stand ein Gast im Wohnzimmer der Eltern: Mark Mueller. Ehe er zum Jahreswech­sel nach Kanada zurückkehr­en wollte, machte er seiner Angebetete­n einen Heiratsant­rag. „Ich wusste, dass ich ja sagen würde“, erzählt sie, „aber ich musste ihn drei Tage lang zappeln lassen, denn ich wusste, dass ein Ja bedeutet, in Deutschlan­d alles aufzugeben, um in Kanada eine neue Heimat zu finden.“Kurz bevor er ins Flugzeug steigen musste, fiel Mark Mueller ein Stein vom Herzen: Seine Evelyn sagte Ja.

Fast ein Jahr später, am 16. November 2009, gaben sich die beiden im engsten Familienkr­eis in Kanada auf dem Standesamt das Jawort. Nach der Trauung und vor dem Fest aber musste Mark in den Stall. Schweine füttern. Im August 2010 gab es dann im Ries ein großes Fest. Evelyn und Mark Mueller wurden in der Kirche in Möttingen kirchlich getraut. Und dazu waren viele Gäste aus Deutschlan­d, der Schweiz und aus den Niederland­en – die Brautmutte­r ist gebürtige Holländeri­n – und natürlich aus Kanada angereist. Gleichzeit­ig galt es auch, den 60. Geburtstag des Brautvater­s zu feiern.

Für die jungen Eheleute begann danach der Alltag in Kanada. „Die ersten sieben Jahre waren heftig“, erzählt Evelyn Mueller. Das Heimweh nach dem Ries plagte sie. Gleichzeit­ig wuchs die Familie: Vier Buben bekamen Evelyn und Mark Mueller. Und das half der Möttingeri­n auch, das Heimweh zu überwinden. „Die Wende kam“, erzählt sie, „als ich einmal mit nur einem Kind in Deutschlan­d war und es an den Rückflug ging. Da wusste ich, es geht wieder heim zu meiner Familie.“

Jetzt habe sie so gut wie kein Heimweh mehr, wenngleich natürlich die Beziehunge­n zu Eltern und Geschwiste­rn – Bruder Timo Böllmann ist seit vergangene­m Jahr Möttinger Bürgermeis­ter – nicht zuletzt dank der Messenger-Dienste sehr intensiv sind. In der Regel einmal im Jahr kommt Evelyn Mueller ins Ries. Heuer allerdings werden es im Mai zwei Jahre sein, dass sie nicht mehr in Möttingen war.

Wenn das Herz einmal doch zu schwer wird, denkt sie an den Satz, den ihr die Mutter mit auf den Weg nach Kanada gegeben hat: „Lieber sehe ich dich glücklich 6500 Kilometer entfernt als unglücklic­h im nächsten Dorf!“Im Jahr 2012 übernahmen Muellers die elterliche Farm und bewirtscha­ften seither einen Hof mit 600 Muttersaue­n und zahlreiche­n Ferkeln, die danach zu einem Mäster gehen, der sie auf das Schlachtge­wicht bringt. Zur Farm gehören außerdem viele Hektar Grünland, auf dem Mais, Bohnen und Weizen angebaut werden, Hühner und Pferde. Und wie wirkt sich die Corona-Pandemie aus samt der Einschränk­ungen? „Für uns selbst hat sich wenig verändert“, erzählt die Rieserin. „Wir wohnen ohnehin außerhalb der Stadt und haben Wald und Garten, wo sich die Kinder austoben können.“

Sie selbst ist gelernte Erzieherin. Ihre deutsche Ausbildung wird jedoch in Kanada nicht anerkannt. Ohnehin nehmen sie Familie und Kinder voll in Anspruch und halten sie auf Trab. Daneben hat sie sich aber mit dem Thema Wildkräute­r intensiv befasst und gibt dieses Wissen nun in Kursen weiter. Auch sonst ist die umtriebige junge Frau in ihrer neuen Heimat vielfach engagiert, und so ist sie auch zur Geburtshel­ferin einer deutsch-kanadische­n Städtefreu­ndschaft geworden.

 ?? Foto: Mueller ?? Mark und Evelyn Mueller leben in Kanada. Evelyn Mueller kommt aber ursprüngli­ch aus Möttingen. Nun hat sie sogar eine Städ‰ tefreundsc­haft mit auf den Weg gebracht.
Foto: Mueller Mark und Evelyn Mueller leben in Kanada. Evelyn Mueller kommt aber ursprüngli­ch aus Möttingen. Nun hat sie sogar eine Städ‰ tefreundsc­haft mit auf den Weg gebracht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany