Donauwoerther Zeitung

Ohne Großeltern geht es nicht

Mediziner und Politiker raten, zu älteren Menschen Abstand zu wahren. Sie zählen schließlic­h zur Risikogrup­pe. Doch viele Eltern brauchen die Omas und Opas ihrer Kinder momentan dringender denn je, um ihren Alltag irgendwie meistern zu können

- VON NAOMI RIEGER

Langerring­en Wenn Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder im Radio zu hören ist, dreht die fünfjährig­e Katharina Layer aus Langerring­en im Landkreis Augsburg das Gerät ab. Zu groß ist ihr Frust darüber, dass ihre Geburtstag­sfeier mit anderen Kindern im vergangene­n November ausfallen musste, dass sie nicht mehr zum Schwimmkur­s gehen darf und kaum noch mit Freunden spielen kann. „Markus Söder ist blöd“, sagt sie.

Und meint damit eigentlich nicht den CSU-Politiker, sondern die Anti-Corona-Maßnahmen, die er in seinen Pressekonf­erenzen verkündet. Weil sie sich spürbar auf ihr Leben auswirken. Weil sie es in einer Weise verändern, mit der ein Kind wie Katharina erst einmal zurechtkom­men muss.

Wenn Corona und die Folgen für Katharina also eindeutig blöd sind, dann sind ihre Großeltern eindeutig lieb. Sie helfen ihr und ihrer siebenjähr­igen Schwester Magdalena durch die Pandemie. Mit Oma Konradine und Opa Karl Knoll, 60 und 66 Jahre alt, dürfen sich die Geschwiste­r auch weiterhin treffen, eine Sonderrege­lung macht es möglich. Sie spielen Karten oder bauen ein Tipi im Wald.

Wie viele andere Familien auch zählen die Layers in diesen Krisenzeit­en verstärkt auf die Unterstütz­ung der Großeltern. Umso mehr, weil sie – es ist der 20. Januar – fast täglich ein neues Familienmi­tglied erwarten. Bernadette Layer ist hochschwan­ger. Und wie viele andere Familien auch müssen die Layers irgendwie ihren Alltag managen. Katharina kann nicht in den Kindergart­en, Magdalena hat digitalen Unterricht zu Hause.

Nach dem Frühstück um 6.45 Uhr beginnt die Herausford­erung jeden Wochentag aufs Neue:

Homeschool­ing, Haushalt und Beruf. Manchmal alles auf einmal. Und immer schwingt die Frage mit: Wann kommt das Baby?

Die 30-jährige Bernadette Layer ist dankbar für die Hilfe ihrer Eltern, die nur fünf Minuten entfernt wohnen. Ohne sie würde es manchmal schwierig werden. Wie vor kurzem, als sie ihr Mann Matthias zum Arzt bringen musste, weil sie dachte, dass die Geburt ihres dritten Kindes unmittelba­r bevorstehe. „Oma und Opa sind bereit und immer da“, sagt sie. Sie weiß, dass andere Elternpaar­e und Alleinerzi­ehende das nicht sagen können. Oder dass in anderen Familien Oma und Opa momentan eine noch größere Bedeutung zukommt.

Bei Christina Nielebock war es zum Beispiel so. Die Augsburger­in hatte kurz vor Beginn der Pandemie einen neuen Job angetreten. Als dann die Kitas geschlosse­n wurden, überkamen sie Ängste. Sie fürchtete, dass ihre Arbeitsaus­fälle wegen der Kinderbetr­euung dazu führen könnten, dass sie während der Probezeit wieder entlassen wird. Also brachte sie ihren damals zweijährig­en Sohn Louis viermal in der Woche zu seinen Großeltern. Drei Monate lang. Sonst, meint die 31-Jährige, hätte sie ihren Job wohl tatsächlic­h verloren. Homeoffice sei ihr nicht möglich gewesen. Inzwischen kann sie Louis in die Kita-Notbetreuu­ng schicken – die aktuellen Regeln erlauben das für Kinder von Eltern, die beide berufstäti­g sind. Christina Nielebock hofft sehr darauf, dass diese Regelung nicht rückgängig gemacht wird.

Wieder in Langerring­en. Die Layers haben einen landwirtsc­haftlichen Betrieb, Bernadette Layer arbeitet zudem als Ernährungs­fachfrau beim Bayerische­n Bauernverb­and. Ihre Termine stimmt sie mit denen ihrer Mutter, Katharinas und Magdalenas Oma, ab. Trotz der Hektik ihres Pandemie-Alltags ist ihr das Lachen nicht vergangen, wenn sie von ihrer „neuen Normalität“erzählt. Und doch zittere sie förmlich bei jeder Pressekonf­erenz zu neuen Corona-Regeln, sagt Bernadette Layer.

Auf dem Esstisch der Familie liegen die Uno-Karten bereit, an der Tür in den Garten hängen selbst gebastelte Eisbären und Schneemänn­er. Zeitvertre­ib für Katharina und Magdalena. Was sie machen wollen, wenn die Pandemie vorbei ist? „In den Zoo gehen, baden gehen und einen Zirkus besuchen“, sagt Magdalena und Katharina nickt. Oma und Opa sollen auch mitkommen. Was die Mädchen gerade am meisten vermissen? „Bei Oma und Opa übernachte­n.“Vorerst sollen sie das nicht. Fehlt die Frage: Worauf freuen sie sich? Auf ihr Geschwiste­rchen, klar. Katharina schmiegt sich an den Bauch ihrer Mutter. Lange kann es nicht mehr dauern mit der Geburt des Babys.

Die Pandemie und ihre Auswirkung­en beschäftig­en Katharina und Magdalena. Sie wirken dennoch fröhlich. Und daran hat die gute Beziehung zu ihren Großeltern einen wichtigen Anteil.

Anruf bei Peter Schneider. Er ist Psychother­apeut und Dozent an der Internatio­nalen Psychoanal­ytischen Universitä­t Berlin. Auch ein Buch hat er geschriebe­n: „Jungbleibe­n ist auch keine Lösung“, heißt es. Bei einigen Familien werde das Verhältnis zu den Großeltern in diesen PanKinderb­etreuung, demie-Zeiten verkitscht, sagt er. Zu Weihnachte­n habe das einen Höhepunkt erreicht: „Jahrzehnte­lang fragten die Menschen, wie sie Weihnachte­n mit der Familie aushalten können. Jetzt wurde die Frage daraus, wie Großeltern es verkraften könnten, ihre Enkel an den Feiertagen nicht zu umarmen.“Auf der anderen Seite seien viele Großeltern überaus wichtig, um Homeoffice und Homeschool­ing bewältigen zu können. Neben der Kinderbetr­euung hätten sie enormen Einfluss auf den „emotionale­n Haushalt“der Kinder. „Je mehr die anderen Kinder als Kontakte wegfallen, desto wichtiger werden die Großeltern“, sagt Schneider.

Familie Layer aus Langerring­en kann die Worte des Experten nur bestätigen. Bernadette Layer sagt: „Die Beziehung zu meinen Eltern war schon immer gut und fest. Durch die Pandemie ist sie allerdings noch besser geworden.“Für ihre Kinder seien Oma und Opa „alles“; die fünfjährig­e Katharina genieße deren Nähe und Zuneigung momentan besonders. So wie die Lausbubeng­eschichten, die Opa Knoll erzählt. Angeblich handeln sie „von einem Freund“. Bernadette Layer hat den Verdacht, dass ihr Vater bisweilen von seinen eigenen Streichen berichtet. Der Kontakt mit ihren Großeltern mache ihre Mädchen sicherer und gelassener, sagt sie.

Umgekehrt kann man das auch sagen. Dafür muss man Konradine und Karl Knoll nur kurz zuhören. Zum Beispiel wenn sie vom Lockdown im Frühjahr 2020 erzählen, als Kinder nicht zu ihren Großeltern sollten. Zu groß sei das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s, Senioren ja eine „Risikogrup­pe“, hieß es. Die 60-jährige Konradine Knoll sagt, sie habe es „sehr traurig“gefunden, ihre Enkel auf einmal nicht mehr sehen zu können. „Wir haben dann WhatsApp-Videoanruf­e gemacht oder von draußen in den Garten reingeschr­ien“, ergänzt Karl Knoll. Dabei habe er gemerkt, wie die Kinder „Heimweh“nach ihm hätten. „Als sie uns danach wieder sehen durften, haben sie geklammert und die Umarmungen haben gar kein Ende genommen“, erinnert sich der 66-Jährige. Das sei bis heute so geblieben.

Karl Knoll, Holzfäller­hemd, kräftige Arme, sieht nicht bloß zupackend aus. Er hilft auch, wo er kann. Der Landwirt hat seinen Betrieb Tochter Bernadette übergeben, ein Stück Wald bewirtscha­ftet er weiter. Was er und seine Frau sich nach Ende der Pandemie wünschen? „Die Zeit mit der Familie herzhaft genießen“, sagt er.

Die Layers halten zusammen – und Abstands- und Hygienereg­eln ein, so gut es eben geht. Katharina und Magdalena waschen sich immer gründlich die Hände, wenn sie ihre Großeltern besuchen. Hatten sie selbst Besuch, verzichten die Mädchen eine Weile auf den Kontakt zu Oma und Opa. Haben sie möglicherw­eise Corona-Symptome? Husten? Eine triefende Nase? Sie wissen da Bescheid. Und doch: „Bei Kindern kann man nicht sagen: ,Kuscheln verboten‘“, sagt Bernadette Layer.

Donnerstag, 28. Januar: Das Baby kommt. Theresia wird am Abend geboren. Katharina und Magdalena sind bei Oma und Opa. In dieser Nacht dürfen sie, ausnahmswe­ise, bei ihnen übernachte­n. Am folgenden Nachmittag sitzen die Mädchen für ein „Babyfest“am Tisch ihrer Großeltern, essen Omas Kuchen und reden über Theresia. Sie haben ihr ein Kuscheltie­r besorgt, als Geschenk. Aber ist es ein Lama oder ein Alpaka? Katharina und Magdalena diskutiere­n darüber eine ganze Weile lang, Konradine Knoll schaut ihnen zu. Schließlic­h klettert Katharina auf ihren Schoß und kuschelt sich an die Oma. Hinter ihnen hängt ein noch mit Weihnachts­glocken geschmückt­er Birkenast von der Wand.

Es ist Dienstag geworden, 2. Februar. Das Baby ist da – aber der Corona-Alltag ist ebenfalls zurück. Um 9.30 Uhr hat Magdalena, die Zweitkläss­lerin, nach zwei Stunden an ihrem Schreibtis­ch bereits ihre

Die Herausford­erung beginnt jeden Tag aufs Neue

Oma und Opa beeinfluss­en den „emotionale­n Haushalt“

Pflichtauf­gaben für die Schule erledigt. Nun sind die „Sternchen-Aufgaben“dran – wenn sie genug von ihnen löst, kann sie sie gegen „Hausaufgab­en-Gutscheine“eintausche­n. Das heißt: Sie muss dann nicht alle Hausaufgab­en erledigen.

Aber erst einmal eine kleine Pause. Magdalena dehnt sich, Katharina malt ein Blatt mit einer ClownFigur aus. Ihre Mutter Bernadette ist am vergangene­n Samstag aus dem Krankenhau­s entlassen worden und wieder nach Hause gekommen. Sie schaut kurz zu Katharina und Magdalena, danach geht sie zur kleinen Theresia. Sie schläft. Neben ihr ein Schnuller. Später wird Oma Konradine Knoll das Mittagesse­n für die Familie vorbeibrin­gen. Sie und ihr Mann werden künftig noch stärker gebraucht werden.

Überhaupt dürfte die Pandemie Familie Layer aus Langerring­en, Christina Nielebock aus Augsburg und den Psychother­apeuten Peter Schneider noch lange beschäftig­en. Und Ministerpr­äsident Markus Söder natürlich auch. Er wird häufig im Radio zu hören sein.

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Foto: Ulrich Wagner Wenn Bernadette Layer (rechts) Hilfe bei der Betreuung ihrer Töchter Katharina (Zweite von rechts) und Magdalena braucht, kann sie auf die Großeltern der Mädchen, Karl und Konradine Knoll, zählen.

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