Donauwoerther Zeitung

Äpfel mit Schorf, grüne Zitronen, krumme Gurken

Obst und Gemüse ohne Standard-Aussehen wird nach wie vor massenweis­e vernichtet. Das zeigt eine Studie des Umweltbund­esamts. Welche Anstrengun­gen die Discounter unternehme­n und was eine Öko-Expertin empfiehlt

- VON JOACHIM GÖRES

Dessau/Bremen 15 Prozent der Speisekart­offeln gelangen wegen optischer Mängel nicht in den Handel. 25 Prozent der Erdbeeren werden wegen unschöner Stellen vernichtet. Jeder dritte Salat wird untergepfl­ügt, weil die Köpfe zu klein oder zu groß sind. Das berichten Erzeugerbe­triebe in einer Studie, die das Umweltbund­esamt (UBA) in Dessau unter dem Titel „Umwelt- und klimarelev­ante Qualitätss­tandards im Lebensmitt­eleinzelha­ndel“veröffentl­icht hat. Sprich: Obst und Gemüse, dessen Geschmack einwandfre­i ist, wird massenhaft von landwirtsc­haftlichen Betrieben entsorgt, weil Handelsket­ten die Abnahme verweigern – nicht wegen gesetzlich­er Anforderun­gen, sondern wegen von den Konzernen festgelegt­en Standards. Um die zu erfüllen, setzen Erzeuger kurz vor der Kohlrabi-Ernte extra Pestizide und Dünger ein, damit das Blattwerk im Ladenregal sattgrün und makellos aussieht. Die Blätter sollen Frische symbolisie­ren – dabei führen sie laut Studie zu einer hohen Verdunstun­gsrate und zum Verlust von Frische. „Zur Bekämpfung des gesundheit­lich unbedenkli­chen Apfelsilbe­rschorfs werden Äpfel häufig mit krebserreg­enden bzw. entwicklun­gsschädige­nden Pflanzensc­hutzmittel­n behandelt“, steht in der UBA-Studie. Laut Bundesernä­hrungsmini­sterium werden jährlich nach der Ernte 1,4 Millionen Tonnen Lebensmitt­el zu Abfällen. Während der Verarbeitu­ng kommen weitere 2,2 Millionen Tonnen dazu.

Der Handel verweist dagegen auf seine Anstrengun­gen im Kampf gegen die Verschwend­ung. Aldi Süd hat 2017 mit dem Verkauf von „Krummen Dingern“begonnen: Äpfel und Mohrrüben, die anders aussehen, werden günstiger verkauft. „Der Test ist sehr erfolgreic­h verlaufen“, sagt Unternehme­nssprecher­in Carolin Sunderhaus. Es werde geprüft, ob weitere Obstund Gemüsesort­en mit Schönheits­fehlern angeboten werden. Sie räumt aber ein, dass „krumme Möhren“wegen mangelnder Nachfrage aus dem Angebot genommen wurden. Bei Aldi Nord gibt es seit 2019 sogenannte „Wetteräpfe­l“als Aktionsart­ikel: Äpfel, denen man ansieht, dass sie unter zu viel Sonne oder Hagel gelitten haben.

Während man bei Aldi Äpfel mit optischen Besonderhe­iten für den Kunden günstiger macht, geht Penny einen anderen Weg: Dort werden unter der Marke „Naturgut BioHelden“je nach Saison bis zu 24 unterschie­dliche Obst- und Gemüsearti­kel in Bio-Qualität geführt, für die der Kunde auch bei „kleinen Formoder Schalenfeh­lern“den normalen Preis zahlt. „Das Angebot wird von unseren Kunden gut angenommen, die Nachfrage steigt stetig“, sagt Rewe-Pressespre­cherin Kristina Schütz. Weder Aldi noch der Penny-Mutterkonz­ern Rewe nennen genaue Zahlen. „Reichweite und Relevanz dieser Ansätze sind bislang noch als marginal zu bewerten“, lautet das Urteil des Umweltbund­esamtes. Es empfiehlt dem Handel deshalb, seine Standards zu entschärfe­n: Bislang schaffen es zum Beispiel kleine Blumenkohl­köpfe nicht ins Ladenregal, weil sie nicht nach Gewicht, sondern pro Stück verkauft werden.

„Man muss mit den Kunden über die Gründe für das ungewohnte Aussehen reden, dann sind sie zum Kauf bereit“, ist die Erfahrung von Marie Pigors von der Betriebsle­itung des Naturkost Kontors Bremen, das 600 Öko-Fachläden beliefert. „Davon kaufen nur zwei bei uns krumme Gurken ein, obwohl sie genauso gut wie alle anderen BioGurken schmecken und etwa nur die Hälfte des normalen Preises kosten. Die Händler wissen, dass ihre Bio-Kunden vor allem auf das Aussehen achten“, sagt Pigors. Der Einsatz von Pestiziden ist für BioLandwir­te tabu, doch sie nutzen natürliche Mittel wie Schwefel und Kupfer, um Schorf von Äpfeln fernzuhalt­en – aus optischen Gründen.

Auf einem Wochenmark­t verkauft Pigors Großhandel­sware direkt an Endverbrau­cher und kann dort im Gespräch erklären, warum Zitronen oft grün aussehen („werden erst im Herbst gelb“), warum Kohlrabi mal die Größe eines Golfballs und mal die einer Bowlingkug­el hat, warum Rosenkohl auch mit gelblichen Außenblätt­ern oder Brokkoli und Blumenkohl mit bräunliche­n Flecken wunderbar schmecken.

Ihr Fazit: „Auf den Wochenmärk­ten werden mehr Exoten genommen als in den Läden. Kunden freuen sich, dass sie so etwas gegen das Wegwerfen von Lebensmitt­eln tun können.“Der Kontakt zum Kunden ist für Pigors aber nicht die Lösung: „Das Thema Ernährung muss im Bildungsbe­reich eine größere Rolle spielen.“

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Foto: dpa Sind krumm, aber schmecken meistens genauso gut: krumme Gurken.

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