Wie gefährlich sind die mutierten Coronaviren?
Die in Großbritannien und Südafrika aufgetauchten Varianten des Virus sind mittlerweile in Bayern angekommen. Wo es Fälle gibt, wie sich die Situation weiterentwickeln könnte und welche Unsicherheiten bestehen
Augsburg Das Virus, das uns seit mehr als einem Jahr das Leben schwer macht, ändert ständig sein Gesicht. Nun sind zwei Varianten – eine aus Großbritannien, die andere aus Südafrika – in Bayern aufgetaucht, die viele Experten aufhorchen lassen. Wie gefährlich sind diese Viren? Warum stehen gerade sie im Fokus? Und wie viele Fälle sind im Freistaat bereits bestätigt? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den mutierten Coronaviren.
Was genau versteht man unter einer Mutation? Was ist eine Variante?
Viren mutieren ständig, das ist quasi Teil ihrer Überlebensstrategie. „Eine Mutation bedeutet die Veränderung des Genoms an einer Nukleotid/Basenpaar-Stelle“, erklärt ein Sprecher des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). „In der Regel unterschieden sich Varianten durch mehrere Mutationen an verschiedenen Stellen des Virusgenoms“, sagt der LGL-Sprecher gegenüber unserer Redaktion.
Wie viele Mutationen gibt es bisher und warum stehen manche davon besonders im Fokus?
Im Laufe der Pandemie gab es bereits tausende von Mutationen. Im Fokus stehen die sogenannten VOC, die „Variants of Concern“– also Varianten, die Anlass zur Sorge geben. „Uns interessieren keine Mutationen an einer x-beliebigen Stelle, die funktional unbedenklich sind“, sagt Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt und Infektiologe an der München Klinik Schwabing. „Solche Mutationen gibt es tatsächlich im fünfstelligen Bereich.“Das Augenmerk liegt derzeit vor allem auf der britischen und der südafrikanischen Variante. Die brasilianische Variante – bereits in Hessen aufgetaucht – und die dänische spielen im Moment eher eine untergeordnetere Rolle.
Wie gefährlich sind die Varianten aus Großbritannien und Südafrika?
Die britische Variante B.1.1.7 bindet Infektiologe Wendtner zufolge besser an den sogenannten ACE2-Rezeptoren, weswegen sie leichter übertragen werden kann und somit ansteckender ist. Die südafrikanische Variante indes hat eine veränderte räumliche Konfiguration. Die Folge: Neutralisierende Antikörper können nicht mehr so gut andocken, um das Virus unschädlich zu machen. „Das heißt, dass auch die Impfstoffe eventuell nicht mehr so gut funktionieren. Und auch Menschen, die bereits erkrankt waren,
sich leichter mit dieser neuen Variante infizieren“, sagt Wendtner im Gespräch mit unserer Redaktion. Hinzu kommt: Auch die monoklonalen Antikörper, auf denen derzeit große Therapie-Hoffnungen ruhen, könnten gegen die südafrikanische Variante schlechter wirken. Das, so Wendtner, zeigten jüngste Labortests der University of Columbia. „Deswegen mache ich mir derzeit größere Sorgen um die südafrikanische Variante als um die britische.“Auch das LGL erklärt, dass erste Studien vermuten ließen, dass bei Personen, die an der ursprünglichen Variante erkrankt waren oder einen auf dieser beruhenden Impfstoff erhalten haben, der Schutz durch neutralisierende Antikörper gegenüber der Variante aus Südafrika reduziert sein könnte. Die Münchner Virologin Ulrike Protzer warnt angesichts der Virus-Varianten aber vor Panikmache. Nach ersten Ergebnissen seien hierzulande höchstens zwei Prozent der zirkulierenden Viren entsprechend mutiert. „Also noch kein Grund zur Sorge. Aber man muss es halt im Auge behalten“, sagte die Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität und am
Helmholtz Zentrum München. „Es kann schon sein, dass die Zahl der nachgewiesenen Varianten zunimmt, wenn man jetzt genauer hinschaut“, erläuterte die Virologin. Die Varianten aus Großbritannien und aus Südafrika seien ansteckender – aber nur bei direktem Kontakt ohne Schutz. „Auch die neuen Varianten können ja nur auf den Nächsten übertragen werden, wenn man sie lässt.“Konsequente Hygienemaßnahmen wie das Tragen von Masken würden alle Viren abhalten, auch die neuen Varianten. Was das Impfen angeht, ist die Virologin zuversichtlich: Damit der Impfstoff nicht mehr helfe, „müsste noch viel passieren, das halte ich für unwahrscheinlich“.
Der britische Premierminister hatte gesagt, die Variante in seinem Land sei nicht nur ansteckender, es gebe auch eine erhöhte Fallsterblichkeit. Was ist da dran?
Auch das Robert-Koch-Institut teilt mit, dass es erste Hinweise gebe, dass B.1.1.7. „mit einer erhöhten Fallsterblichkeit einhergehen könnte“. Mit endgültigen Bewertungen müsse man aber vorsichtig sein, sagt Infektiologe Wendtner. Ob die Vakönnten riante tatsächlich tödlicher sei, „das kann man derzeit noch nicht belastbar belegen“. Denn man dürfe nicht außer Acht lassen, dass das Gesundheitssystem in England völlig überlastet sei – somit sei es schwierig zu beantworten, ob es mehr Tote wegen des mutierten Virus gebe oder wegen einer unzureichenden Versorgung.
Wo wurden die britische und die südafrikanische Variante in Bayern bereits nachgewiesen?
Die britische Variante ist laut bisher vorliegenden Informationen in Proben etwa aus Erding, Bayreuth, Passau, München sowie in den Landkreisen Landsberg am Lech, Dingolfing und Dachau aufgetreten, wie das LGL gegenüber unserer Redaktion erklärt. Aber auch in der Stadt Augsburg gibt es jetzt bestätigte Fälle der britischen Corona-Mutation. Die südafrikanische Variante ist im Landkreis Rosenheim bestätigt. Im Krankenhaus in Buchloe wird derzeit ein Patient behandelt, der ebenfalls eine Virus-Variante in sich tragen soll, die Klinik hat sich komplett abgeschottet. „Es handelt sich dabei möglicherweise um die südafrikanische oder die brasilianische
Mutation“, heißt es auf der Internetseite der Klinik. Eine mutierte Form hat auch den Landkreis Augsburg erreicht. Es ist noch unklar, um welche Variante es sich handelt. Im Aichacher Krankenhaus gab es ebenfalls einen Patienten, der sich mit einer Mutante angesteckt hat – hier ist auch noch unklar, mit welcher. Der Patient wurde mittlerweile verlegt, wie am Dienstag bekannt wurde. Im Landkreis Dillingen gibt es vier Corona-Fälle, hinter denen die britische Variante stecken soll.
Wie bekommt man denn Gewissheit?
Positive Proben werden mittels PCR auf das Vorliegen der Großbritannien-, Südafrika- oder Brasilien-Varianten überprüft, erklärt das LGL. Dieses Screening gibt erste Hinweise, die dann in einer anschließenden Gesamtgenomsequenzierung verifiziert werden können. Dafür braucht es spezialisierte Labore. Das „ist ein sehr aufwendiges und kostenintensives Verfahren und benötigt je nach Labor und Probenumsatz etwa zwischen sieben und 14 Tagen“, teilt das LGL mit.
Wie geht es in Bayern denn nun weiter?
Mediziner Wendtner glaubt, dass sich die britische Variante festsetzen wird – „und auch durchsetzen, wenn wir nicht aufpassen“. Die Verbreitung der südafrikanischen Variante werde hingegen länger dauern, allein schon der Entfernung wegen. Angesichts der neuen Varianten hält Wendtner es für wichtig, die Infektionsschutzmaßnahmen weiter aufrechtzuerhalten. „Denn wenn sich die britische Variante durchsetzt, dann wird der R-Wert steigen.“Man müsse mit einer Zunahme um etwa 0,4 rechnen. „Und dann sind wir wieder deutlich über einem R-Wert von 1.“Der Blick nach Portugal zeige, wie schnell die Kurve wieder nach oben gehen kann. In Deutschland müsste der Lockdown so lange durchgezogen werden, bis „wir deutlich unter einer Sieben-TageInzidenz von 50 Fällen pro 100000 Einwohnern liegen“, sagt Wendtner. Besser noch sei eine Inzidenz von 25 – mit einem R-Wert unter 0,7. Wie Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Dienstag ankündigte, sollen zusammen mit den Unikliniken im Freistaat verstärkt positive Corona-Tests auch auf die unterschiedlichen Coronavirus-Mutationen getestet werden. „Wir haben jetzt die Möglichkeit, rund 700 solcher Sequenzierungen in der Woche durchzuführen. So wollen wir ein Frühwarnsystem entwickeln und genau hinschauen und analysieren“, so Holetschek.