Donauwoerther Zeitung

Wie gefährlich sind die mutierten Coronavire­n?

Die in Großbritan­nien und Südafrika aufgetauch­ten Varianten des Virus sind mittlerwei­le in Bayern angekommen. Wo es Fälle gibt, wie sich die Situation weiterentw­ickeln könnte und welche Unsicherhe­iten bestehen

- VON STEPHANIE SARTOR (mit hhc, dpa)

Augsburg Das Virus, das uns seit mehr als einem Jahr das Leben schwer macht, ändert ständig sein Gesicht. Nun sind zwei Varianten – eine aus Großbritan­nien, die andere aus Südafrika – in Bayern aufgetauch­t, die viele Experten aufhorchen lassen. Wie gefährlich sind diese Viren? Warum stehen gerade sie im Fokus? Und wie viele Fälle sind im Freistaat bereits bestätigt? Die wichtigste­n Fragen und Antworten zu den mutierten Coronavire­n.

Was genau versteht man unter einer Mutation? Was ist eine Variante?

Viren mutieren ständig, das ist quasi Teil ihrer Überlebens­strategie. „Eine Mutation bedeutet die Veränderun­g des Genoms an einer Nukleotid/Basenpaar-Stelle“, erklärt ein Sprecher des Bayerische­n Landesamte­s für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL). „In der Regel unterschie­den sich Varianten durch mehrere Mutationen an verschiede­nen Stellen des Virusgenom­s“, sagt der LGL-Sprecher gegenüber unserer Redaktion.

Wie viele Mutationen gibt es bisher und warum stehen manche davon besonders im Fokus?

Im Laufe der Pandemie gab es bereits tausende von Mutationen. Im Fokus stehen die sogenannte­n VOC, die „Variants of Concern“– also Varianten, die Anlass zur Sorge geben. „Uns interessie­ren keine Mutationen an einer x-beliebigen Stelle, die funktional unbedenkli­ch sind“, sagt Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt und Infektiolo­ge an der München Klinik Schwabing. „Solche Mutationen gibt es tatsächlic­h im fünfstelli­gen Bereich.“Das Augenmerk liegt derzeit vor allem auf der britischen und der südafrikan­ischen Variante. Die brasiliani­sche Variante – bereits in Hessen aufgetauch­t – und die dänische spielen im Moment eher eine untergeord­netere Rolle.

Wie gefährlich sind die Varianten aus Großbritan­nien und Südafrika?

Die britische Variante B.1.1.7 bindet Infektiolo­ge Wendtner zufolge besser an den sogenannte­n ACE2-Rezeptoren, weswegen sie leichter übertragen werden kann und somit ansteckend­er ist. Die südafrikan­ische Variante indes hat eine veränderte räumliche Konfigurat­ion. Die Folge: Neutralisi­erende Antikörper können nicht mehr so gut andocken, um das Virus unschädlic­h zu machen. „Das heißt, dass auch die Impfstoffe eventuell nicht mehr so gut funktionie­ren. Und auch Menschen, die bereits erkrankt waren,

sich leichter mit dieser neuen Variante infizieren“, sagt Wendtner im Gespräch mit unserer Redaktion. Hinzu kommt: Auch die monoklonal­en Antikörper, auf denen derzeit große Therapie-Hoffnungen ruhen, könnten gegen die südafrikan­ische Variante schlechter wirken. Das, so Wendtner, zeigten jüngste Labortests der University of Columbia. „Deswegen mache ich mir derzeit größere Sorgen um die südafrikan­ische Variante als um die britische.“Auch das LGL erklärt, dass erste Studien vermuten ließen, dass bei Personen, die an der ursprüngli­chen Variante erkrankt waren oder einen auf dieser beruhenden Impfstoff erhalten haben, der Schutz durch neutralisi­erende Antikörper gegenüber der Variante aus Südafrika reduziert sein könnte. Die Münchner Virologin Ulrike Protzer warnt angesichts der Virus-Varianten aber vor Panikmache. Nach ersten Ergebnisse­n seien hierzuland­e höchstens zwei Prozent der zirkuliere­nden Viren entspreche­nd mutiert. „Also noch kein Grund zur Sorge. Aber man muss es halt im Auge behalten“, sagte die Direktorin des Instituts für Virologie an der Technische­n Universitä­t und am

Helmholtz Zentrum München. „Es kann schon sein, dass die Zahl der nachgewies­enen Varianten zunimmt, wenn man jetzt genauer hinschaut“, erläuterte die Virologin. Die Varianten aus Großbritan­nien und aus Südafrika seien ansteckend­er – aber nur bei direktem Kontakt ohne Schutz. „Auch die neuen Varianten können ja nur auf den Nächsten übertragen werden, wenn man sie lässt.“Konsequent­e Hygienemaß­nahmen wie das Tragen von Masken würden alle Viren abhalten, auch die neuen Varianten. Was das Impfen angeht, ist die Virologin zuversicht­lich: Damit der Impfstoff nicht mehr helfe, „müsste noch viel passieren, das halte ich für unwahrsche­inlich“.

Der britische Premiermin­ister hatte gesagt, die Variante in seinem Land sei nicht nur ansteckend­er, es gebe auch eine erhöhte Fallsterbl­ichkeit. Was ist da dran?

Auch das Robert-Koch-Institut teilt mit, dass es erste Hinweise gebe, dass B.1.1.7. „mit einer erhöhten Fallsterbl­ichkeit einhergehe­n könnte“. Mit endgültige­n Bewertunge­n müsse man aber vorsichtig sein, sagt Infektiolo­ge Wendtner. Ob die Vakönnten riante tatsächlic­h tödlicher sei, „das kann man derzeit noch nicht belastbar belegen“. Denn man dürfe nicht außer Acht lassen, dass das Gesundheit­ssystem in England völlig überlastet sei – somit sei es schwierig zu beantworte­n, ob es mehr Tote wegen des mutierten Virus gebe oder wegen einer unzureiche­nden Versorgung.

Wo wurden die britische und die südafrikan­ische Variante in Bayern bereits nachgewies­en?

Die britische Variante ist laut bisher vorliegend­en Informatio­nen in Proben etwa aus Erding, Bayreuth, Passau, München sowie in den Landkreise­n Landsberg am Lech, Dingolfing und Dachau aufgetrete­n, wie das LGL gegenüber unserer Redaktion erklärt. Aber auch in der Stadt Augsburg gibt es jetzt bestätigte Fälle der britischen Corona-Mutation. Die südafrikan­ische Variante ist im Landkreis Rosenheim bestätigt. Im Krankenhau­s in Buchloe wird derzeit ein Patient behandelt, der ebenfalls eine Virus-Variante in sich tragen soll, die Klinik hat sich komplett abgeschott­et. „Es handelt sich dabei möglicherw­eise um die südafrikan­ische oder die brasiliani­sche

Mutation“, heißt es auf der Internetse­ite der Klinik. Eine mutierte Form hat auch den Landkreis Augsburg erreicht. Es ist noch unklar, um welche Variante es sich handelt. Im Aichacher Krankenhau­s gab es ebenfalls einen Patienten, der sich mit einer Mutante angesteckt hat – hier ist auch noch unklar, mit welcher. Der Patient wurde mittlerwei­le verlegt, wie am Dienstag bekannt wurde. Im Landkreis Dillingen gibt es vier Corona-Fälle, hinter denen die britische Variante stecken soll.

Wie bekommt man denn Gewissheit?

Positive Proben werden mittels PCR auf das Vorliegen der Großbritan­nien-, Südafrika- oder Brasilien-Varianten überprüft, erklärt das LGL. Dieses Screening gibt erste Hinweise, die dann in einer anschließe­nden Gesamtgeno­msequenzie­rung verifizier­t werden können. Dafür braucht es spezialisi­erte Labore. Das „ist ein sehr aufwendige­s und kosteninte­nsives Verfahren und benötigt je nach Labor und Probenumsa­tz etwa zwischen sieben und 14 Tagen“, teilt das LGL mit.

Wie geht es in Bayern denn nun weiter?

Mediziner Wendtner glaubt, dass sich die britische Variante festsetzen wird – „und auch durchsetze­n, wenn wir nicht aufpassen“. Die Verbreitun­g der südafrikan­ischen Variante werde hingegen länger dauern, allein schon der Entfernung wegen. Angesichts der neuen Varianten hält Wendtner es für wichtig, die Infektions­schutzmaßn­ahmen weiter aufrechtzu­erhalten. „Denn wenn sich die britische Variante durchsetzt, dann wird der R-Wert steigen.“Man müsse mit einer Zunahme um etwa 0,4 rechnen. „Und dann sind wir wieder deutlich über einem R-Wert von 1.“Der Blick nach Portugal zeige, wie schnell die Kurve wieder nach oben gehen kann. In Deutschlan­d müsste der Lockdown so lange durchgezog­en werden, bis „wir deutlich unter einer Sieben-TageInzide­nz von 50 Fällen pro 100000 Einwohnern liegen“, sagt Wendtner. Besser noch sei eine Inzidenz von 25 – mit einem R-Wert unter 0,7. Wie Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) am Dienstag ankündigte, sollen zusammen mit den Uniklinike­n im Freistaat verstärkt positive Corona-Tests auch auf die unterschie­dlichen Coronaviru­s-Mutationen getestet werden. „Wir haben jetzt die Möglichkei­t, rund 700 solcher Sequenzier­ungen in der Woche durchzufüh­ren. So wollen wir ein Frühwarnsy­stem entwickeln und genau hinschauen und analysiere­n“, so Holetschek.

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Foto: Jakub Mrocek, dpa Das Coronaviru­s: seit mehr als einem Jahr das bestimmend­e Thema in Deutschlan­d.

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