Drogenhändler oder Süchtiger?
Bei einem Häftling im Kaisheimer Gefängnis wird Rauschgift gefunden. Von der Antwort auf die Frage, ob er damit handele oder es konsumiere, hängt jetzt seine Zukunft ab
Kaisheim/Augsburg Fünf Jahre sitzt der Mann bereits im Gefängnis. Vor rund einem Jahr sei er kurz davor gewesen, in den offenen Vollzug wechseln zu können, sagt er. Stattdessen habe er nun die vergangenen Monate meist isoliert verbracht, im „Bunker“, wie es im Gefängnisjargon heißt. Was ihn die weitreichenden Haftlockerungen gekostet hat, war ein Päckchen mit Drogen, das er in der Kaisheimer Justizvollzugsanstalt von seinem Arbeitsplatz in den Zellentrakt bringen wollte. Statt im offenen Vollzug ist er nun vor dem Augsburger Amtsgericht, angeklagt wegen Drogenschmuggels.
Gehandelt haben soll er mit dem Wirkstoff, den die Beamten bei ihm gefunden haben. So wirft es ihm die Anklage vor. Der 39-jährige Angeklagte behauptet hingegen, er habe noch nie mit Drogen gehandelt, weder vor noch während seiner Zeit im Gefängnis. Verurteilt worden war vor über fünf Jahren er wegen Internetbetrugs, seine Haft hat er zum Großteil bereits verbüßt. Es sei unsinnig, den offenen Vollzug zu riskieren, indem er kurz zuvor zu dealen beginnt. Seinen Schilderungen nach hat er ein massives Drogenproblem gehabt, jahrelang habe er psychoaktive Substanzen konsumiert. Auch das vor einem Jahr bei ihm gefundene Rauschgift sei für ihn selbst bestimmt gewesen. Als Disziplinarmaßnahme nach dem Fund muss er in den Bunker, später geht er nach einem tätlichen Angriff auf ihn freiwillig erneut in Isolation. Er sei seit dem Vorfall meist auf Entzug, sagt er.
Der bei ihm gefundene Wirkstoff reiche für 9800 Rauschzustände aus, hält Richterin Susanne Scheiwiller ihm vor. So steht es im für den Fall erstellten Gutachten. Deshalb sei es unwahrscheinlich, dass der Wirkstoff für den Eigenbedarf gedacht gewesen sei, argumentiert Staatsanwalt Thomas Junggeburt. Darüber schüttelt der Angeklagte den Kopf. Die Zahl sei viel zu hoch gegriffen, gibt er an. Scheiwiller und die Schöffen zeigen sich irritiert davon, dass der Angeklagte die Drogen nicht entsorgt habe, wenn der offene Vollzug so nah gewesen sei. „Wenn sie das so lange konsumieren – keine Chance, von selbst davon wegzukommen“, erklärt er.
Er schildert im Prozess detailliert, wie der Drogenhandel in der Anstalt abläuft. Von bekannten Händlern, von Tauschgeschäften mit illegalen Handys und Stoffen, die in den Tests nicht festzustellen seien, erzählt er. Von Wasserpfeifen aus Klopapierrollen und Alufolie. Und von Verstecken in den Gefängnisbetrieben. Dort könne man die Drogen an vielen Stellen unentdeckt deponieren, sagt der Mann – und wenn sie gefunden werden, seien sie den Insassen kaum zuzuordnen. Dem Handel Herr zu werden, scheint angesichts dessen kaum möglich. Auch die befragten Justizbeamten formulieren dies ähnlich.
Ob der Mann Dealer oder Junkie gewesen sei, können sie indes nicht beantworten. Als „große Nummer“im Gefängnis habe man den Angeklagten wahrgenommen, sagt einer von ihnen. Er sei als Händler im Gespräch gewesen, konkrete Hinweise habe es aber keine gegeben.
Zahlreiche Mitinsassen des Angeklagten bestätigen dessen Version: Er habe ein massives Drogenproblem gehabt. Als Händler sei er nicht aufgetreten. Und auch, dass die im Gutachten angegebene Wirkung der Drogen als deutlich zu schwach eingeschätzt seien, bestätigen sie. Geklärt werden kann die entscheidende Frage nach der Rolle des Angeklagten am ersten Prozesstag nicht. Der zuständige Ermittlungsführer der Polizei gibt in der Befragung an, er habe keine Ermittlungsansätze gesehen. Vor Gericht ergeben sich aber noch zahlreiche offene Punkte – die die geladenen Zeugen teilweise nicht aufklären können. Neue Zeugen werden nötig. Die Verhandlung wird unterbrochen. Kommende Woche wird sie fortgesetzt.