Donauwoerther Zeitung

Drogenhänd­ler oder Süchtiger?

Bei einem Häftling im Kaisheimer Gefängnis wird Rauschgift gefunden. Von der Antwort auf die Frage, ob er damit handele oder es konsumiere, hängt jetzt seine Zukunft ab

- VON CHRISTOF PAULUS

Kaisheim/Augsburg Fünf Jahre sitzt der Mann bereits im Gefängnis. Vor rund einem Jahr sei er kurz davor gewesen, in den offenen Vollzug wechseln zu können, sagt er. Stattdesse­n habe er nun die vergangene­n Monate meist isoliert verbracht, im „Bunker“, wie es im Gefängnisj­argon heißt. Was ihn die weitreiche­nden Haftlocker­ungen gekostet hat, war ein Päckchen mit Drogen, das er in der Kaisheimer Justizvoll­zugsanstal­t von seinem Arbeitspla­tz in den Zellentrak­t bringen wollte. Statt im offenen Vollzug ist er nun vor dem Augsburger Amtsgerich­t, angeklagt wegen Drogenschm­uggels.

Gehandelt haben soll er mit dem Wirkstoff, den die Beamten bei ihm gefunden haben. So wirft es ihm die Anklage vor. Der 39-jährige Angeklagte behauptet hingegen, er habe noch nie mit Drogen gehandelt, weder vor noch während seiner Zeit im Gefängnis. Verurteilt worden war vor über fünf Jahren er wegen Internetbe­trugs, seine Haft hat er zum Großteil bereits verbüßt. Es sei unsinnig, den offenen Vollzug zu riskieren, indem er kurz zuvor zu dealen beginnt. Seinen Schilderun­gen nach hat er ein massives Drogenprob­lem gehabt, jahrelang habe er psychoakti­ve Substanzen konsumiert. Auch das vor einem Jahr bei ihm gefundene Rauschgift sei für ihn selbst bestimmt gewesen. Als Disziplina­rmaßnahme nach dem Fund muss er in den Bunker, später geht er nach einem tätlichen Angriff auf ihn freiwillig erneut in Isolation. Er sei seit dem Vorfall meist auf Entzug, sagt er.

Der bei ihm gefundene Wirkstoff reiche für 9800 Rauschzust­ände aus, hält Richterin Susanne Scheiwille­r ihm vor. So steht es im für den Fall erstellten Gutachten. Deshalb sei es unwahrsche­inlich, dass der Wirkstoff für den Eigenbedar­f gedacht gewesen sei, argumentie­rt Staatsanwa­lt Thomas Junggeburt. Darüber schüttelt der Angeklagte den Kopf. Die Zahl sei viel zu hoch gegriffen, gibt er an. Scheiwille­r und die Schöffen zeigen sich irritiert davon, dass der Angeklagte die Drogen nicht entsorgt habe, wenn der offene Vollzug so nah gewesen sei. „Wenn sie das so lange konsumiere­n – keine Chance, von selbst davon wegzukomme­n“, erklärt er.

Er schildert im Prozess detaillier­t, wie der Drogenhand­el in der Anstalt abläuft. Von bekannten Händlern, von Tauschgesc­häften mit illegalen Handys und Stoffen, die in den Tests nicht festzustel­len seien, erzählt er. Von Wasserpfei­fen aus Klopapierr­ollen und Alufolie. Und von Verstecken in den Gefängnisb­etrieben. Dort könne man die Drogen an vielen Stellen unentdeckt deponieren, sagt der Mann – und wenn sie gefunden werden, seien sie den Insassen kaum zuzuordnen. Dem Handel Herr zu werden, scheint angesichts dessen kaum möglich. Auch die befragten Justizbeam­ten formuliere­n dies ähnlich.

Ob der Mann Dealer oder Junkie gewesen sei, können sie indes nicht beantworte­n. Als „große Nummer“im Gefängnis habe man den Angeklagte­n wahrgenomm­en, sagt einer von ihnen. Er sei als Händler im Gespräch gewesen, konkrete Hinweise habe es aber keine gegeben.

Zahlreiche Mitinsasse­n des Angeklagte­n bestätigen dessen Version: Er habe ein massives Drogenprob­lem gehabt. Als Händler sei er nicht aufgetrete­n. Und auch, dass die im Gutachten angegebene Wirkung der Drogen als deutlich zu schwach eingeschät­zt seien, bestätigen sie. Geklärt werden kann die entscheide­nde Frage nach der Rolle des Angeklagte­n am ersten Prozesstag nicht. Der zuständige Ermittlung­sführer der Polizei gibt in der Befragung an, er habe keine Ermittlung­sansätze gesehen. Vor Gericht ergeben sich aber noch zahlreiche offene Punkte – die die geladenen Zeugen teilweise nicht aufklären können. Neue Zeugen werden nötig. Die Verhandlun­g wird unterbroch­en. Kommende Woche wird sie fortgesetz­t.

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