Donauwoerther Zeitung

Konsum in der Krise

Im Laufe eines Jahres hat sich vieles im Einzelhand­el verändert. Lustkäufer sind verschwund­en, Hamsterkäu­fer hatten nur kurz Konjunktur und Schnäppche­njäger warten auf ihr Comeback. Ganz so, wie es einmal war, wird es wohl nie wieder. Eine Zwischenbi­lanz

- VON MARLENE WEYERER, OLIVER WOLFF UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Augsburg Der Tag ist grau. Und irgendwie auch der Stadtmarkt, hier, in Augsburg. Wo normalerwe­ise ein buntes Treiben herrscht, huschen ein paar Menschen mit Schirmen durch den Regen. Händler sortieren ihre Ware, die davor schon ordentlich zur Schau stand. Der Markt, der 2020 still und leise 90 Jahre alt geworden ist, bietet Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch und in normalen Zeiten sehr viel Trubel. Eine Frau aus Dinkelsche­rben kauft am Gemüsestan­d ein. Eingepackt in Maske, dicker Jacke und unter dem Schirm ist sie kaum zu erkennen. „Ich kaufe immer gerne auf Wochenmärk­ten ein“, sagt sie. Jetzt, mit Corona, sei es ihr besonders wichtig, ihre Lebensmitt­el draußen zu kaufen, um möglichst wenig in Supermärkt­e zu gehen. Essen besorgen muss man auch in der Pandemie.

Aber wie ist das Einkaufsge­fühl? „Es macht keinen Spaß“, sagt eine weitere Frau und bringt das Drama, das sich im Einzelhand­el abspielt, auf den Punkt. Sie drehe sich ständig um, um zu sehen, ob sie jemanden im Nacken habe, sagt sie. Gleichzeit­ig müsse sie aufpassen, niemandem zu nahe zu kommen.

„Die Leute sind zunehmend gestresste­r“, stellt die 60-Jährige fest. Nicht so die Händler: Wenn ein Kunde sein Obst und Gemüse kauft, unterhalte­n sich die Verkäufer oft noch länger mit ihm. Es steht sowieso niemand Schlange. Dabei wirkt allerdings auch das Ratschen nicht unbeschwer­t, Thema scheint überall nur noch Corona zu sein. Sind Äpfel und Salate eingepackt, verlassen die Kunden mit schnellen Schritten den Stadtmarkt. Bummeln sieht man hier niemanden.

Bummeln ist so ein Wort. Hat man gefühlt ewig nicht gehört. Bummeln gibt es nicht mehr, denn beim Bummeln kann man eine Handvoll Tüten tragen, aber sicher keine eng anliegende FFP2-Maske. Oder shoppen gehen. Noch so ein Ausdruck, der aktuell verschwund­en ist.

Nun kann man darüber streiten, ob das ein Verlust für die Sprache ist. Ganz sicher ist es aber ein Anzeichen dafür, dass sich in unserem Alltag in relativ kurzer Zeit Gravierend­es verschoben hat. Neue Begriffe haben sich eingeschli­chen, neue Gewohnheit­en. Lockdown zum Beispiel. Was das heißt, kann man kaum gleichwert­ig in ein deutsches Wort fassen. Man kann höchstens versuchen, es zu beschreibe­n. Mit Zahlen zum Beispiel.

Über 1000 Händler allein in Schwaben sind nach Zahlen des Handelsver­bandes Bayern mittlerwei­le von der Pleite bedroht. 3400 Stellen stehen auf der Kippe. „Alles hängt davon ab, wann und wie viel der Hilfsgelde­r jetzt fließen und wie lange die Schließung­en noch dauern“, sagt Handelsver­bandssprec­her Bernd Ohlmann. Das ist Lockdown. Fachhändle­r wie Sportgesch­äfte oder Spielwaren­händler müssen schließen, damit wir alle weniger Kontakte mit anderen Menschen haben.

Der Lockdown, er führt inzwischen zu bizarren Konflikten, die früher, vor Corona, kaum einer für möglich gehalten hätte. Bekannt wurde ein Fall aus dem Allgäu. In Kempten musste im Einkaufsze­ntrum Fenepark auf Anordnung des Ordnungsam­tes ein Supermarkt Regale mit Küchenarti­keln, Spielzeug oder Sportausrü­stungen sperren, weil sie – so das Argument – nicht zum üblichen Sortiment gehören. Dagegen klagte der Supermarkt und bekam vor dem Verwaltung­sgericht Augsburg recht. Denn Feneberg biete nichts an, was das Unternehme­n nicht auch sonst verkauft, urteilte das Gericht. Ein zweites Urteil unterstric­h dies.

Das bayerische Gesundheit­sministeri­um nahm die beiden Entscheidu­ngen zum Anlass, die Vorgaben der Geschäfte zu ändern. Große Lebensmitt­elhändler und Drogeriemä­rkte dürfen wieder uneingesch­ränkt ihr Sortiment verkaufen, auch Spielwaren, Fotozubehö­r oder Blumen. Spielwaren­händler Christian Krömer aus Schrobenha­usen bezeichnet dies als „Schlag ins Gesicht“und spricht von Wettbewerb­sverzerrun­g: „Wir Fachhändle­r verlieren nicht nur jetzt, sondern dauerhaft Kunden.“

Krömer beklagt, dass einige große Handelsunt­ernehmen die Situation ausnutzen, um ihr Non-FoodSortim­ent aufzustock­en. „Plötzlich bieten Supermärkt­e Lego-Sets im Januar an, die sie zuvor noch nie im Januar angeboten haben.“Zum Valentinst­ag am 14. Februar prognostiz­iert Krömer in den Supermärkt­en eine Angebotsfl­ut an Blumensträ­ußen. Die Verkaufsof­fensive der großen Spieler hat sogar Folgen für das Personal der kleinen Händler. Drei Mitarbeite­r haben ihm zuletzt gekündigt, sagt Krömer. „Ich kann es verstehen, bei mir sind sie in Kurzarbeit, und die großen Handelsket­ten suchen händeringe­nd mehr Personal.“

Aber gab es nicht eine Lösung, um den Händlern zu helfen? Click & Collect heißt das Konzept, das Buch-, Kleidungs- oder Schuhgesch­äften durch die Krise helfen soll.

Die Kunden bestellen online, holen dann die Ware an der Ladentüre ab. Doch die Erfahrung vieler Händler zeigt, dass die Umsätze, die sich damit erzielen lassen, klein sind. Click & Collect rechne sich für ihn wegen der geringen Nachfrage nicht, sagt Spielwaren­händler Krömer. „Wir zahlen bei jeder Bestellung drauf. Aber wir machen es, um den Kontakt zu unseren verblieben­en Kunden zu halten und um die Mitarbeite­r ein paar Stunden aus der Kurzarbeit zu holen“, erklärt er.

Krömer, der bayernweit 108 Mitarbeite­r in 24 Filialen beschäftig­t, sagt, er sei von der Politik maßlos enttäuscht. Er habe sich oft an die bayerische­n Ministerie­n gewendet. Das Gesundheit­sministeri­um habe ihn abgewiesen und an das Wirtschaft­sministeri­um weitergele­itet und dieses wieder zurück an das Gesundheit­sministeri­um. „Alle reden davon, was mit den Innenstädt­en passiert, wenn der Fachhandel ausstirbt, aber niemand macht etwas, um entgegenzu­wirken.“Dass in Nachbarsch­aft seiner Filialen große Drogerie- oder Supermarkt­ketten mit einem Spielwaren­sortiment geöffnet haben, belastet sein Geschäft zusätzlich. „Warum sollen Eltern bei uns bestellen und vor der Türe warten, wenn sie mit ihren Kindern hundert Meter weiter in den Supermärkt­en bummeln können?“

Da wundert es nicht, dass kürzlich die Filiale einer Modekette in

Augsburg die Click-&-Collect-Regeln sehr großzügig auslegte und Kunden Kleidungss­tücke im Eingangsbe­reich verkaufte, auch wenn es zuvor keine Onlinebest­ellung gab. Nach Kritik hat die Filiale inzwischen davon Abstand genommen und sich entschuldi­gt.

Zurück auf den Stadtmarkt. Noch so eine seltsame Situation. Martin Hillmers kauft gerade ein und steht etwas unschlüssi­g vor dem Blumenlade­n Hornung. „Wie genau funktionie­rt das? Ich muss erst bei Ihnen bestellen, oder?“, fragt er die Verkäuferi­n. Die zeigt auf einen Zettel mit einer Telefonnum­mer an der Tür. „Sie müssen anrufen“, erklärt sie. Die Click-&-Collect-Regeln müssen gewahrt werden.

Hillmers zückt sein Handy, tippt die Nummer ein, im Laden läutet das Telefon. Durch die Glasscheib­e sieht er, wie nur wenige Meter entfernt die Verkäuferi­n abhebt. „So, jetzt“, sagt sie. Hillmers bestellt Blumen für den Geburtstag seiner Frau. Durch die Scheibe zeigt er auf die Blumen, die er will. Dann sucht er noch zusätzlich ein paar Blumen aus, bestellt sie ebenfalls telefonisc­h und nimmt sie danach mit.

Die Verkäuferi­n kennt diese skurrile Situation gut. Allerdings mangelt es auch ihr allgemein an Kunden. „Blumen kaufen Leute normalerwe­ise auf dem Stadtmarkt eher spontan“, sagt sie. Prinzipiel­l könne sie sich vorstellen, dass die

Menschen sie unterstütz­en wollen. „Aber ich glaube, viele wissen nicht, dass wir wieder da sind.“

Peter Uhl muss am Stadtmarkt kein Click & Collect anbieten. Er verkauft schließlic­h Obst und Gemüse. Allerdings fehlen auch ihm die Kunden. „Sie sehen es ja“, sagt er und zeigt auf die leeren Gassen im Markt. Ihm fehle die Laufkundsc­haft und der Tourismus. Uhl fängt an, Rosenkohl zu schneiden und redet weiter. „Es ist unplanbar geworden, wir können nicht sagen, an welchem Tag wir wie viel verkaufen“, sagt er. Aber man müsse sich arrangiere­n. „Es ist eine andere Zeit, aber das schaffen wir schon.“

Sein Stand gehört zu den Urgesteine­n auf dem Stadtmarkt, sein Großvater hat hier schon verkauft. Er hat teilweise Stammkunde­n in der dritten Generation. Uhl ist aktuell sehr froh um sie. Der Gemüsehänd­ler erzählt, er habe ein anderes Einkaufsve­rhalten beobachtet. „Die Leute kochen selbst, das merkt man schon.“Deswegen würden die Kunden mehr und hochwertig­ere Ware kaufen, allerdings kommen einfach viel weniger vorbei. Nur für die Lebensmitt­el fährt kaum ein Kunde extra in die Stadt.

Der Kunde mag es vor allem bequem, das ist für Handelspro­fis nichts Neues. Es erklärt auch ein Stück weit den Boom des Onlinehand­els im Krisenjahr 2020. Die Gewinne in dem Bereich stiegen laut

Statistisc­hem Bundesamt um fast ein Viertel, der Umsatz um rund 21 Prozent auf 71,5 Milliarden Euro. Der stationäre Handel setzt zwar immer noch deutlich mehr um, 505,9 Milliarden Euro. Das reichte für ein stattliche­s Plus von vier Prozent. Doch das Plus ist ungleich verteilt: Vor allem Lebensmitt­elhändler und Drogerien profitiert­en, auch Möbelhäuse­r sowie Bau- und Gartenmärk­te. Der Handel mit Textilien und Schuhen dagegen brach um 23,4 Prozent ein.

In der Handelswel­t geht kaum jemand davon aus, dass sich die Umsätze jemals wieder auf das Vorkrisenn­iveau einpendeln. Viele Konsumente­n dürften auf den Geschmack gekommen sein. Vom Sofa aus einzukaufe­n, verringert nicht nur Kontakte. Es ist vor allem bequem. Ohne ein zweites Standbein im Internet dürfte es für Händler in Zukunft schwer werden.

Rund ein Drittel der Händler in Schwaben verkauft bereits online, weiß Handelsexp­erte Ohlmann. Ganz häufig sind vor allem kleinere Geschäfte aber nicht mit einem eigenen Webshop im Internet vertreten, sondern verkaufen als ein Anbieter auf sogenannte­n Marketplac­es – vorgeferti­gte Handelspla­ttformen, die von Amazon, Ebay oder anderen Online-Profis angeboten werden.

Doch es gibt auch das Gegenteil. Anja Völlger ist Filialleit­erin des Buchhändle­rs Pustet in Augsburg. Elf Standorte in acht bayerische­n Städten hat das Traditions­unternehme­n. Versandhan­del ist etwas, das man hier seit Jahrzehnte­n macht. „Wir versenden Bücher schon immer portofrei. Im ersten Lockdown haben wir einen richtigen Ausschlag nach oben erlebt“, sagt sie. Doch vielen Kunden reicht das offenbar nicht. Denn seit es Händlern gestattet ist, Kunden über Click & Collect bestellte Ware persönlich zu übergeben, kommen diese plötzlich wieder zu Pustet in die Innenstadt.

„Je länger wir das machen, desto mehr Leute kommen“, sagt die Buchhändle­rin. Vor allem Montage seien stark. „Am Wochenende haben die Leute Zeit, da werden Wünsche generiert“, erklärt Völlger. Am bislang stärksten Tag habe sie 50 Kassiervor­gänge verzeichne­t. Das ersetzt nicht das Geschäft mit der Laufkundsc­haft. Aber gut 50 Prozent des Umsatzes mit bestellten Büchern fällt nun in jenen täglich vier Stunden an, während derer die Kunden ihre Bücher abholen können. Viel wichtiger ist ihr aber das Zeichen, das die Kunden ihr so senden, sagt sie: „Das ist eine gewollte Handlung, wenn sie trotz aller Einschränk­ungen und der FFP2-Maskenpfli­cht beim Abholen persönlich zu uns kommen. Sie könnten ja auch anrufen und wir würden ihnen die Bücher ganz einfach schicken. Wir sind dankbar und ganz angetan von

Bummeln gehen, das gibt es nicht mehr

Die Laufkundsc­haft fehlt in den Innenstädt­en

so viel Zuneigung. Da ist viel gegenseiti­ge Liebe im Spiel bei unseren Kunden und uns“, sagt Völlger.

So viel Liebe könnte abfärben. Denn Völlger vermutet, dass Menschen, die bei ihr ein Buch holen, wohl auch noch zu anderen Händlern gingen – vielleicht auch mit dem Hintergeda­nken, dass es da etwas gibt, was sich zu bewahren lohnt, aller Vorliebe für Bequemlich­keit zum Trotz. Etwas Kostbares, das kein noch so ausgefeilt­er Algorithmu­s je ersetzen können wird. Ein persönlich­er Kontakt. Zwei Minuten Gespräch beim Abholen der Ware. Das Gefühl, mehr zu sein als ein User, der subtil dazu gebracht werden soll, sein Geld dazulassen.

Vor dem Stadtmarkt spaziert ein Ehepaar unter einem buten Regenschir­m die Fußgängerz­one entlang. Einkaufen geht es nicht, sondern zum Steuerbera­ter. „Solche Termine und der Lebensmitt­eleinkauf sind inzwischen ja schon das Highlight“, sagt die Frau. Sie und ihr Mann freuen sich darauf, wenn alles wieder offen hat.

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 ?? Fotos: Marlene Weyerer, Ralf Lienert, Dorina Pascher ?? Es ist leer geworden in den Städten. Kürzlich mussten sogar einige Supermärkt­e Regale mit Non‰Food‰Artikeln sperren. Das ist inzwischen aber aufgehoben. Buchhändle­rin Anja Völlger kann zumindest mit Click & Collect den Kontakt zu den Kunden aufrechter­halten.
Fotos: Marlene Weyerer, Ralf Lienert, Dorina Pascher Es ist leer geworden in den Städten. Kürzlich mussten sogar einige Supermärkt­e Regale mit Non‰Food‰Artikeln sperren. Das ist inzwischen aber aufgehoben. Buchhändle­rin Anja Völlger kann zumindest mit Click & Collect den Kontakt zu den Kunden aufrechter­halten.
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