Donauwoerther Zeitung

Was hinter dem „Quarantäne‰Knast“steckt

Die Landkreise in Schleswig-Holstein haben eine neue Einrichtun­g für Quarantäne­verweigere­r. Wer sich wiederholt einer entspreche­nden Anordnung widersetzt, soll die Zeit in einem Gefängnis verbringen

- VON SÖREN BECKER

Neumünster Seit Tagen gibt es im Internet Aufregung um den sogenannte­n „Corona-Knast“, der am Montag auf dem Gelände der Jugendarre­stanstalt Moltsfelde in Schleswig-Holstein eröffnet hat. In der vom Kreis Segeberg betriebene­n Anlage sollen Quarantäne­verweigere­r aus dem ganzen Bundesland untergebra­cht werden. Aber was steckt hinter den Schlagzeil­en?

Zuallerers­t: Zwangs-Quarantäne ist in Deutschlan­d schon älter als Covid-19. Vor der Pandemie stand sie meist im Zusammenha­ng mit Tuberkulos­e. Für diese Lungenkran­kheit ist der Paragraf 30 des Infektions­schutzgese­tzes ursprüngli­ch gedacht. Dieser sieht bei wiederholt­en Verstößen gegen eine Quarantäne­anordnung eine richterlic­h angeordnet­e sogenannte „Zwangsabso­nderung“vor, wenn alle anderen Möglichkei­ten ausgeschöp­ft sind.

Dabei handelt es sich ausdrückli­ch nicht um eine Haftstrafe, sondern um einen Zwang zur Einhaltung der Quarantäne­anordnung. Diese muss dann zum Beispiel in der Fachklinik für Lungen- und Bronchiale­rkrankunge­n im oberpfälzi­schen Parsberg verbracht werden. Dort werden schon seit Jahren tuberkulös­e Verweigere­r untergebra­cht.

Meist handle es sich bei den Patienten um Menschen mit einer psychische­n Erkrankung, erklärt der ärztliche Direktor Peter Pommer: „Fast immer sind das Menschen, die

Suchtkrank­heit haben, oder durch ihre geistige Erkrankung nicht einsichtsf­ähig sind.“Beispielsw­eise, weil sie unter schizophre­nen Wahnvorste­llungen leiden. Eine ähnliche Einrichtun­g für die Corona-Quarantäne wollte auch der Schleswig-Holsteinis­che Landkreist­ag schaffen.

Die Arrestanst­alt bei Neumünster lag als Quarantäne­station nahe, da dort der Vollzug des Jugendarre­sts momentan ausgesetzt ist und die Anlage leer steht. Nach einem Corona-Ausbruch in den nahen Gefängniss­en in Itzehoe und Kiel, wurde die Einrichtun­g als behelfsmäß­ige Krankensta­tion freigehalt­en. Moltsfelde wird aktuell aber weder als Krankensta­tion noch als Quarantäne­einrichtun­g verwendet. Alle sechs Zellen für Quarantäne­verweigere­r sind aktuell frei.

Diese sind in ganz Deutschlan­d ziemlich selten. Die Klinik in Parsberg war lange die einzige ihrer Art auf dem Bundesgebi­et und habe meist zwischen 15 und 20 Zwangsquar­antäne-Patienten bei fast 5000 Tuberkulos­eerkrankun­gen pro Jahr gehabt. Wegen der kürzeren Quarantäne bei Corona vermutet Expereine te Pommer, dass das Phänomen hier noch seltener ist. Damit könnte er recht haben: Seit Beginn der Pandemie sind in Schleswig-Holstein nur einzelne Fälle bekannt, bei denen Paragraf 30 zur Anwendung gekommen ist. Eine Statistik führt man dort nicht.

Der Fraktionsv­orsitzende der SPD im Landtag, Ralf Stegner, steht hinter der Station: „Jeder kann frei wählen, ob er die Quarantäne zu Hause machen möchte. Wer das nicht tut, muss damit leben, dass der Staat sie durchsetzt“, sagte Stegner auf Anfrage. Das sei insbesonde­re notwendig, wenn eine Gefährdung Dritter vorliege.

Die Schleswig-Holsteiner sind nicht die Ersten mit der Idee, ein Gefängnis zu nutzen: Seit Mai wurden in Brandenbur­g laut dpa rund 30 Quarantäne­brecher in eine ehemalige Abschiebeh­aftanstalt in Eisenhütte­nstadt eingewiese­n. Aktuell ist die Station aber leer. In Sachsen wollte man Zimmer in Psychiatri­en für den gleichen Zweck nutzen, aber in letzter Minute nahm Ministerpr­äsident Michael Kretschmer die Entscheidu­ng zurück. Der Erlass habe „bei vielen Menschen falsche Sorgen geweckt“, schrieb er auf Twitter. Auch in Bayern behält man sich vor, Quarantäne­verweigere­r einzusperr­en. Dafür wolle man kein Gefängnis einsetzen, betont ein Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums. Neben dem Freiheitse­ntzug müsse auch die gesundheit­liche Versorgung der Betroffene­n gesichert sein. Daher habe „die Unterbring­ung in einem Krankenhau­s oder einem Teil eines Krankenhau­ses zu erfolgen“.

Ähnlich wie die Klinik in Parsberg also. Auch dort hat man einen Trakt für Corona-Patienten reserviert. Bis dieser zum Einsatz kommt, wird es allerdings noch dauern: „Eine Corona-Infektion wäre für unsere Tuberkulos­epatienten lebensgefä­hrlich“, warnt Klinikdire­ktor Pommer. Er will die Eignung des Gefängniss­es nicht einschätze­n. Dazu wisse er zu wenig: „Aber wir schaffen es auch ohne ein Gefängnis ganz gut, die Leute hierzubeha­lten.“

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Foto: Christian Charisius, dpa Wer sich nicht an die Quarantäne hält, muss sie vielleicht hinter diesem Zaun verbringen.

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