Es dröhnt und scheppert – trotzdem ist es gut
Der Online-Musikunterricht hat seine Tücken, aber Andreas Nagl kann ihm auch Positives abgewinnen
Rain Stadtkapellmeister Andreas Nagl steht im leeren Probenraum der Rainer Musikschule im Schloss. Ringsrum ist es wie ausgestorben: keine Schüler, keine Lehrer, keine Musiker, keine fröhlichen Stimmen, keine Klänge – nichts, was daran erinnert, dass üblicherweise hier Instrumente zum Einsatz kommen und Musik gelebt wird.
Dann aber nimmt der 52-Jährige sein Tablet in Betrieb, das mithilfe einer Halterung auf einen Notenständer montiert ist. Auf dem Bildschirm erscheint Jonas Brucklachner aus Oberpeiching, der sein Handy zu Hause ebenfalls auf einen Notenständer gelegt hat und nun aus der Ferne mit seinem Musiklehrer in Kontakt ist. „Na, bist du für heute mit der Schule fertig“, fragt Andreas Nagl und die beiden tauschen sich ein bisschen aus. Dann beginnt der Unterricht. Jonas lernt seit zweieinhalb Jahren das Spiel auf der Posaune und beginnt, seine Hausaufgabe vorzutragen: „Take it easy“von Rick Steve und ein „Allegretto vivace“von Carl Czerny. Beides soll der Zehnjährige – irgendwann – bei einem Solo/Duo-Wettbewerb vorspielen.
Was davon akustisch im Rainer Schloss ankommt, hat nicht wirklich eine klangliche Ästhetik. Die Töne, die Jonas daheim in Oberpeiching auf seiner Posaune ziemlich treffsicher intoniert, kommen in Rain nur verzerrt an, begleitet von einem gewissen Scheppern und Dröhnen. „Das klangliche Ergebnis ist nicht wirklich befriedigend im Vergleich zum Präsenzunterricht“, stellt Andreas Nagl fest, „aber der OnlineUnterricht ist auf jeden Fall besser als gar nichts. Die Vorstellung, nichts zu machen, wäre für uns eine Katastrophe. Monatelang keinen Unterricht abzuhalten, das kann ich mir nicht vorstellen. Auf diese Weise haben unsere Schüler ihre normalen Unterrichtstermine, das gibt Struktur, sie müssen üben und etwas abliefern.“Einen Schüler zehn Wochen oder länger nicht zu betreuen, ist für den erfahrenen Musik-Pädagogen unvorstellbar. „Da weiß ich dann hinterher nicht, wo ich anfangen soll.“Kein einziger Schüler ist der städtischen Musikschule Rain abgesprungen, wie Nagl sagt, und die Rückmeldungen der Eltern sind soweit gut.
Die derzeitige Methode hat sich notwendigerweise etabliert – als Übergangslösung. Davon sind auch die neun anderen Instrumentallehrer der städtischen Musikschule Rain überzeugt, wie Nagl bestätigt. „Ich musste keinen von den Kollegen überreden.“Anfangs, so gibt er zu, seien Berührungsängste mit der neuen Materie durchaus da gewesen. Jetzt aber „hat sich manches eingespielt“.
Jonas hat inzwischen einen Part beendet, und sein Lehrer geht weiter im Programm: „Okay, Jonas, du kannst das! Geh jetzt mal zur letzten Zeile.“Über Dynamik zu reden – also die Gestaltung mit Lautstärken von piano bis forte etwa – ist hinfällig. Davon kommt wenig Differenziertes über die elektronischen Geräte an. Aber Tempi und Rhythmik können korrigiert werden. „Stopp, Jonas“, unterbricht Andreas Nagl beispielsweise, „schau dir mal den zweiten und den dritten Takt an. Ist das dasselbe? – Da ist die Punktierung anders!“
Die Musikschule ist das eine – die Stadtkapelle das andere. Und dort liegt freilich der gesamte Betrieb brach. Alles ist ausgesetzt. Es gibt keine Proben, keine Termine und nur ganz vage Pläne. „Wir hatten uns ja vor über einem Jahr für die Teilnahme am Deutschen Orchesterwettbewerb in Bonn qualifiziert“, erinnert Andreas Nagl. „Pandemiebedingt hat der Wettbewerb allerdings bisher nicht stattgefunden. Er wird nun virtuell ausgetragen. Erst vor wenigen Tagen haben wir mögliche Termine für die Aufnahme festgelegt. Dann kommt ein Team, das unsere Beiträge aufzeichnet.“
Anfang September hat es drei Open-Air-Konzerte im Stadtpark gegeben, Mitte Oktober war dann die vorerst letzte Probe des Orchesters. „Eigentlich hatten wir im Sinn, im Januar oder Februar mit großem Abstand in der Dreifachturnhalle eine Winterkonzertreihe anzubieten“, schildert Andreas Nagl, „aber das ist ja dann auch geplatzt.“
Eines aber ist für den Musikalischen Leiter der Stadtkapelle ganz sicher: „Wenn es wieder losgehen darf, dann werden wir sehr schnell und mit großem Nachdruck auf ein baldiges Ziel, irgendein Konzertformat, hinarbeiten. Es ist wichtig, dass wir uns dann rasch musikalisch wiederfinden ...“