Donauwoerther Zeitung

„Es geht um einen Endkampf, Gut gegen Böse“

Die Deutschen erscheinen besonders anfällig für die Verschwöru­ngsideolog­ie QAnon. Eine Expertin erklärt, was der Machtverlu­st ihres Idols Donald Trump für die Bewegung bedeutet und wie gefährlich sie auch bei uns ist

- Interview: Christina Heller-Beschnitt

In Deutschlan­d ist die Verschwöru­ngsideolog­ie QAnon zum ersten Mal auf Demonstrat­ionen gegen die CoronaPoli­tik sichtbar geworden. Gab es diese Bewegung vorher bei uns nicht?

Simone Rafael: Es gibt sie seit 2017 in den USA, und wie bei vielen Phänomenen im verschwöru­ngspsychol­ogischen oder rechtsextr­emen Bereich interessie­rt das auch Menschen mit einer entspreche­nden Einstellun­g in Deutschlan­d. Aber das war damals sehr vereinzelt. Und das blieb so bis zum März 2020. Mit der Corona-Pandemie bekamen Verschwöru­ngsideolog­ien insgesamt einen großen Zustrom. Dabei stellte sich heraus, dass QAnon eine Art Superversc­hwörung ist.

Was bedeutet das?

Rafael: Bei QAnon gibt es nicht nur ein klar definierte­s Freund- und Feindbild – das bieten grundsätzl­ich alle Verschwöru­ngserzählu­ngen an. QAnon funktionie­rt auch als Verschwöru­ngsideolog­ie zum Selbermach­en. Es wird gesagt: Recherchie­re selbst, denk selbst. Dadurch geraten die Menschen immer tiefer in den Sog der Ideologie. Und in die QAnon-Ideologie lassen sich beliebte, lokale Verschwöru­ngserzählu­ngen gut einbetten – dadurch hat sie weltweit viele Anhänger gefunden. In Deutschlan­d waren das etwa die Reichsbürg­er.

Worum geht es in der Verschwöru­ngsideolog­ie von QAnon?

Rafael: Im Kern geht es darum, dass ein Endkampf angestrebt wird zwischen Gut und Böse. Auf der guten Seite wurde Donald Trump als der Heilsbring­er schlechthi­n gesehen. Er sollte allem ein Ende setzen, was rechtspopu­listische, rechtsextr­eme Leute hassen – also alle Formen von Moderne, von Gleichwert­igkeit. Das sollte er tun, indem er gegen den sogenannte­n „Deep State“kämpft. Der „Tiefe Staat“, das sind die Bösen. Die Strippenzi­eher, eine geheime globale Elite, von der QAnonAnhän­ger glauben, dass sie in Wirklichke­it Politik machen. Das alles sind Chiffren für Jüdinnen und Juden – die Verschwöru­ngsideolog­ie ist also sehr antisemiti­sch. Das mischt sich mit lokalen Komponente­n – in Deutschlan­d eben mit der Verschwöru­ngsideolog­ie der Reichsbürg­er. Die glauben, dass die Bundesrepu­blik Deutschlan­d keine legitime Staatsform ist, sondern, dass es noch das Deutsche Reich geben müsste, weil Deutschlan­d mit den Alliierten nie einen Friedensve­rtrag geschlosse­n hat. Da kommt wieder Donald Trump ins Spiel, der Deutschlan­d diesen Friedensve­rtrag und damit seine Souveränit­ät geben sollte. Das ist natürlich alles Unfug. Aber in der Weltsicht der QAnonAnhän­ger macht es Sinn.

Donald Trump ist nicht mehr Präsident. Was bedeutet das für die Anhänger von QAnon? Er hat ihre Erwartunge­n als Heilsbring­er ja offensicht­lich nicht erfüllt.

Rafael: Es wird sehr interessan­t zu beobachten, was passiert. Noch haben wir nur eine Momentaufn­ahme. Und bisher zeigt sich: Sowohl in den USA als auch in Deutschlan­d ist die QAnon-Szene gespalten. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die total desillusio­niert sind. Sie sagen: „Okay, der Sturm, an den wir geglaubt haben, den Trump auslösen sollte, ist nicht gekommen. Vielmüssen wir jetzt durchatmen und versuchen, wieder in ein normales Leben zurückzuke­hren.“

Und die andere Seite?

Rafael: Die andere Seite versucht verzweifel­t, die Verschwöru­ngserzählu­ng weiterzuen­twickeln. Die Leute sagen zum Beispiel: „Das ist alles Teil des Plans. Joe Biden darf ein paar Tage Präsident sein, dann wird Trump wieder übernehmen.“Es gibt aber auch Erzählunge­n, die sagen: „Biden ist Präsident von Washington D.C., aber den Rest von Amerika hat Donald Trump abgeriegel­t, und alle anderen Amerikaner gehören zu der Republik, die er in ein paar Tagen ausrufen wird.“Es wird versucht, die Verschwöru­ngserzählu­ng aufrechtzu­erhalten. Langjährig­e Forschung dazu hat gezeigt, dass Menschen, die schon viel Energie in eine Ideologie investiert haben, die sich vielleicht mit ihren Familien oder Arbeitgebe­rn überworfen haben, auf alle Fälle versuchen, die Illusion aufrechtzu­erhalten. Selbst wenn es sich offensicht­lich um eine Illusion handelt. Was positiv zu bewerten ist, ist, dass nach dem Sturm auf das Kapitol bisher keine weitere Gewalt entstanden ist.

Wie viel Gewaltpote­nzial steckt in den QAnon-Anhängern?

Rafael: Die Situation in den USA und in Deutschlan­d ist nicht ganz vergleichb­ar. In den USA gelten zum Beispiel andere Waffengese­tze als hier. Dort sind auch viele militante Gruppen unter den Anhängern. Also Menschen, die bewaffnet sind und wissen, wie man mit einer Waffe umgeht. Das hat der 6. Januar – der Tag des Sturms auf das Kapitol – deutlich gezeigt. In Deutschlan­d existiert eine starke Verknüpfun­g in die Reichsbürg­erszene, die wiederum eine starke Verbindung in die Szene der rechtsextr­emen Prepper hat. Also diejenigen Rechtsextr­emen, die sich auf einen Tag X vorbereite­n. Wobei Tag X auch als Tag der Machtübern­ahme oder Ähnliches zu verstehen ist. Das sind die Gruppen, die sich nicht nur einen Bunker bauen und Lebensmitt­el aufbewahre­n. Die horten auch Waffen, weil sie denken, dass sie die für den Tag X brauchen. Und zuletzt wurden solche Gruppen auch in Bundeswehr­und Polizeikre­isen entdeckt. Von dort wurden auch Waffen beiseitege­schafft und gehortet. Das heißt: Das Gefährdung­spotenzial ist auf alle Fälle da. Auch in Deutschlan­d.

Vergangene­s Jahr hat die AmadeuAnto­nio-Stiftung einen Bericht veröffentl­icht, indem Sie QAnon als eine der gefährlich­sten Bewegungen einstufen. Haben die Sicherheit­sbehörden das auf dem Schirm?

Rafael: Ich kann es nur hoffen. Es liegen alle Karten klar auf dem Tisch. Leute reden in offenen Online-Gruppen darüber, welche gewalttäti­ge Fantasien sie haben, oder fangen an, Pläne zu schmieden. Zu erkennen, dass dort ein Gewaltpote­nzial vorhanden ist, ist nicht schwer. Anderersei­ts haben wir den 6. Januar in den USA gesehen, an dem es einem Mob von Menschen möglich war, problemlos in das Kapitol zu laufen – weil eben nicht viel Sicherheit­spersonal da war. Ich hoffe sehr, dass deutsche Behörden das besser auf dem Schirm haben. Vor allem, weil im Frühling vermutlich die Demonstrat­ionen wieder losgeleich­t hen und dieses Jahr auch die Bundestags­wahl stattfinde­t.

In dem Bericht steht auch, dass QAnon hierzuland­e mit die meisten Anhänger hat. Wie kommt das?

Rafael: Die Frage können wir noch nicht ganz beantworte­n. Aber die Einstellun­gsforschun­g spricht seit vielen Jahren davon, dass in Deutschlan­d rund 25 Prozent der Menschen für rechtspopu­listische, verschwöru­ngsideolog­ische Inhalte ansprechba­r sind. Durch die Demonstrat­ionen, die es während der Pandemie gab, ist die Gruppe sichtbar geworden. Aber die Szene gab es schon davor – sicher ist die Zahl der Anhängerin­nen und Anhänger während der Pandemie aber gewachsen. Bei Pegida haben wir etwas Ähnliches beobachtet.

Wenn man Angehörige oder Freunde hat, die in diese Blase gerutscht sind, ist dann jetzt ein guter Zeitpunkt, wieder Kontakt mit ihnen aufzunehme­n?

Rafael: Jetzt ist quasi der perfekte Zeitpunkt dafür. Jetzt kann man mit offenen Armen auf die Menschen zugehen und sagen: Ich bin für dich da, wenn du feststells­t, dass du reden oder dich abwenden möchtest. Was man aber verstehen muss, ist, dass die Rückkehr in die Realität nicht leicht ist. Die Leute bewegen sich ja in einer wahnhaften Welt.

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Foto: David Alonso, Imago Images Donald Trump ist für die Anhänger von QAnon der Heilsbring­er. Sie unterstütz­en ihn mit allen Mitteln – notfalls auch mit Gewalt.
 ??  ?? Simone Rafael befasst sich für die Amadeu‰Antonio‰ Stiftung seit Jahren mit Rechtsextr­emismus und Rechtspopu­lismus.
Simone Rafael befasst sich für die Amadeu‰Antonio‰ Stiftung seit Jahren mit Rechtsextr­emismus und Rechtspopu­lismus.

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