„Es geht um einen Endkampf, Gut gegen Böse“
Die Deutschen erscheinen besonders anfällig für die Verschwörungsideologie QAnon. Eine Expertin erklärt, was der Machtverlust ihres Idols Donald Trump für die Bewegung bedeutet und wie gefährlich sie auch bei uns ist
In Deutschland ist die Verschwörungsideologie QAnon zum ersten Mal auf Demonstrationen gegen die CoronaPolitik sichtbar geworden. Gab es diese Bewegung vorher bei uns nicht?
Simone Rafael: Es gibt sie seit 2017 in den USA, und wie bei vielen Phänomenen im verschwörungspsychologischen oder rechtsextremen Bereich interessiert das auch Menschen mit einer entsprechenden Einstellung in Deutschland. Aber das war damals sehr vereinzelt. Und das blieb so bis zum März 2020. Mit der Corona-Pandemie bekamen Verschwörungsideologien insgesamt einen großen Zustrom. Dabei stellte sich heraus, dass QAnon eine Art Superverschwörung ist.
Was bedeutet das?
Rafael: Bei QAnon gibt es nicht nur ein klar definiertes Freund- und Feindbild – das bieten grundsätzlich alle Verschwörungserzählungen an. QAnon funktioniert auch als Verschwörungsideologie zum Selbermachen. Es wird gesagt: Recherchiere selbst, denk selbst. Dadurch geraten die Menschen immer tiefer in den Sog der Ideologie. Und in die QAnon-Ideologie lassen sich beliebte, lokale Verschwörungserzählungen gut einbetten – dadurch hat sie weltweit viele Anhänger gefunden. In Deutschland waren das etwa die Reichsbürger.
Worum geht es in der Verschwörungsideologie von QAnon?
Rafael: Im Kern geht es darum, dass ein Endkampf angestrebt wird zwischen Gut und Böse. Auf der guten Seite wurde Donald Trump als der Heilsbringer schlechthin gesehen. Er sollte allem ein Ende setzen, was rechtspopulistische, rechtsextreme Leute hassen – also alle Formen von Moderne, von Gleichwertigkeit. Das sollte er tun, indem er gegen den sogenannten „Deep State“kämpft. Der „Tiefe Staat“, das sind die Bösen. Die Strippenzieher, eine geheime globale Elite, von der QAnonAnhänger glauben, dass sie in Wirklichkeit Politik machen. Das alles sind Chiffren für Jüdinnen und Juden – die Verschwörungsideologie ist also sehr antisemitisch. Das mischt sich mit lokalen Komponenten – in Deutschland eben mit der Verschwörungsideologie der Reichsbürger. Die glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland keine legitime Staatsform ist, sondern, dass es noch das Deutsche Reich geben müsste, weil Deutschland mit den Alliierten nie einen Friedensvertrag geschlossen hat. Da kommt wieder Donald Trump ins Spiel, der Deutschland diesen Friedensvertrag und damit seine Souveränität geben sollte. Das ist natürlich alles Unfug. Aber in der Weltsicht der QAnonAnhänger macht es Sinn.
Donald Trump ist nicht mehr Präsident. Was bedeutet das für die Anhänger von QAnon? Er hat ihre Erwartungen als Heilsbringer ja offensichtlich nicht erfüllt.
Rafael: Es wird sehr interessant zu beobachten, was passiert. Noch haben wir nur eine Momentaufnahme. Und bisher zeigt sich: Sowohl in den USA als auch in Deutschland ist die QAnon-Szene gespalten. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die total desillusioniert sind. Sie sagen: „Okay, der Sturm, an den wir geglaubt haben, den Trump auslösen sollte, ist nicht gekommen. Vielmüssen wir jetzt durchatmen und versuchen, wieder in ein normales Leben zurückzukehren.“
Und die andere Seite?
Rafael: Die andere Seite versucht verzweifelt, die Verschwörungserzählung weiterzuentwickeln. Die Leute sagen zum Beispiel: „Das ist alles Teil des Plans. Joe Biden darf ein paar Tage Präsident sein, dann wird Trump wieder übernehmen.“Es gibt aber auch Erzählungen, die sagen: „Biden ist Präsident von Washington D.C., aber den Rest von Amerika hat Donald Trump abgeriegelt, und alle anderen Amerikaner gehören zu der Republik, die er in ein paar Tagen ausrufen wird.“Es wird versucht, die Verschwörungserzählung aufrechtzuerhalten. Langjährige Forschung dazu hat gezeigt, dass Menschen, die schon viel Energie in eine Ideologie investiert haben, die sich vielleicht mit ihren Familien oder Arbeitgebern überworfen haben, auf alle Fälle versuchen, die Illusion aufrechtzuerhalten. Selbst wenn es sich offensichtlich um eine Illusion handelt. Was positiv zu bewerten ist, ist, dass nach dem Sturm auf das Kapitol bisher keine weitere Gewalt entstanden ist.
Wie viel Gewaltpotenzial steckt in den QAnon-Anhängern?
Rafael: Die Situation in den USA und in Deutschland ist nicht ganz vergleichbar. In den USA gelten zum Beispiel andere Waffengesetze als hier. Dort sind auch viele militante Gruppen unter den Anhängern. Also Menschen, die bewaffnet sind und wissen, wie man mit einer Waffe umgeht. Das hat der 6. Januar – der Tag des Sturms auf das Kapitol – deutlich gezeigt. In Deutschland existiert eine starke Verknüpfung in die Reichsbürgerszene, die wiederum eine starke Verbindung in die Szene der rechtsextremen Prepper hat. Also diejenigen Rechtsextremen, die sich auf einen Tag X vorbereiten. Wobei Tag X auch als Tag der Machtübernahme oder Ähnliches zu verstehen ist. Das sind die Gruppen, die sich nicht nur einen Bunker bauen und Lebensmittel aufbewahren. Die horten auch Waffen, weil sie denken, dass sie die für den Tag X brauchen. Und zuletzt wurden solche Gruppen auch in Bundeswehrund Polizeikreisen entdeckt. Von dort wurden auch Waffen beiseitegeschafft und gehortet. Das heißt: Das Gefährdungspotenzial ist auf alle Fälle da. Auch in Deutschland.
Vergangenes Jahr hat die AmadeuAntonio-Stiftung einen Bericht veröffentlicht, indem Sie QAnon als eine der gefährlichsten Bewegungen einstufen. Haben die Sicherheitsbehörden das auf dem Schirm?
Rafael: Ich kann es nur hoffen. Es liegen alle Karten klar auf dem Tisch. Leute reden in offenen Online-Gruppen darüber, welche gewalttätige Fantasien sie haben, oder fangen an, Pläne zu schmieden. Zu erkennen, dass dort ein Gewaltpotenzial vorhanden ist, ist nicht schwer. Andererseits haben wir den 6. Januar in den USA gesehen, an dem es einem Mob von Menschen möglich war, problemlos in das Kapitol zu laufen – weil eben nicht viel Sicherheitspersonal da war. Ich hoffe sehr, dass deutsche Behörden das besser auf dem Schirm haben. Vor allem, weil im Frühling vermutlich die Demonstrationen wieder losgeleicht hen und dieses Jahr auch die Bundestagswahl stattfindet.
In dem Bericht steht auch, dass QAnon hierzulande mit die meisten Anhänger hat. Wie kommt das?
Rafael: Die Frage können wir noch nicht ganz beantworten. Aber die Einstellungsforschung spricht seit vielen Jahren davon, dass in Deutschland rund 25 Prozent der Menschen für rechtspopulistische, verschwörungsideologische Inhalte ansprechbar sind. Durch die Demonstrationen, die es während der Pandemie gab, ist die Gruppe sichtbar geworden. Aber die Szene gab es schon davor – sicher ist die Zahl der Anhängerinnen und Anhänger während der Pandemie aber gewachsen. Bei Pegida haben wir etwas Ähnliches beobachtet.
Wenn man Angehörige oder Freunde hat, die in diese Blase gerutscht sind, ist dann jetzt ein guter Zeitpunkt, wieder Kontakt mit ihnen aufzunehmen?
Rafael: Jetzt ist quasi der perfekte Zeitpunkt dafür. Jetzt kann man mit offenen Armen auf die Menschen zugehen und sagen: Ich bin für dich da, wenn du feststellst, dass du reden oder dich abwenden möchtest. Was man aber verstehen muss, ist, dass die Rückkehr in die Realität nicht leicht ist. Die Leute bewegen sich ja in einer wahnhaften Welt.