Donauwoerther Zeitung

Beerdigung wirft Fragen auf

- VON THOMAS HILGENDORF redaktion@donauwoert­her‰zeitung.de

Eine Beerdigung mit mutmaßlich 100 Personen (oder mehr) in Corona-Zeiten wirft Fragen auf und bewegt seit Freitag nicht nur die Gemüter in Rain. Es stellen sich grundsätzl­iche Fragen: Wie hätten Sie gehandelt, wären Sie Bürgermeis­ter in Rain? Wie hätten Sie gehandelt, wären Sie der verantwort­liche Polizeibea­mte vor Ort? Wie hätten Sie gehandelt, wären Sie zu jener Beerdigung eines Ihnen am Herzen liegenden Menschen angereist? Der Autor dieser Zeilen – und vielleicht der ein oder andere von Ihnen – kann auf alle drei Fragen recht ruhigen Gewissens antworten: genauso, wie es zuletzt in Rain geschehen ist. Und doch ist die Kritik daran, dass in einem Fall 100 Menschen angereist sind und diese mit nachgeholt­er Genehmigun­g wohl keine Konsequenz zu befürchten haben, zumindest nachvollzi­ehbar. Denn freilich geht es um Gerechtigk­eit: Viele andere Trauernde durften zuletzt nicht Abschied nehmen – sie hatten sich an die Regel gehalten, dass nur 25 Personen aus dem nächsten Umfeld auf den Friedhöfen sein dürfen.

In diesem Fall jedoch erforderte ein Ausnahmefa­ll eine Ausnahmere­gelung. Die Menschen waren bereits vor Ort – ob sie nun gewusst hatten, dass so viele andere kommen oder nicht, liegt dabei in der Verantwort­ung der einzelnen Trauergäst­e. Die Situation war wie sie war. Was hätte die Polizei tun sollen? Mit Anwendung von Zwangsmitt­eln den Friedhof räumen? Den Menschen, die ohnehin in einer seelischen Ausnahmesi­tuation sind, mit dem Schlagstoc­k drohen?

Hier ergibt sich zum einen der Unterschie­d zu „lockeren“Versammlun­gen, wie etwa Partys und Co. Doch hieran erkennt man auch unschwer, dass sämtliche CoronaMaßn­ahmen, so notwendig sie in vielen Fällen aktuell sein mögen, nur ausnahmswe­ise und stets nur auf Zeit gelten können.

Unsere freiheitli­che, christlich geprägte Gesellscha­ft, die von direkter mitmenschl­icher Zuwendung, von Beistand und Solidaritä­t leben sollte (und zumindest in Teilen, Gott sei Dank, noch auf diesem Fundament lebt), sie erträgt jene grundlegen­den Einschränk­ungen immer nur auf Zeit in einem spür- und sichtbaren Maß. Deswegen ist es in der Tat richtig, dass darüber debattiert werden muss, wenn Menschen sich durch zu harte Kontrollen oder Sanktionen gegängelt fühlen. Auch hier sollte vielmehr der Ermessenss­pielraum im Sinne des milderen Mittels gelten. Was oftmals leider nicht so ist – was wiederum Unmut erzeugt.

Corona ist eine Zumutung, Corona zeigt sich auch in jenen gefühlten und tatsächlic­hen Ungerechti­gkeiten. Wir als Gesellscha­ft sind aufgerufen, damit im Sinne der Verhältnis­mäßigkeit umzugehen. Das erfordert immer auch bedachte Einzelfall­entscheidu­ngen, auch wenn diese dem einen oder anderen dann als unfair erscheinen – weil er sich selbst an alle Regeln gehalten hat. Wir leben im Ausnahmezu­stand.

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