100 Gäste auf einer Beerdigung – in CoronaZeiten
Eine junge Frau wurde in Rain zu Grabe getragen und Trauernde aus dem ganzen Bundesgebiet kamen
Rain Karl Rehm war überrascht, als ihn am frühen Freitagnachmittag im Rathaus ein dringender Hinweis der örtlichen Polizeidienststelle erreichte: Etwa 100 Trauergäste sollen sich demnach auf dem Rainer Stadtfriedhof eingefunden haben – in „normalen“Zeiten nichts Ungewöhnliches. In Zeiten der Corona-Pandemie allerdings ein Verstoß gegen geltende Auflagen. Rains Bürgermeister sah sich gezwungen, eine schwierige Entscheidung zu fällen.
Bürgermeister Rehm wirkt auch am Wochenende am Telefon noch immer etwas mitgenommen von dem Ereignis und dessen Konsequenzen in den sogenannten sozialen Netzwerken im Internet, wo sich schnell herumgesprochen hat, was sich zuvor am Friedhof ereignet hatte. Eine junge Frau war gestorben, es sollte eine Beerdigung stattfinden. Und zu viele Gäste waren gekommen. Der Rathauschef hatte abzuwägen: Soll die Beerdigung, die laut Rehm bereits im Gange war, aufgelöst werden – oder soll im Hinzu blick auf die besondere Lage eine Ausnahmegenehmigung durch die Stadt Rain erteilt werden? Klar ist: Es handelte sich um eine Trauerfeier, keine Party. Rehm habe sich, wie er unserer Zeitung gegenüber schildert, sowohl mit der örtlichen Polizei als auch mit dem Polizeipräsidium in Augsburg beraten. Gemeinsam sei man zu dem Entschluss gekommen, im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung das mildere Mittel hinsichtlich der Trauersituation zu wählen. „Die Polizei hätte die Trauerfeier sonst auflösen müssen – und das wäre nur mit einer Hundertschaft gegangen“, so der Bürgermeister – zumal einige Trauergäste, die teils aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren, signalisiert hätten, nicht freiwillig den Friedhof zu verlassen. „Es ist nicht vorstellbar, mithilfe einer Hundertschaft mit Gewalt auf einem Friedhof gegen trauernde Menschen vorzugehen – die Ausnahmegenehmigung war trotzdem eine schwierige Abwägung“, erklärt Rehm.
Vielmehr habe man die Besucher auf die Hygieneregeln hingewiesen – dies hätten sowohl die postierten Beamten als auch eigens der Pfarrer getan. Indes berichtet Rehm weiter, dass die Familie zuvor die weit verzweigte Verwandtschaft auf die geltende Auflage hingewiesen habe – nämlich, dass bei Beerdigungen höchstens 25 Personen mit Abstand und Mund-Nasen-Schutz anwesend sein dürfen. Die Trauergäste dürfen zudem nur Personen aus dem engsten Familien- und Freundeskreis sein. Die Besucher hätten sich es – mutmaßlich unabgesprochen – dennoch nicht nehmen lassen, Abschied
nehmen. Es sei in diesen Zeiten ein Beispiel für jene schwierigen Entscheidungen, die aktuell gerade in Ausnahmelagen zu treffen seien, sagt Rehm. „Ich stehe zu dieser Entscheidung, auch im Nachhinein – das sage ich auch als Christ“, erklärt Rehm. Gewaltanwendung in einer solchen Situation, nein, das hätte er nicht verantworten wollen und können. Indessen betont der Rainer Bürgermeister, dass dieses Ereignis keineswegs einen Präzedenzfall darstelle. Es sei im Vorfeld keine Ausnahmegenehmigung ausgesprochen worden und das werde auch in Zukunft nicht geschehen. Er habe mitten in einer besonderen Lage angemessen und deeskalierend handeln müssen – was er auch gemeinsam mit den Ordnungskräften getan habe. Unterdessen sind die Reaktionen, die sich in sozialen Netzwerken zeigen, gemischt: Von Verständnis über Ablehnung der Entscheidung des Stadtoberhaupts – hier geht es oft um die Gerechtigkeitsfrage – bis hin zu zynischen Kommentaren war am Wochenende bunt gemischt alles vertreten.
Rehm: „Ich stehe zu dieser Entscheidung“