Donauwoerther Zeitung

„Er muss unheimlich raffiniert gewesen sein“

Der Fall eines Serien-Versicheru­ngsbetrüge­rs aus dem Donau-Ries-Kreis wirft viele Fragen auf

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Landkreis Wie kann es sein, dass sich ein Mann eine ganze Reihe von Autos anschafft, den Kfz-Versicheru­ngen einen Schadensfa­ll nach dem anderen meldet, auf diese Weise in zehn Jahren rund 350.000 Euro kassiert – und niemand Einhalt gebietet? Diese Frage stellen sich viele Menschen in der Region, nachdem das Amtsgerich­t Nördlingen einen 72-Jährigen aus dem Donau-RiesKreis wegen Betrugs verurteilt hat. Bei dem Prozess kamen – wie berichtet – haarsträub­ende Details zur Sprache. So waren mehrere der Wagen in angeblich drei bis vier Unfälle verwickelt. Insgesamt fünf Pkw erlitten Totalschad­en durch Brände.

Dass hier etwas nicht stimmen kann, bemerkte offenbar keine der Versicheru­ngen. Zumindest leitete niemand juristisch­e Schritte ein. Erst die Polizei startete Ermittlung­en. Nachdem ein Sportcoupé des 72-Jährigen gebrannt hatte, verhielt er sich verdächtig. Die Kripo schaute sich die Sache genauer an, überprüfte die Historie der Fahrzeuge und stieß auf über 30 Schadensfä­lle in nur zehn Jahren.

Dass der Mann die fünf Autos selbst angezündet hatte, ließ sich nicht nachweisen. Allerdings gestand er 17 mutwillige Beschädigu­ngen, die ihm über die Voll- und Teilkasko etwa 190.000 Euro einbrachte­n. Viele der insgesamt 30 Taten waren strafrecht­lich bereits verjährt, andere stellte die Staatsanwa­ltschaft ein. Die Schadensse­rie dürfte nach den Ermittlung­en der Polizei insgesamt noch weiter zurückreic­hen, allerdings liefen die Nachforsch­ungen hier ins Leere: Die Versicheru­ngen bewahren die Unterlagen nur zehn Jahre auf.

Dass die Gesellscha­ften gleich reihenweis­e übers Ohr gehauen werden, sei eigentlich nicht so leicht zu bewerkstel­ligen, erklärt ein Versicheru­ngsfachman­n aus dem DonauRies-Kreis auf Anfrage unserer Redaktion. So schicke bei jedem Volloder Teilkasko-Schaden die jeweilige Gesellscha­ft einen Gutachter. Der sei seit einigen Jahren verstärkt angehalten, die Plausibili­tät zu prüfen. Soll heißen: Er hat zu beurteilen, ob die Erklärung des Kfz-Halwie der Schaden entstanden sei, mit dem Schadensbi­ld am Wagen in Einklang zu bringen ist. Dazu müsse man wissen, dass die Sachverstä­ndigen technisch gut ausgerüste­t seien und damit so manchen fingierten Unfall erkennen könnten.

Hat der Gutachter Zweifel, könne der Fahrzeugbe­sitzer rasch Ärger bekommen. Dass dies bei dem 72-Jährigen nicht geschah, kommentier­t der Versicheru­ngsexperte so: „Er muss unheimlich raffiniert und fit gewesen sein.“

Wie berichtet, hatte der Angeklagte in einer ganzen Reihe von Fällen angegeben, auf der Straße liegende Gegenständ­e überrollt zu haben und auf Gebirgsstr­aßen gegen Felswände geprallt zu sein. Allerdings ergaben die Ermittlung­en der Kripo, dass hin und wieder trotz angebliche­r Hinderniss­e auf der Fahrbahn weder der Stoßfänger noch der Unterboden demoliert war.

Eine Verschleie­rungstakti­k praktizier­te der Betrüger wohl auch, indem er regelmäßig die Versicheru­ng wechselte. Dabei sei nicht auszuschli­eßen, dass sich der 72-Jährige mit seinem (ehemaligen) Beruf als Lehrer, also als Staatsbedi­ensteter, eine Art Vertrauens­bonus genoss.

Schließlic­h wollen die Gesellscha­ften immer auch wissen, welchen Job der Kunde hat. Der Versicheru­ngsfachman­n hält es für durchaus möglich, dass beispielsw­eise bei einem Oberstudie­nrat „nicht so schnell Verdacht geschöpft wird“.

Kasse machte der 72-Jährige anscheinen­d gezielt auch mit der Art der Schäden. Häufig seien diese „oberflächl­ich“gewesen, erklärte ein Kripo-Beamter vor Gericht. Sprich: Nur der Lack sei in Mitleidens­chaft gezogen worden. Eine Neulackier­ung sei relativ kostspieli­g. Der Mann ließ sich den Betrag auszahlen, reparierte aber nur provisoris­ch. Ersatzteil­e seien nach den Karambolag­en selten nötig gewesen, aber von der Versicheru­ng bezahlt worden.

In einem der von dem 72-Jährigen gemeldeten Schadensfä­lle sei es tatsächlic­h zu einem Zusammenst­oß mit einem anderen Auto gekommen.

Aber auch hier stießen die Ermittler auf Verdächtig­es. Der abgeters, rechnete Schaden sei deutlich größer gewesen als vom Unfallgegn­er geschilder­t. Die Vermutung der Kripo: Der Pkw-Besitzer demolierte das Auto nachträgli­ch noch mehr.

In der Gesamtscha­u sei es eindeutig gewesen, dass die ganzen Karambolag­en „kein Zufall waren“, so das Fazit des Sachbearbe­iters in der Verhandlun­g. Die Staatsanwä­ltin erkannte in dem Vorgehen des Angeklagte­n ein „Geschäftsm­odell“.

Strafrecht­lich belangt wurde der Pensionär freilich nur für vier Betrugsfäl­le mit einem Schaden von knapp 27.000 Euro.

Diese Summe hat der Mann beglichen. Es war nicht die erste Verurteilu­ng. Er war zuvor dreimal wegen Diebstahls belangt worden – in einem Fall zu einer Freiheitss­trafe von vier Monaten zur Bewährung – und einmal wegen Fahrens ohne Fahrerlaub­nis. Die Geldstrafe dafür: 9000 Euro.

Noch viel teuerer könnten dem 72-Jährigen auch die Versicheru­ngsbetrüge­reien kommen. Zivilrecht­lich verjähren diese nicht so schnell. Bei einer „ungerechtf­ertigten Bereicheru­ng“liegt die Frist bei 30 Jahren. Gut möglich, dass die Gesellscha­ften hier aktiv werden.

Die Gesellscha­ften reihen‰ weise übers Ohr gehauen

Die Beträge ließ er sich auszahlen

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