Donauwoerther Zeitung

„Ohne Perspektiv­e wird man krank“

Juniorchef Sebastian Priller-Riegele erklärt, wie die Krise die Brauerei Riegele trifft und was nun passieren muss

- Interview: Michael Kerler

Herr Priller-Riegele, im Frühjahr haben Sie gesagt, zum ersten Mal in Ihrem Leben machen Sie sich Sorgen um Ihren Betrieb. Wie sieht es jetzt aus, im zweiten Corona-Lockdown?

Sebastian Priller‰Riegele: Ich mache mir nicht mehr nur Sorgen um unser Unternehme­n, sondern um die ganze Branche, um den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft. Wir müssen den Leuten und den Firmen wieder eine Perspektiv­e geben. Ohne Perspektiv­e wird man krank.

Wie geht es Ihrem Unternehme­n? Wie hat sich die Corona-Krise bisher auf Riegele ausgewirkt?

Priller‰Riegele: Wir sind ein klassische­r Familienbe­trieb, Kaufleute, die persönlich haften. Wir haben unsere Gewinne in der Firma belassen, ziehen sie nicht ab, sondern investiere­n in die Zukunft. Jetzt aber treffen uns die Maßnahmen der Corona-Politik mit voller Wucht: Der Umsatz im Bereich Gastronomi­e liegt bei minus 95 Prozent, der Umsatz mit Betrieben und Kantinen bei minus 63 Prozent, der Export bei minus 50 Prozent. Im Handel mit Bier gibt es ein leichtes Plus, aber wir haben nur einen geringen Handelsant­eil. Insgesamt ist der Bierabsatz 2020 über 30 Prozent zurückgega­ngen. Bei unseren Kunden – vor allem Gaststätte­n – gibt es die ersten Zahlungsau­sfälle, teilweise sind sie insolvent. Auf Anraten der Regierung haben wir zudem in CoronaSchu­tzsysteme

investiert, zum Beispiel Lüftungssy­steme. Das kostet Geld, aber die Möglichkei­t zur Refinanzie­rung wurde uns genommen.

Was sind die Folgen davon?

Priller‰Riegele: Wir haben die ersten Mitarbeite­r entlassen müssen, das ist ein Kulturscho­ck für uns. Unser treuester Mitarbeite­r ist 63 Jahre bei uns, wir haben normalerwe­ise kaum Fluktuatio­n. Das Jahr 2020 wird uns einen siebenstel­ligen Verlust einbringen.

Wie fangen Sie dies ab?

Priller‰Riegele: Durch Darlehen, die inzwischen ebenfalls im siebenstel­ligen Bereich sind. Sie dienen gerade dazu, unsere Mitarbeite­r zu bezahlen.

Sie sagten, Sie machen sich auch um die Gesellscha­ft Sorgen. Was meinen Sie damit?

Priller‰Riegele: Die Kollateral­schäden des Lockdowns werden zunehmend sichtbar. Sie sind nicht nur wirtschaft­licher Art. Die psychologi­schen Risiken nehmen zu, im Bildungsun­d Schulwesen droht eine Generation an Bildungsve­rlierern heranzuwac­hsen. Die Unternehme­n fragen sich, wo ihre Perspektiv­e ist. Es ist unverantwo­rtlich, zu sagen, vielleicht im Sommer oder erst im Jahr 2022 ist alles wieder normal. Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, wann sie mit einer Öffnung rechnen können. Die Orientieru­ng rein am Inzidenzwe­rt hilft uns hier nicht weiter. Wenn wir uns rein am Inzidenzwe­rt orientiere­n, öffnen wir – plakativ gesagt – nie mehr. Das Virus ist unter uns und wird so schnell nicht weggehen. Ich denke, wir müssen mit dem Virus leben lernen.

Welche neue Strategie könnten Sie sich vorstellen?

Priller‰Riegele: Wir brauchen eine neue Risikobewe­rtung im Umgang mit Corona. Sobald die Hochrisiko­gruppen – zum Beispiel die Menschen in den Pflegeheim­en – geimpft sind, ist ein großer Fortschrit­t erzielt. Das Virus ist dann noch immer da, aber es werden weniger Menschen daran sterben. Dann müssen Öffnungen möglich sein. Corona muss dann analog zu anderen Lebensrisi­ken beurteilt werden. Sicher können auch junge Menschen schwer an Corona erkranken, aber ihr Risiko ist viel, viel geringer. Wer das Risiko nicht eingehen will, wird sich mit Masken weiterhin schützen oder muss nicht in Gaststätte­n oder zu Konzerten gehen. Der Rest aber muss seine Grundrecht­e zurückbeko­mmen. Das sieht auch der Ethikrat so.

Aber, wie Sie sagen, es könnten sich dann mehr Menschen anstecken...

Priller‰Riegele: Das ist so, aber unser Gesundheit­ssystem kann das dann verkraften. Dazu kommt, durch immer strengere Maßnahmen ist nichts mehr zu gewinnen. Durch die Gesellscha­ft geht eine Spaltung. Immer mehr Menschen gehen inzwischen ihren eigenen Weg, Partys finden nicht mehr öffentlich, sondern privat statt. Das führt zu der schizophre­nen Situation, dass die CoronaRege­ln streng sind, aber immer weniger Wirkung entfalten. Wir brauchen eine strategisc­he Umorientie­rung. Mein Vater, der 70 Jahre alt ist, und meine Mutter, die Asthma hat, sehen es auch so.

Ab wann müssten Öffnungen ihrer Meinung nach erfolgen, damit Unternehme­n nicht reihenweis­e in die Krise rutschen?

Priller‰Riegele: Der Handel müsste Ende Februar öffnen, die Gastronomi­e im März. Wir brauchen dann auch einen Neustart, der unbürokrat­isch ist. Die Regeldicht­e in Deutschlan­d ist sehr hoch. Das Land muss seine Prioritäte­n neu ordnen. Es kann doch nicht sein, dass eine Corona-Warn-App kaum wirkt, weil wir selbst in der Krise den Datenschut­z so hoch hängen.

Haben Sie staatliche Hilfe bekommen?

Priller‰Riegele: Im ersten Lockdown hatten wir 50000 Euro Soforthilf­e bekommen, damit konnte man einen Monat die Stromkoste­n zahlen. Im zweiten Lockdown haben wir noch nichts bekommen. Da unsere Gaststätte mit der Brauerei verbunden ist, gab es sogar hier keine Hilfe. Jetzt könnte man die GmbH insolvent gehen lassen, das werden wir als ehrbare Kaufleute nicht tun. Selbst für Steuerbera­ter sind die komplexen Hilfsprogr­amme schwer zu durchschau­en. Wer bei der Beantragun­g von Kurzarbeit­ergeld eine Frist knapp verpasst, bekommt ebenfalls keine Hilfe mehr. Das alles macht die Situation sehr schwer. Das Verspreche­n der Politik war: Man muss solidarisc­h mit den Risikogrup­pen sein, dann ist die Gesellscha­ft solidarisc­h mit Dir. In vielen Fällen ist dieses Verspreche­n nicht eingelöst.

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Foto: Michael Kerler Sebastian Priller‰Riegele: Über 30 Pro‰ zent weniger Bierabsatz im vergangene­n Jahr.

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