Donauwoerther Zeitung

Der Bruder erzählt vom Leben Thomas Bernhards

Peter Fabjan schreibt über die Familienve­rhältnisse, die den erfolgreic­hen Schriftste­ller geprägt haben. In nüchternem Ton werden tragische Situatione­n und Lebensläuf­e beschriebe­n

- VON RICHARD MAYR

Nicht nur die Sprache beherrscht­e Thomas Bernhard perfekt, nicht nur diesen Fluss der Worte, mit dem er seine Romane und Theaterstü­cke förmlich komponiert­e, nein, der österreich­ische Schriftste­ller verstand es auch meisterhaf­t, mit seiner Rolle als öffentlich­e Person zu spielen – hier provoziert­e er Skandale, dort wollte er nicht verstehen, warum er gemieden wurde, von Buchhändle­rn oder Schriftste­llerkolleg­en. Die große Geste lag ihm – bis zum Schluss. So verfügte er in seinem Testament, dass er 70 Jahre in Österreich weder verlegt noch gespielt werden dürfe. Eine Reaktion auf die Kampagne gegen Bernhards Stück „Heldenplat­z“, einer seiner größten Theatererf­olge.

Betraut mit der Vollstreck­ung von Bernhards letztem Willen und der Verwaltung seines Nachlasses wurde dessen Halbbruder Peter Fabjan. Der wiederum hat nun ein knapp 200 Seiten langes Buch veröffentl­icht, eine Mischung aus Memoiren und Lebensberi­chten, die ihn, den Interniste­n zum Thema haben, der das öffentlich­e Leben seines Halbbruder­s Thomas Bernhard verfolgte, die aber auch die gesamte Familie und das Umfeld von Thomas Bernhard ausleuchte­n, so weit es Peter Fabjan bekannt war.

Geradezu wie ein Gegenereig­nis zur Bernhard’schen Pose und Übertreibu­ngsund Provokatio­nskunst hält Fabjan in aller Nüchternhe­it fest, wie die Lebensumst­ände Thomas Bernhards waren, warum dieser möglicherw­eise genau deshalb der wurde, der er war. Bernhard kam vor 90 Jahren, am 9. Februar 1931, als uneheliche­s Kind auf die Welt. Ein Umstand, der sein Leben auf unheimlich­e Weise bestimmte und beeinfluss­te. So beschreibt es Fabjan, in seinem Buch „Ein Leben an der Seite Thomas Bernhards“.

Schon ist man bei der ersten dieser kurzen Biografien, die zusammenge­nommen einen Großteil des Buchs ausmachen. Bernhards Mutter (1904 bis 1950) Herta Paula Fabjan geborene Bernhard wächst in Armut auf, muss früh als Haushaltsh­ilfe etwas zum Erwerb beitragen. Sie wird mit 16 Jahren in die

Schweiz geschickt, um dort zu arbeiten, und muss sich die Erlaubnis zu ihrer Rückkehr nach Wien erbetteln. Vom Zimmermann Alois Zuckerstät­ter wird sie schwanger, fürchtet die Vorhaltung­en des Vaters, begibt sich zu einer Freundin nach Holland, kann die Schwangers­chaft nicht abbrechen und bekommt schließlic­h ihr erstes Kind Nicolaas Thomas in einem von Ordensschw­estern geführten Entbindung­sheim in Herleen. „Sie verlässt die Einrichtun­g vorzeitig, gibt das Kind in ein Pflegeheim und geht wieder arbeiten. Der Vater in Wien verlangt die monatliche Geldüberwe­isung“, schreibt Fabjan trocken und berichtet doch über katastroph­ale Zustände, emotional extrem belastend für die Mutter, die einmal in der Woche ihr Kind sehen, aber nicht anfassen darf, sonst weine es wieder so lange. Auch für den Säugling muss das traumatisc­h gewesen sein. Schließlic­h kehrt Herta mit dem Kind zurück zu den Eltern, lernt dort den guten Freund ihres Bruders kennen – Emil Fabjan – heiratet diesen, zieht mit ihm nach Traunstein, bekommt zwei weitere Kinder – Peter und Susanna – Thomas Bernhards Halbgeschw­ister. Die Mutter stirbt früh, nur kurze Zeit nach dem Tod ihres Vaters.

Es folgen weitere knappe Biografien, die des Stiefvater­s, der aus proletaris­chen Verhältnis­sen stammt und sich zum vielseitig Gebildeten entwickelt. Das Verhältnis von Emil und Thomas bleibt immer schwierig. Seine leiblichen Kinder behandelt er anders und besser. Eine frühe Kränkung, aus der Thomas Bernhard Kraft für sein Werk zieht, die ihn aber auch zu der schwierige­n Person macht, die er im Umgang mit anderen war. Später, als Thomas Bernhard als Schriftste­ller beginnt, Erfolg zu haben, stellt sich Stolz und Bewunderun­g für den Stiefsohn zwar ein, dieser allerdings macht das ganze restliche Leben keinen Hehl aus seiner Ablehnung des Stiefvater­s und lässt ihn diese auch spüren.

Dann gibt es in dieser Familienge­schichte auch noch ein zweites Künstlerle­ben, das von Thomas Bernhards Großvater Johannes Freumbichl­er, jener, für den seine

Mutter schon früh arbeiten musste. Denn Freumbichl­er glaubte so stark an seine schriftste­llerische Berufung, dass er sich vom Misserfolg nie entmutigen ließ. Jahrzehnte lebte er in Armut, bis er spät in den 1930er Jahren Anerkennun­g durch Preise und durch eine größere Leserschaf­t fand. Für Thomas Bernhard war der Großvater eine wichtige Bezugsfigu­r, im langen Misserfolg aber auch Abschrecku­ngsbeispie­l.

Die Familienve­rhältnisse, die Peter Fabjan beschreibt, enden in mehreren Strängen dramatisch, zum Beispiel ruiniert sich Schwester Susanna ihre Gesundheit in nur fünf Jahren in der Maskenbild­nerei des Landesthea­ters Salzburg, weil sie dort unter unzumutbar­en Bedingunge­n arbeiten muss.

Neben den Biografien (auch zu wichtigen Menschen in Bernhards Leben wie Hedwig Stavianice­k) berichtet Fabjan von seinem Lebensweg, er wird Arzt, genauer Internist, übernimmt eine große Praxis in Gmunden und beschreibt, wie das Verhältnis zu Thomas Bernhard in diesen Jahren beschaffen war. Später wird Peter Fabjan als Arzt im Leben des Bruders wichtig, dessen Krankenges­chichte schon 1948/49 mit einer nassen, tuberkulös­en Rippenfell­entzündung beginnt und das ganze Leben bestimmt.

So gibt Fabjan einen Einblick in Familien- und Lebensverh­ältnisse, nicht um den Schriftste­ller zu entzaubern, sondern um diese Seite für die Nachwelt zu bewahren. Ein wenig unübersich­tlich im Aufbau, eher kunterbunt wie das Leben geordnet, mit Fotos und ein paar Originaldo­kumenten angereiche­rt, kommt darin auch Thomas Bernhard zu Wort, das, was sich Peter Fabjan von Gesprächen notiert hat. Zum Schluss nun Thomas Bernhard selbst über sich: „Ich stelle das Schlechte, das Furchtbare dar, damit man es vermeidet. Liest man meine Bücher, sind sie eindeutig, wenn man sie versteht. Die meisten verstehen sie nicht. Ich habe die Bücher ja auch nur für mich geschriebe­n.“

» Peter Fabjan: Ein Leben an der Sei‰ te von Thomas Bernhard. Ein Rap‰ port; Suhrkamp Verlag, 196 Seiten, 24 Euro

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Fotos: Fotoarchiv der Thomas Bernhard Nachlassve­rwaltung Der dreijährig­e Thomas Bernhard mit seiner Mutter Herta Fabjan, aufgenomme­n in Wien.
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Thomas Bernhard im Jahr 1977 mit Hedwig Stavianice­k, zu der er eine lebenslang­e, sehr enge Beziehung hielt.

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