Der Bruder erzählt vom Leben Thomas Bernhards
Peter Fabjan schreibt über die Familienverhältnisse, die den erfolgreichen Schriftsteller geprägt haben. In nüchternem Ton werden tragische Situationen und Lebensläufe beschrieben
Nicht nur die Sprache beherrschte Thomas Bernhard perfekt, nicht nur diesen Fluss der Worte, mit dem er seine Romane und Theaterstücke förmlich komponierte, nein, der österreichische Schriftsteller verstand es auch meisterhaft, mit seiner Rolle als öffentliche Person zu spielen – hier provozierte er Skandale, dort wollte er nicht verstehen, warum er gemieden wurde, von Buchhändlern oder Schriftstellerkollegen. Die große Geste lag ihm – bis zum Schluss. So verfügte er in seinem Testament, dass er 70 Jahre in Österreich weder verlegt noch gespielt werden dürfe. Eine Reaktion auf die Kampagne gegen Bernhards Stück „Heldenplatz“, einer seiner größten Theatererfolge.
Betraut mit der Vollstreckung von Bernhards letztem Willen und der Verwaltung seines Nachlasses wurde dessen Halbbruder Peter Fabjan. Der wiederum hat nun ein knapp 200 Seiten langes Buch veröffentlicht, eine Mischung aus Memoiren und Lebensberichten, die ihn, den Internisten zum Thema haben, der das öffentliche Leben seines Halbbruders Thomas Bernhard verfolgte, die aber auch die gesamte Familie und das Umfeld von Thomas Bernhard ausleuchten, so weit es Peter Fabjan bekannt war.
Geradezu wie ein Gegenereignis zur Bernhard’schen Pose und Übertreibungsund Provokationskunst hält Fabjan in aller Nüchternheit fest, wie die Lebensumstände Thomas Bernhards waren, warum dieser möglicherweise genau deshalb der wurde, der er war. Bernhard kam vor 90 Jahren, am 9. Februar 1931, als uneheliches Kind auf die Welt. Ein Umstand, der sein Leben auf unheimliche Weise bestimmte und beeinflusste. So beschreibt es Fabjan, in seinem Buch „Ein Leben an der Seite Thomas Bernhards“.
Schon ist man bei der ersten dieser kurzen Biografien, die zusammengenommen einen Großteil des Buchs ausmachen. Bernhards Mutter (1904 bis 1950) Herta Paula Fabjan geborene Bernhard wächst in Armut auf, muss früh als Haushaltshilfe etwas zum Erwerb beitragen. Sie wird mit 16 Jahren in die
Schweiz geschickt, um dort zu arbeiten, und muss sich die Erlaubnis zu ihrer Rückkehr nach Wien erbetteln. Vom Zimmermann Alois Zuckerstätter wird sie schwanger, fürchtet die Vorhaltungen des Vaters, begibt sich zu einer Freundin nach Holland, kann die Schwangerschaft nicht abbrechen und bekommt schließlich ihr erstes Kind Nicolaas Thomas in einem von Ordensschwestern geführten Entbindungsheim in Herleen. „Sie verlässt die Einrichtung vorzeitig, gibt das Kind in ein Pflegeheim und geht wieder arbeiten. Der Vater in Wien verlangt die monatliche Geldüberweisung“, schreibt Fabjan trocken und berichtet doch über katastrophale Zustände, emotional extrem belastend für die Mutter, die einmal in der Woche ihr Kind sehen, aber nicht anfassen darf, sonst weine es wieder so lange. Auch für den Säugling muss das traumatisch gewesen sein. Schließlich kehrt Herta mit dem Kind zurück zu den Eltern, lernt dort den guten Freund ihres Bruders kennen – Emil Fabjan – heiratet diesen, zieht mit ihm nach Traunstein, bekommt zwei weitere Kinder – Peter und Susanna – Thomas Bernhards Halbgeschwister. Die Mutter stirbt früh, nur kurze Zeit nach dem Tod ihres Vaters.
Es folgen weitere knappe Biografien, die des Stiefvaters, der aus proletarischen Verhältnissen stammt und sich zum vielseitig Gebildeten entwickelt. Das Verhältnis von Emil und Thomas bleibt immer schwierig. Seine leiblichen Kinder behandelt er anders und besser. Eine frühe Kränkung, aus der Thomas Bernhard Kraft für sein Werk zieht, die ihn aber auch zu der schwierigen Person macht, die er im Umgang mit anderen war. Später, als Thomas Bernhard als Schriftsteller beginnt, Erfolg zu haben, stellt sich Stolz und Bewunderung für den Stiefsohn zwar ein, dieser allerdings macht das ganze restliche Leben keinen Hehl aus seiner Ablehnung des Stiefvaters und lässt ihn diese auch spüren.
Dann gibt es in dieser Familiengeschichte auch noch ein zweites Künstlerleben, das von Thomas Bernhards Großvater Johannes Freumbichler, jener, für den seine
Mutter schon früh arbeiten musste. Denn Freumbichler glaubte so stark an seine schriftstellerische Berufung, dass er sich vom Misserfolg nie entmutigen ließ. Jahrzehnte lebte er in Armut, bis er spät in den 1930er Jahren Anerkennung durch Preise und durch eine größere Leserschaft fand. Für Thomas Bernhard war der Großvater eine wichtige Bezugsfigur, im langen Misserfolg aber auch Abschreckungsbeispiel.
Die Familienverhältnisse, die Peter Fabjan beschreibt, enden in mehreren Strängen dramatisch, zum Beispiel ruiniert sich Schwester Susanna ihre Gesundheit in nur fünf Jahren in der Maskenbildnerei des Landestheaters Salzburg, weil sie dort unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten muss.
Neben den Biografien (auch zu wichtigen Menschen in Bernhards Leben wie Hedwig Stavianicek) berichtet Fabjan von seinem Lebensweg, er wird Arzt, genauer Internist, übernimmt eine große Praxis in Gmunden und beschreibt, wie das Verhältnis zu Thomas Bernhard in diesen Jahren beschaffen war. Später wird Peter Fabjan als Arzt im Leben des Bruders wichtig, dessen Krankengeschichte schon 1948/49 mit einer nassen, tuberkulösen Rippenfellentzündung beginnt und das ganze Leben bestimmt.
So gibt Fabjan einen Einblick in Familien- und Lebensverhältnisse, nicht um den Schriftsteller zu entzaubern, sondern um diese Seite für die Nachwelt zu bewahren. Ein wenig unübersichtlich im Aufbau, eher kunterbunt wie das Leben geordnet, mit Fotos und ein paar Originaldokumenten angereichert, kommt darin auch Thomas Bernhard zu Wort, das, was sich Peter Fabjan von Gesprächen notiert hat. Zum Schluss nun Thomas Bernhard selbst über sich: „Ich stelle das Schlechte, das Furchtbare dar, damit man es vermeidet. Liest man meine Bücher, sind sie eindeutig, wenn man sie versteht. Die meisten verstehen sie nicht. Ich habe die Bücher ja auch nur für mich geschrieben.“
» Peter Fabjan: Ein Leben an der Sei te von Thomas Bernhard. Ein Rap port; Suhrkamp Verlag, 196 Seiten, 24 Euro