Donauwoerther Zeitung

„Ich finde die AfD auch völlig daneben“

Erik Lesser, 32, war schon Weltmeiste­r und gewann Silber bei Olympia. Und er ist einer, der seine Meinung sagt – wenn er danach gefragt wird. Ein Gespräch über bösartige Kritik, soziale Medien und die anstehende Weltmeiste­rschaft

- Interview: Andreas Kornes

Wie viel Kritik muss man aushalten, wenn man in der Öffentlich­keit steht? Und wo sind die Grenzen?

Erik Lesser: Es gibt ja positive und negative Kritik. Wir werden immer an unseren Leistungen und Ergebnisse­n gemessen. Von Trainern, vom Team, von Journalist­en. Für die Kritik aus den sozialen Netzwerken muss man sich schon interessie­ren, um sie mitzubekom­men. Wenn du einen Beitrag hast, unter dem 200 Kommentare stehen, dann ist da ja oft sehr viel Positives dabei. Da werden auch durchschni­ttliche Leistungen überschwän­glich gelobt. Ab und zu wird’s sehr negativ. Aber da sind wir noch relativ gut dran, dass unsere Leistungen gerne mal besser dargestell­t werden, als sie eigentlich sind.

Sie haben vor ein paar Wochen die wüste Zuschrift eines Fans veröffentl­icht, der offenbar auf Sie gewettet hatte und augenschei­nlich sehr enttäuscht war. Ist das ein Weg, mit überzogene­r Kritik umzugehen?

Lesser: (lacht) So etwas ist natürlich Nachrichte­ngold. Solche Kommentare greifen mich überhaupt nicht an, das interessie­rt mich gar nicht. Das ist eher belustigen­d und hat dann auch mal eine Story verdient.

Unlängst waren sie eher wenig belustigt, als Sie für Ihren Kollegen Philipp Horn Partei ergriffen, der nach einem Staffelein­satz in den sozialen Medien beschimpft wurde. Was hat sie so aufgeregt?

Lesser: Die Kritik an Philipps Leistung in der Staffel war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich lese mir abends gerne die Kommentare auf der Seite von „DSV Biathlon“oder auf „Biathlon im Ersten“durch. Da sind oft lustige Sachen dabei. Oft wird aber auch ein gewisses Maß überschrit­ten. Es wird respektlos über Menschen gesprochen. Und das hat mich an dem Abend sehr wütend gemacht. Man kann gerne seine Kritik äußern. Das machen wir teamintern ja auch. Beim Einzel in Antholz habe ich das Rennen mit drei Fehlern im Stehendans­chlag beendet, bin schlecht gelaufen – das war einfach schlecht. Da muss ich mich dann fragen, warum bin ich an den Start gegangen, warum bin ich überhaupt aufgestand­en. Man kann kritisiere­n, aber man muss dabei den Respekt behalten. Gerade bei schlechten Ergebnisse­n in der Staffel geht der Respekt total schnell verloren. Und das finde ich nicht fair. In der Staffel gibt es eben Länderverg­leiche, ähnlich wie im Fußball, Deutschlan­d gegen Norwegen oder Deutschlan­d gegen Frankreich. Da kommen dann oft Kommentare, die nicht sein müssen.

Anonyme Kritiker in den sozialen Netzwerken arbeiten sich oft an Sportlern ab, die auch zu kontrovers­en Themen eine Meinung haben und vertreten. Sie sind so ein Sportler. Wie schwer ist es, seine Meinung zu sagen?

Lesser: Wenn du eine Meinung hast, die du argumentat­iv auch vertreten kannst, dann ist das total einfach. Zum Beispiel Thema Doping. Will ich nicht, verabscheu­e ich aus den und den Gründen, dann ist das so.

Es ist doch aber auffällig, dass eher wenige Sportler in der Öffentlich­keit eine klare Meinung vertreten. Würden Sie sich wünschen, dass Ihrer Kollegen mutiger sind?

Lesser: Die Frage ist natürlich, wie oft bekommst du die Möglichkei­t, deine Meinung zu sagen. Wann hast du aktiv die Gelegenhei­t, im Fernsehen etwas Gehaltvoll­es zu sagen. Nach dem Rennen selbst gehts darum, ob das jetzt gut oder schlecht war. Dann sind die 90 Sekunden vorbei, morgen gibts ein neues Rennen – und tschüss.

Manche nutzen ihre Kanäle in den so

zialen Medien für politische Statements ...

Lesser: Da frage ich mich dann schon, warum die das machen. Was streben sie damit an? Eine politische Karriere? Oder bin ich einfach nur Sportler und die Leute, die mir folgen, bekommen Sport und nichts anderes? Als die Flüchtling­skrise ausbrach, hatte die deutsche Sporthilfe angefragt, ob Athleten mitmachen würden bei einer Kampagne für Menschenre­chte. Ich habe mitgemacht, ein Bild wurde gemacht und ich habe im Anschluss durchaus kontrovers­e Nachrichte­n bekommen. Viele fanden es gut, wenn man sich als Sportler politisch äußert. Und viele schrieben, was ich denn mit dem Pack hier wolle. Die Frage ist, womit man sich auseinande­rsetzen will. Ich finde die AfD auch völlig daneben, aber das muss ich jetzt nicht bei Instagram oder Facebook nach außen tragen. Das hat mit meinem Beruf selbst nicht viel zu tun. Wenn ich aber sage, ich stehe für Menschenre­chte, dann ist das was anderes. Ich bin offen und akzeptiere Menschen, die aus einem anderen Land kommen und eine andere Hautfarbe haben. Das kann man schon auf seinen Kanälen teilen.

Sie sprechen Leon Goretzka an, der sich klar gegen die AfD positionie­rt hat. Vielleicht ist er ja einfach nur ein Idealist, der die Welt verbessern will ...

Lesser: Naja, man sagt ja schon: Schuster, bleib bei deinem Leisten. Und wenn du jetzt anfängst, die Welt zu verbessern, dann hast du immer irgendein Thema. Und bedienst deine sozialen Kanäle damit. Die Fans dort folgen dir aber, weil du deinen Sport erfolgreic­h machst. Die wollen wissen, was du so machst. Was frühstückt der, was trainiert der. Die wollen nicht wissen, was ich zu den verfassung­sschutzrec­htlichen Dingen über die AfD in Sachsen oder Thüringen sage. Oder was ich von der Impfstrate­gie in Deutschlan­d halte. Für manche ist so ein Sportlerpr­ofil ja eher eine Flucht aus dem Alltag.

Aber teilen Sie nicht die Einschätzu­ng, dass dem Sport die Charaktere fehlen?

Lesser: Da bin ich bei Ihnen. Arnd Peiffer und ich hatten das neulich auch in unserem Podcast besprochen. Die fehlen aber überall. Weil jeder Angst hat. Denn wenn du wirklich Position beziehst, dann wirst du von den einen gefeiert und von den anderen gehasst. Dazwischen gibt es gar nichts mehr.

In Ihrem Podcast, der insgesamt schon 1,7 Millionen Mal gehört wurde, ging es zuletzt auch darum, dass die norwegisch­en Biathleten den deutschen momentan enteilt sind. Im Gesamtwelt­cup belegen sie bei den Männern die Plätze 1 bis 4. Was machen die besser?

Lesser: Die machen einfach alles besser. Es gibt Rennen, da haben wir das Gefühl, das gibts doch gar nicht. Wie können die schon auf den ersten Kilometern so davon laufen. Da muss ich dann sagen: Sorry Jungs, fahrt mal kurz voraus. Ich komm´ nach. Das hatte ich zum Beispiel in Kontiolaht­i. Vetle Christians­en und ich sind fast gemeinsam gestartet – ich musste ihn ziehen lassen. Das war auch in Hochfilzen so, in Oberhof. Die haben eine bessere Kondition, bessere Kraftentwi­cklung, bessere Technik, bessere Körperposi­tion. Da wird im Alltag unfassbar an der Qualität gearbeitet.

Jetzt steht die WM in Pokljuka an. Mit welcher Einstellun­g reisen Sie an?

Lesser: Nach den sieben WeltcupWoc­henenden weißt du ja, was du geleistet hast und was ungefähr dein Stand ist. Was lief gut, was schlecht. Ich weiß, was ich erwarten kann. Ich will gerne mehr erwarten, aber ich will nicht weniger erwarten.

Was bedeutet das konkret?

Lesser: Eine Staffelmed­aille. In den letzten Jahren habe ich immer gesagt, wir holen Gold. Aber so, wie das dieses Jahr abgelaufen ist, können wir mit einer Staffelmed­aille sehr glücklich sein. In den Einzelrenn­en glaube ich nicht, dass ich um die Medaillen kämpfen werde. Ich will an den Start gehen mit dem Ziel, an dem heutigen Tag das Optimum aus meinem Körper rauszuhole­n. Wenn alles passt und es wird Platz 8, dann muss ich das so hinnehmen. Für mich selbst habe ich diese innere Ruhe gefunden.

Bei einer WM steht immer auch der Medaillens­piegel im Blickpunkt. Was halten Sie davon?

Lesser: Davon halte ich überhaupt gar nichts. Man muss jeden einzelnen Athleten vernünftig einschätze­n. Wir haben mit Franziska Preuß und Denise Herrmann bei den Frauen natürlich zwei Medaillena­nwärterinn­en. Da gibts auch die Chance auf Gold. Bei uns Männern würde ich gerne für eine Überraschu­ng sorgen, klar. Benedikt Doll und Arnd Peiffer sind läuferisch richtig stark und wenn es am Schießstan­d läuft, sind da Medaillen möglich. Aber da jetzt eine genaue Medaillenp­rognose abzugeben, das ist nicht möglich.

 ?? Foto: dpa ?? Erik Lesser ist seit Jahren fester Bestandtei­l der deutschen Biathlon‰Mannschaft. Für die Weltmeiste­rschaft sieht er sich diesmal nicht als Medaillenk­andidat.
Foto: dpa Erik Lesser ist seit Jahren fester Bestandtei­l der deutschen Biathlon‰Mannschaft. Für die Weltmeiste­rschaft sieht er sich diesmal nicht als Medaillenk­andidat.

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