Auf Augenhöhe mit Tom Hanks
Die deutsche Jungschauspielerin Helena Zengel knüpft an ihre Leistungen in „Systemsprenger“an. Der Western nimmt Bezug auf die Post-Trump-Ära
Draußen regnet es in Strömen, aber der Saal ist voll. Die Leute sind gekommen, um die neuesten Nachrichten zu hören. Nicht aus dem Fernseher oder dem Radio, sondern aus dem Munde von Kyle Kidd (Tom Hanks). Der ehemalige Captain der konföderierten Armee reist im Jahre 1870 durch das nördliche Texas und liest den Menschen dort aus verschiedenen Zeitungen vor. Von einer Fähre, die im Red River gesunken ist, von einer MeningitisEpidemie in der Region, die schon 97 Seelen dahingerafft hat, vom USPräsidenten, der Texas auffordert, die Verfassungszusätze zur Abschaffung der Sklaverei umzusetzen. Der Sezessionskrieg ist gerade erst fünf Jahre vorbei und die Schmach der Niederlage sitzt hier noch immer tief.
Der wilde Westen, durch den Tom Hanks in „Neues aus der reitet, ist ein von Bürger- und Indianerkriegen moralisch zerrüttetes Land, das sichtbare Analogien zum Amerika der Post-Trump-Ära aufweist. Auch hier stemmen sich die Verlierer mit aller Kraft gegen ihre Niederlage. Auch hier ist der Rassismus die treibende Kraft für die Spaltung der Gesellschaft. Auch hier glaubt der wütende Mob, das Gesetz in die eigene Hand nehmen zu können. Auch hier lässt die ökonomische Krise Menschen in den Abgrund der Armut fallen.
Aber all das läuft in Peter Greengrass gelungener Genre-Variation nur nebenher mit. Im Zentrum steht das langsam wachsende Vertrauensverhältnis des reisenden Nachrichtenmannes zu einem Waisenkind. Die junge deutsche Schauspielerin Helena Zengel („Systemsprenger“) spielt das Mädchen deutscher Herkunft, das im Kleinkindalter nach einem Gefecht mit Siedlern von Indianern entführt wurde und bei diesen aufgewachsen ist. Nach dem Tod ihrer leiblichen Eltern sind vor kurzem die Adoptiveltern vom Stamm der Kiowa bei einem Massaker ermordet worden. Kyle macht sich mit Johanna auf die Reise zu deren entfernten Verwandten, die einige hundert Kilometer weiter südlich leben.
Mehrere Wochen dauert die gemeinsame Odyssee durch einsame Buschlandschaften und über gefährliche Straßen, auf denen ehemalige konföderierte Soldaten als bewaffnete Banden ihr Unwesen treiben. Als klassischen Western ohne modernisierende Mätzchen inszeniert Paul Greengrass („Bourne“-Filme) die Geschichte. Die Anleihen reichen von John Fords „Der schwarze Falke“bis hin zu „True Grit“der Gebrüder Coen.
Getragen wird das ganze Unternehmen jedoch vor allem von der durchaus rührigen, langsam reifenden Vater-Tochter-Beziehung zwiWelt“ schen dem traumatisierten Waisenmädchen und dem ehemaligen Südstaatenoffizier, der mit eigenen schrecklichen Erlebnissen und Taten zu kämpfen hat. Die fabelhafte Helena Zengel kann hier nahtlos an ihre Rolle in „Systemsprenger“anknüpfen und überzeugt in den Momenten aggressiver Verweigerung genauso wie in den ruhigen Sequenzen. Als beste Nebendarstellerin wurde sie dafür kürzlich für die Golden Globes nominiert
„Du musst nach vorne blicken“, rät der alte Mann, nachdem Johanna die Überreste der Hütte ihrer verstorbenen Eltern besucht hat. Aber das Mädchen schüttelt den Kopf: „Um nach vorne sehen zu können, muss man sich zuerst erinnern.“Und auch dieser Ratschlag weist ins Hier und Jetzt eines Landes, das heute mehr denn je mit den Geistern seiner unbewältigten Vergangenheit ringt.
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