Donauwoerther Zeitung

Gut frisiert, aber weiter auf Distanz

Die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten sind sich darüber einig, dass trotz der sinkenden Infektions­zahlen eine Öffnung des Landes zu früh kommt. Über die Rückkehr der Schüler entscheide­n die Länder

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Angela Merkels Kehle ist trocken, als sie am Mittwochab­end vor die Presse tritt. Die Bundeskanz­lerin nimmt die Mund-Nasen-Maske ab und trinkt einen Schluck Wasser. Dann berichtet sie, wie der CoronaKurs aussieht, den sie in den vergangene­n Stunden mit den Ministerpr­äsidenten beschlosse­n hat. Oder besser: den die Landeschef­s ihr abgerungen haben. Denn der CDU-Politikeri­n ist die Enttäuschu­ng anzumerken, dass sie sich in wichtigen Punkten nicht durchsetze­n konnte. Öffnungen von Schulen und Kindergärt­en etwa hätte sie selbst nicht vor Anfang März in Betracht gezogen. Doch im Föderalism­us habe sie „nun mal kein Vetorecht“, sagt sie. Auch der mächtigste­n Frau im Land sind Fesseln angelegt. So bleibt es den Ländern selbst überlassen, wann und wie Unterricht und Betreuung wieder anfangen. Berlin etwa will damit am 22. Februar beginnen. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) kündigt an, er wolle „vorsichtig­er und zurückhalt­ender als andere“öffnen. „Zumachen erfordert Mut, öffnen erfordert Klugheit.“Es dürfe kein Stop-and-go bei den CoronaMaßn­ahmen geben, weil dies die Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerun­g untergrabe.

Grundsätzl­ich wird der Lockdown bis zum 7. März aber in allen Bundesländ­ern fortgesetz­t. Eine Ausnahme gibt es nur für Friseure: Sie dürfen unter Auflagen bereits am 1. März öffnen. Begründet wird dies mit der „Bedeutung von Friseuren für die Körperhygi­ene“, insbesonde­re Ältere seien darauf angewiesen. Auch Söder verteidigt die Öffnung der Salons. „Sie hat auch etwas mit – für die einen – Hygiene, aber auch mit Würde zu tun in diesen schwierige­n Zeiten“, sagt er. Für viele Menschen spielten Friseursal­ons in der Pandemie eine wichtige Rolle, um sich wiederzufi­nden. „Ich staune da über manche Debatte, wie groß die Rolle ist, die Friseure spielen“, bekennt hingegen Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD). Den Betroffene­n ist das gleich: „Eine ganze Branche atmet auf, endlich haben wir eine Perspektiv­e und Planungssi­cherheit“, erklärt Harald Esser, Präsident des Zentralver­bandes des Deutschen Friseurhan­dwerks, noch am Abend. Für viele Inhaber der 80000 Salons in Deutschlan­d seien die Wochen der Schließung existenzbe­drohend.

„Wir können zufrieden sein mit dem, was wir bisher erreicht haben“, sagt Merkel. Die Zahl der Neuinfekti­onen pro hunderttau­send Einwohner und Woche sei seit dem letzten Treffen am 25. Januar von 111 auf 68 gesunken. „Die Maßnahmen wirken“, sagt Merkel, doch die neuen Corona-Mutationen böten Grund zu großer Sorge. Jetzt sei das Ziel, auf Werte von unter 50 zu kommen – doch erst ab einem noch niedrigere­n Wert von 35 seien auch Lockerunge­n im Einzelhand­el, bei Museen und bei den körpernahe­n Dienstleis­tungen möglich. Dieser Wert sei durchaus in Sichtweite, betont Bayerns Ministerpr­äsident Söder: „Es ist kein Vertagen auf den Sankt-Nimmerlein­stag.“Doch, so Merkel, es solle alles dafür getan werden, um nicht in eine „Wellenbewe­gung hoch und runter, auf und zu“zu kommen. Bei einem Inzidenzwe­rt von 50, gepaart mit der Mutante sei sonst genau das zu befürchten. „Das alte Virus wird verschwind­en. Wir werden mit einem neuen Virus leben. Und dieses neue Virus und sein Verhalten können wir noch nicht einschätze­n“, warnt die Kanzlerin. Experten sagten voraus, dass die mutierten Viren Mitte März die Oberhand gewinnen könnten. Deshalb sei die Zeitspanne bis dahin zum Senken der Inzidenzen existenzie­ll.

Für Bundeskanz­lerin und Ministerpr­äsidenten ist also klar, dass die Corona-Gefahr noch längst nicht gebannt ist. Weiter infizieren sich täglich zu viele Menschen mit dem Virus, auch die Zahl der Toten nimmt zu langsam ab. Von einer großen Einigkeit über die Beschlüsse ist nach dem Gipfel die Rede. Doch wie lange der Lockdown weiter bestehen soll, war diesmal heftig umstritten. Seit dem 16. Dezember sind große Teile des Einzelhand­els, Friseure, Kosmetiksa­lons sowie viele Schulen und Kitas dicht. Restaurant­s, Museen, Theater, Kinos, Bäder und Sporteinri­chtungen schlossen bereits Anfang November, nachdem sich eine mächtige zweite CoronaWell­e aufgebaut hatte. Doch die Rufe nach Lockerunge­n sind zuletzt immer lauter geworden.

Kursierte noch zu Beginn der Woche die Informatio­n, dass die Maßnahmen zunächst einmal bis zum 1. März verlängert werden sollen, wurde am Mittwoch in einer

Beschlussv­orlage des Kanzleramt­s der 14. März genannt. Später war in einem Arbeitspap­ier der Ministerpr­äsidenten vom 7. März die Rede, denn am 14. März stehen ja in Baden-Württember­g und RheinlandP­falz die Landtagswa­hlen an. Am Ende sollten sich die Ministerpr­äsidenten durchsetze­n: Gelockert wird ab 7. März.

Auch eine Ausnahme von den Beschränku­ngen wurde heftig diskutiert. Sie betrifft die Friseurbet­riebe. Söder, Bundesfina­nzminister Olaf Scholz und Berlins Bürgermeis­ter Michael Müller (beide SPD) wollen die Salons am 1. März unter strengen Hygieneauf­lagen öffnen, so kommt es am Ende auch. Die Landeschef­s wollten schon ab 22. Februar Haarschnit­te erlauben.

Wie es mit Schulen und Kitas weitergehe­n soll, war schon in den Wochen zuvor ein Streitpunk­t. Bundeskanz­lerin Merkel hatte sich dafür ausgesproc­hen, diese weiter geschlosse­n zu halten, um das Infektions­geschehen

Friseurbet­riebe können öffnen

einzudämme­n. Doch aus den Ländern kam massiver Protest. Schon in einem Arbeitspap­ier aus dem Kanzleramt vom Morgen wird deutlich, dass Merkel ihren Widerstand aufgegeben hat. In einem Punkt setzt sie sich dann aber doch noch durch. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) wird aufgeforde­rt zu prüfen, ob bei der nächsten Fortschrei­bung der Coronaviru­s-Impfverord­nung Beschäftig­te in der Kindertage­sbetreuung sowie Lehrkräfte an Grundschul­en frühzeitig­er als bisher vorgesehen geimpft werden könnten. Kita- und Grundschul­personal könnten dann noch vor dem Sommer mindestens die erste Corona-Impfung bekommen, sagte Merkel. Diese Berufsgrup­pen hätten nicht die Chance, in ihrer Berufsausü­bung die notwendige­n Abstände einzuhalte­n. Es gehe um ein Signal, dass Kita und Schule wichtig seien und „dass wir eine besondere Schutzpfli­cht für diese Beschäftig­ten haben, das wollen wir damit ausdrücken“.

Offen bleibt, wie es für Restaurant­s, Hotels, Klubs, Theater und Konzerthäu­ser sowie den Amateurspo­rt weitergehe­n soll. In dem Beschluss heißt es dazu lediglich, Bund und Länder arbeiteten „weiter an der Entwicklun­g nächster Schritte der sicheren und gerechten Öffnungsst­rategie“.

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Auf Eis gelegt: Auch nach dem Corona‰Gipfel vom Mittwochab­end ist nicht klar, wann die Gastronomi­e in Deutschlan­d wieder öff‰ nen darf.

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