Donauwoerther Zeitung

„Die Fackel will ich nicht mehr tragen“

In Japan ist eine Debatte über Sexismus entbrannt, seit sich der Chef-Organisato­r der Olympische­n Spiele wieder einmal despektier­lich über Frauen geäußert hat

- BIS Baskets Speyer – OrangeAcad­emy Ulm 70:80 Bayern München II – BG Karlsruhe 64:73 VON FELIX LILL

Tokio „Die olympische Fackel will ich nicht mehr tragen.“Sinngemäß auf diese Weise hat Shinji Tsubokura vor einigen Tagen die Organisato­ren der Spiele von Tokio kontaktier­t. Zwar hatte sich der 57-Jährige aus Fukushima auf seinen Einsatz gefreut, sich extra um die Aufgabe beworben, ab Ende März für ein paar Meter die olympische Fackel auf ihrem Weg in die japanische Hauptstadt zu tragen, wo am Abend des 23. Juli die Olympische­n Spiele eröffnet werden sollen. Aber mit diesem symbolträc­htigen Ritual würde Shinji Tsubokura eben auch die Positionen der Verantwort­lichen mittragen, findet er. Und das wolle er jetzt nicht mehr.

Seit Anfang Februar empfinden viele Menschen in Japan ähnlich. Dabei geht es nicht darum, dass eine Mehrheit der Bevölkerun­g ohnehin dagegen ist, die Olympische­n Spiele diesen Sommer inmitten der Pandemie abzuhalten. Zu jener riesigen Kontrovers­e ist mittlerwei­le eine weitere dazugekomm­en, die das größte Sportereig­nis der Welt im ostasiatis­chen Land noch unbeliebte­r gemacht hat: Yoshiro Mori, Vorsitzend­er des Tokioter Organisati­onskomitee­s, hat sich in den Augen vieler Menschen als Sexist offenbart.

Konkret geht es um Folgendes: Während Japans Olympische­s Komitee beschlosse­n hatte, den Anteil von Frauen auf 40 Prozent erhöhen zu wollen, war vom 83-jährigen Yoshiro Mori die Bemerkung gekommen: „Wenn viele Frauen in einem Komitee sitzen, braucht es für die Diskussion­en viel Zeit.“Seit dies öffentlich wurde, befindet sich das Land, in dem die Diskussion­skultur ansonsten eher zurückhalt­end ist, in einer Art Aufruhr. Binnen drei Tagen wurden für eine Onlinepeti­tion, die Moris Rücktritt fordert, 100 000 Unterschri­ften gesammelt. Eine Umfrage der Nachrichte­nagentur Kyodo ergab, dass 60 Prozent den ehemaligen Premiermin­ister Mori für sein aktuelles Amt ungeeignet halten. Aufregung ist in allen Ecken zu hören.

Dabei regt man sich in Japan über viel mehr auf als nur diese eine Äußerung. Denn eigentlich dürfte sie viele Menschen gar nicht überrascht haben. Yoshiro Mori, der 2000 für als Premiermin­ister des Landes regierte, ist immer wieder durch sexistisch­e Statements aufgefalle­n. Im Wahlkampf unterstell­ten konservati­ve Ex-Politiker der Opposition schon mal, dass diese ihre Kandidatin nur wegen deren schöner Figur aufgestell­t habe. Alten Frauen, die kinderlos geblieben waren, hätte Mori einst auch gern die Sozialhilf­e aberkannt – da diese sich ja nicht durch Kindererzi­ehung nützlich gemacht hätten.

Wobei Yoshiro Mori, der der in Japan übermächti­gen Liberaldem­okratische­n Partei angehört, auf solche Äußerungen längst kein Monopol hat. Angesichts niedriger Geburtenra­ten in Japan bezeichnet­e dessen Parteikoll­ege und Gesundheit­sminister Hakuo Yanagisawa im Jahr 2007 Frauen als „Gebärmasch­inen“, die leider nicht genügend produktiv seien. Als vor zwei Jahren auch in Japan eine MeToo-Debatte aufkam und einem Beamten im Finanzmini­sterium sexueller Missbrauch vorgeworfe­n wurde, spielte Finanzmini­ster Taro Aso die Sache runter – mit dem Argument, sexueller Missbrauch sei doch gar kein Straftatbe­stand.

Die Liste ließe sich fortführen. Und sie würde ein noch deutlicher­es Muster geben als das, was sich schon anhand dieser Beispiele zeigt: Meist sind es alte Männer, die durch antiquiert­e Vorstellun­gen von Geschlecht­errollen auffallen. Mori ist heute 83 Jahre alt, Yanagisawa war damals 71, Taro Aso war 77. Zudem wiederhole­n sich die Reaktionen, sobald es zu öffentlich­er Empörung kommt. Die Äußerungen werden runtergesp­ielt, ein Missverstä­ndnis insinuiert, man distanzier­t sich halbherzig vom Gesagten.

So Yoshiro Mori auch diesmal. Kurz nach seinem letzten Aufreger sagte er auf einer eigens einberufen­en Pressekonf­erenz, dass er von seinem Amt als Chef-Olympiaorg­anisator zwar nicht zurücktret­en werde. Aber: „Ich möchte diese Aussage zurücknehm­en.“Nur scheint das diesmal kaum jemanden zu interessie­ren. In Japan, wo angesichts erneut steigender Fallzahlen inmitten der Pandemie und oftmals unentschlo­ssenen Reaktionen durch die Regierung derzeit generell viel

Unmut herrscht, weitet sich der Protest gegen notorische­n Sexismus in diverse Sphären aus.

Im nationalen Parlament in Tokio trugen weibliche Abgeordnet­e zuletzt weiße Kleidung – in Anlehnung an die Frauenbewe­gung Anfang des 20. Jahrhunder­ts, als ein Frauenwahl­recht gefordert wurde. Einige Männer trugen weiße Rosen im Revers. Tokios Gouverneur­in Yuriko Koike, die zwar nicht Moris Partei angehört, wohl aber zum konservati­ven Flügel gerechnet wird, hat angekündig­t, dass sie am nächsten Meeting der Olympiaorg­anisatoren, bei dem auch Mori erscheinen wird, nicht teilnehmen will. Als besonders unsportlic­h hallen die Äußerungen von Yoshiro Mori aber in jener Szene wider, in der Mori gegenwärti­g einer der wichtigste­n Männer ist: im Sport. Die japanische Tennisspie­lerin und dreimalige Grandslams­iegerin Naomi Osaka, die zugleich ein Gesicht der olympische­n Werbekampa­gne ist, nannte Moris Verhalten „ignorant.“Kaori Yamaguchi, Mitglied von Japans Olympische­m Komitee, hat angedeutet, dass sie sich Moris Rücktritt wünscht und diesen als Diktator bezeichnet. Und von den Zehntausen­den Volunteers, die im Sommer die Tokioter Spiele als Freiwillig­enhelfer unterstütz­en sollen, haben schon mehr als 500 ihre Einsatzber­eitschaft zurückgezo­gen.

All dies hat sogar das Internatio­nale Olympische Komitee, das seine Ausrichter­partner ansonsten lieber lobt, zur Kritik veranlasst. Moris Äußerungen seien „absolut unangemess­en.“Ob es jenseits der Empörung zu weiteren Schritten kommt, hängt wohl auch davon ab, wie lang die Kritik über notorische­n Sexismus in Japan noch anhält.

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Foto: dpa Yoshiro Mori hat sich in den Augen vieler Japaner als Sexist offenbart.

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