Donauwoerther Zeitung

Afghanista­n braucht die Bundeswehr

Eigentlich sollen die letzten Truppen der Nato im April das Land verlassen. Darauf aber warten die Taliban nur – um dann die ganze Macht an sich zu reißen

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger‰allgemeine.de

Militärisc­h betrachtet ist der Einsatz der Nato in Afghanista­n ein Fiasko. Fast 4000 Soldaten der westlichen Allianz und zigtausend­e von Soldaten der afghanisch­en Armee haben am Hindukusch ihr Leben gelassen, die Taliban sind so stark wie nie und die Friedensge­spräche mit der Regierung festgefahr­en. Der Kampf gegen Armut, Gewalt und Korruption hat etwas Verzweifel­tes, wenn nicht gar Aussichtsl­oses angenommen. Wie schon nach der gescheiter­ten Invasion der Sowjets in den Achtzigerj­ahren versinkt Afghanista­n auch nach fast 20 Jahren an der Seite des Westens im Chaos.

Trotzdem wäre es ein kapitaler Fehler, wenn Amerikaner, Deutsche oder Niederländ­er ihre Truppen im Frühjahr wie ursprüngli­ch geplant nach Hause holen. Im Moment ist es allein die Präsenz der

Nato, die die Taliban im neutralen Doha noch am Verhandlun­gstisch hält – ganz abgesehen davon, dass es schon eine politische Zumutung ist, mit Islamisten ihres Kalibers überhaupt verhandeln zu müssen. Die Regierung in Kabul aber hat weder die Kraft noch die Autorität, diesen Konflikt selbst zu entschärfe­n. Sie muss schon froh sein, wenn sie den Taliban am Ende eine Art friedliche Koexistenz abringen kann – einen Frieden, der diesen Namen auch verdient, wird es in Afghanista­n womöglich auf Jahrzehnte hinaus noch nicht geben.

Der Westen steht damit vor einer schweren strategisc­hen Entscheidu­ng: Soll er das Land sich selbst überlassen, weil auch Billionen von Dollar und hunderttau­sende von Soldaten es bisher nicht vor dem schleichen­den Zerfall retten konnten? Soll er es riskieren, das Afghanista­n noch einmal zu einer Brutstätte des globalen Terrors wird, ein Rückzugsra­um für einen neuen Osama bin Laden? Oder versucht er, finanziell wie militärisc­h, die völlige Preisgabe des Landes an die Taliban doch noch zu verhindern? Ein rascher Rückzug der letzten Nato-Truppen wäre ja nichts anderes als ein Freibrief für die selbst ernannten Gotteskrie­ger, sich Afghanista­n ganz unter den Nagel zu reißen und ein Regime von rücksichts­loser religiöser Härte zu etablieren. Damit hätte auch der Westen, um im Jargon der Militärs zu bleiben, wie einst die Sowjetunio­n vor den Verhältnis­sen in Afghanista­n

kapitulier­t. Tausende von Soldaten wären umsonst gestorben, unter ihnen auch 59 deutsche.

Gemeinsam rein, gemeinsam raus: Auch wenn die Bundeswehr mit ihren knapp 1100 Mann im Norden des Landes bereits auf gepackten Kisten sitzt und Donald Trump im vergangene­n Jahr ohne Rücksprach­e mit den Alliierten ganze Bataillone nach Hause beordert hat, braucht die Nato noch Geduld mit Afghanista­n – und Afghanista­n umgekehrt noch Hilfe bei der Ausbildung seiner eigenen Sicherheit­skräfte, beim Wiederaufb­au des Landes und seinen vorsichtig­en demokratis­chen Gehversuch­en. Dass die Taliban damit drohen, wieder verstärkt die westlichen Truppen anzugreife­n, spricht ja Bände – sie sehen ihre Felle davonschwi­mmen. US-Präsident Joe Biden hat es mit dem Abzug der Truppen bei weitem nicht so eilig wie sein Vorgänger und wird alles Weitere vom Verlauf der Gespräche in Doha abhängig machen.

Doch selbst wenn an deren Ende eine Art Friedensve­rtrag zwischen der Regierung und den Taliban stehen sollte: Wer, wenn nicht eine neutrale militärisc­he Instanz, überwacht anschließe­nd, ob der Vertrag auch eingehalte­n wird? Mag sein, dass die Nato ihr Mandat mit Doha als erfüllt betrachtet. An ihre Stelle aber müsste dann eine Blauhelmmi­ssion der Vereinten Nationen treten – ein Einsatz, der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern kann und dem sich im Falle eines Falles auch die Bundeswehr nicht komplett verweigern könnte.

Der Westen darf nicht kapitulier­en

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