Donauwoerther Zeitung

„Tests können helfen, zur Normalität zu kommen“

Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht fordert die Länder zur Überprüfun­g ihrer Corona-Maßnahmen auf. Wie sie über volle Fußgängerz­onen in Österreich denkt und was sie von Sanktionen für Impfdrängl­er hält

- Interview: Christian Grimm und Stefan Lange

Es wird gerade über den Sinn oder Unsinn von Corona-Grenzwerte­n diskutiert. Ab welchem Inzidenzwe­rt sind schwere Grundrecht­seingriffe nicht mehr vertretbar?

Christine Lambrecht: Ganz grundsätzl­ich gilt: Begründung­spflichtig ist die Anordnung von Einschränk­ungen und nicht deren Lockerung. Grundrecht­seingriffe müssen immer verhältnis­mäßig und gut begründet sein. Der Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerun­g ist eine solche gute Begründung. Der Inzidenzwe­rt gibt uns eine deutliche Orientieru­ng, wie stark sich das Virus ausbreitet, und daher hat ihn der Gesetzgebe­r im Infektions­schutzgese­tz festgeschr­ieben. Auch die Frage nach der Auslastung der Krankenhäu­ser spielt eine wichtige Rolle. Zuletzt hat das Auftreten der Virusvaria­nten eine neue Lage geschaffen. Wenn wir das Virus erfolgreic­h bekämpfen wollen, müssen wir das gesamte Bild im Blick haben und bereit sein, die Lage immer wieder neu zu bewerten. So ist es ja beim letzten Treffen von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpr­äsidenten in Bezug auf die Schul- und Kitaöffnun­gen auch passiert.

Friseurläd­en dürfen öffnen und der Besuch dort kann schon mal eine Stunde dauern. In den kleinen Woll-Laden daneben darf ich nicht mal für fünf Minuten, um mir einen Schal zu kaufen. Ist das angemessen?

Lambrecht: Es geht ja nicht nur um die Situation im Laden. Die Menschen müssen ja auch zu den Geschäften kommen. Und da macht es mit Blick auf das Infektions­geschehen einen großen Unterschie­d, ob Einzelne zum Friseur fahren oder sich, womöglich mit anderen, zur Shoppingto­ur aufmachen. Mich jedenfalls haben die Bilder der vollen Fußgängerz­onen in Österreich oder Italien sehr alarmiert.

Also bleiben die meisten Geschäfte erst einmal geschlosse­n?

Lambrecht: Wir müssen Tag für Tag und Woche für Woche genau schauen, wie sich die Entwicklun­g darstellt. Und noch mal: Nicht die Lockerunge­n müssen begründet werden, sondern die Einschränk­ungen. Die Gerichte beobachten das sehr genau. Diese genaue Kontrolle ist nicht nur ein Gebot des Rechtsstaa­ts, sondern trägt auch zur Akzeptanz der Corona-Entscheidu­ngen in der Bevölkerun­g bei. Die Prüfung durch die Gerichte kann aber immer nur ein Korrektiv sein. Die Verantwort­ung für die Strategie bei der Bekämpfung der CoronaPand­emie kann die Politik nicht an die Gerichte abgeben. Es ist also unsere Aufgabe als Politik, die Entscheidu­ngen immer ganz konkret an der jeweiligen Situation auszuricht­en und zu begründen.

Sind Corona-Schnelltes­ts ein Weg hin zu schnellere­n Lockerunge­n?

Lambrecht: Es ist zunächst einmal wichtig, dass diese Tests nicht mit falschen Vorstellun­gen verbunden werden. Die Tests können immer nur über die aktuelle Situation Auskunft geben und sind auch nicht hundertpro­zentig sicher. Sie können aber eine Chance sein, das Risiko von Lockerunge­n für das Infektions­geschehen zu reduzieren, deshalb muss man darüber ernsthaft sprechen. Neben den Impfungen können auch Tests dabei helfen, zurück zur Normalität zu kommen.

Gibt es da schon konkrete Überlegung­en in der Regierung?

Lambrecht: Die Bundesländ­er müssen prüfen, ob die jetzt geltenden Maßnahmen bei ihnen noch erforderli­ch sind oder nicht mildere Maßnahmen wie die Durchführu­ng von Tests oder die Anwendung von Hygienekon­zepten ausreichen. Besonders wichtig ist es jetzt, die Schnelltes­ts in Schulen und Kitas anzuwenden, damit wir den Schulbetri­eb wieder aufnehmen können.

Ist das Parlament mittlerwei­le, nach einem langen Corona-Jahr, ausreichen­d an den Entscheidu­ngen beteiligt?

Lambrecht: Es entspricht einfach nicht den Tatsachen, wenn immer behauptet wird, über die CoronaMaßn­ahmen entscheide nur die Kanzlerin bei ihren Treffen mit den Ministerpr­äsidenten. Das ist nicht so! In jeder Sitzungswo­che wird im Bundestag über das Thema beraten, in den Länderparl­amenten ist es ähnlich. Die gesetzlich­en Grundlagen sind ganz klar im Bundestag beschlosse­n worden. Wir haben zum Beispiel eine der wichtigste­n Fragen, nämlich dass bei der Impfung priorisier­t werden kann und nach welchen Kriterien dies geschehen soll, per Gesetz geregelt. Das ist selbstvers­tändlich eine Frage, mit der sich das Parlament befassen muss und das hat es getan.

Es gibt in Deutschlan­d offenbar Menschen, die sich beim Thema Impfen für wichtiger halten als andere. Brauchen wir Sanktionen für Impfdrängl­er?

Lambrecht: Einzelne Vorkommnis­se möchte ich hier nicht bewerten, da ich keine nähere Kenntnis von den Umständen habe. Wir haben uns ganz bewusst dafür entschiede­n, dass am Anfang Menschen geimpft werden, die ein besonders hohes Risiko für schwere Verläufe haben oder die dem Virus in besonders hohem Maße ausgesetzt sind. Wenn sich hier jemand vordrängel­t, ohne an der Reihe zu sein, ist das absolut inakzeptab­el. Ich kann verstehen, dass so ein Verhalten Empörung hervorruft.

Und was ist mit Sanktionen?

Lambrecht:

Es gab ja scharfe Kritik daran und ich hoffe, dass die Berichters­tattung über diese Fälle abschrecke­nde Wirkung hat und jedem klarmacht, wie verwerflic­h ein solches Verhalten ist. Ob darüber hinaus auch Sanktionen erforderli­ch sind, muss man sich genau anschauen. Ich bin da zurückhalt­end.

Wie ist der Stand bei den Privilegie­n für Geimpfte? Muss das Justizmini­sterium da noch zur Klärung beitragen?

Lambrecht: Ich kann gar nicht oft genug betonen, dass Grundrecht­e keine Privilegie­n sind. Davon abgesehen ist die Debatte wichtig. Sie ist aber im Moment noch weitgehend theoretisc­h und zwar deshalb, weil wir ganz am Anfang mit den Impfungen stehen und auch weiterhin nicht genau wissen, ob Geimpfte das Virus übertragen können.

Anders gefragt: Dürfen nur Geimpfte ins Konzert?

Lambrecht: Ich hoffe jedenfalls, dass Konzerte bald wieder stattfinde­n können. Unter welchen Voraussetz­ungen solche Veranstalt­ungen wieder möglich sein werden, lässt sich heute allerdings kaum abschätzen. Wenn erst einmal genug Menschen geimpft sind, um die Pandemie zu beenden, stellt sich diese Frage nicht mehr. In der Zwischenze­it kann man möglicherw­eise auch Schnelltes­ts einsetzen, um das Risiko solcher Veranstalt­ungen zu reduzieren. Voraussetz­ung ist natürlich, dass das Infektions­geschehen Konzerte wieder zulässt. Das ist gegenwärti­g leider noch nicht der Fall.

Wir stellen uns vor, dass sich bei einem Konzert in der Berliner Waldbühne 20000 Hardrock-Fans ein Wattebäusc­hchen in die Nase schieben, bevor sie das Gelände betreten dürfen…

Lambrecht: Natürlich wird es auch von der Größe der Veranstalt­ung abhängen, welche Lösungen praktikabe­l und verantwort­bar sind. Aber wissen Sie, als ich vor der Pandemie bei den Rolling Stones war, gab es ewige Schlangen vor dem Olympiasta­dion, weil man große Taschen abgeben musste. Anschließe­nd musste ich mich in die nächste lange Schlange vor dem Eingang stellen. Man ist also als Konzertbes­ucher schon einige Strapazen gewohnt. Wenn das Testen der einzige Weg ist, um Konzerte wieder zu ermögliche­n, werden die Leute dafür auch Verständni­s haben.

Christine Lambrecht wurde 1965 in Mannheim geboren. Sie trat 1982 in die SPD ein. Seit 2019 ist die Juristin Bundesjust­izminister­in.

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Foto: Britta Pedersen, dpa Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht ist seit 22 Jahren Abgeordnet­e. Bei der Bundestags­wahl im September tritt die SPD‰ Politikeri­n nicht mehr an.

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