Donauwoerther Zeitung

Was treibt die Mullahs an?

Nach dem Regierungs­wechsel in den USA schien die Chance, den Atomvertra­g doch noch zu retten, gestiegen. Doch Teheran setzt auf Konfrontat­ion. Iran-Experten erklären, was hinter diesem Verhalten stecken könnte

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Es gibt kaum ein internatio­nales Abkommen, das so oft für tot erklärt, gleichzeit­ig aber als dringender Fall für eine Notrettung bezeichnet wurde: Der Puls des Atomdeals von 2015 zwischen dem Iran einerseits und den USA, China, Russland, Großbritan­nien sowie Frankreich plus Deutschlan­d anderersei­ts wurde während der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump immer schwächer. 2018 kündigte Washington den Austritt aus dem Abkommen an. Die Hoffnung, dass dem Vertrag wieder Leben eingehauch­t werden würde, wenn Joe Biden den Wüterich im Weißen Haus ersetzt hat, haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, Verstöße gegen das Regelwerk und ein Ultimatum Teherans heizen den Konflikt um den Deal, der den Iran dauerhaft daran hindern soll, Nuklearwaf­fen zu produziere­n, weiter an.

Das könnte der Anfang vom dann endgültige­n Ende sein. Denn bereits im Mai 2019 reagierte der Iran auf US-Sanktionen mit der Inbetriebn­ahme leistungsf­ähigerer Zentrifuge­n zur Urananreic­herung. Weitere Verstöße folgten. Jetzt die Eskalation: Die iranische Regierung hat angekündig­t, den Inspektore­n der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde

IAEA den unbegrenzt­en Zugang zu den Atomanlage­n zu verwehren.

„Das ist eine sehr ernste Drohung. Die Freiheit der Inspekteur­e, jederzeit die Atomanlage­n zu kontrollie­ren, ist der Kern des Atomabkomm­ens. Ohne diese Kontrollen ist der Vertrag wertlos“, sagt der Bundestags­abgeordnet­e Omid Nouripour (Grüne) im Gespräch mit unserer Redaktion. Dennoch sieht der 45-Jährige, der im Iran aufgewachs­en ist und dessen Familie unter dem Regime der Mullahs bitter gelitten hat, nicht schwarz: „Ich glaube, dass der Deal am Ende gerettet wird, aber das wird ein steiniger Weg.“Ein Plädoyer für eine nachgiebig­ere Linie ist das nicht. „Es ist unbedingt notwendig, dass der Westen kompromiss­los auf den Kontrollen der Inspekteur­e besteht“, sagt Nouripour.

Die Frage ist, warum die Regierung in Teheran ausgerechn­et in einer Phase, in der sich die neue USAdminist­ration noch außenpolit­isch sortiert, so viel Porzellan zerschlägt. „Das vom iranischen Parlament verabschie­dete Atomgesetz lässt der Regierung kaum eine Wahl. Auch wenn sogar im Iran die Rechtmäßig­keit dieses Beschlusse­s angezweife­lt wird“, erklärt der leitende Redakteur des Onlinemaga­zins

Farhad Payar. Das Gesetz

Iran Journal,

schreibt den Ausstieg aus dem IAEA-Zusatzprot­okoll vor – damit wäre der Zugang der Inspekteur­e beschränkt. Payar ist sich sicher, dass der Parlaments­beschluss nicht ohne Rücksprach­e mit Chamenei gefallen ist, fügt der 63-Jährige, der 1980 aus dem Iran nach Deutschlan­d kam, hinzu. Ein fataler Automatism­us, der dem iranischen Präsident Hassan Ruhani den letzten politische­n Spielraum nimmt. Nouripour sieht einen weiteren Grund dafür, dass der Iran Entscheidu­ngen trifft, die rätselhaft, ja angesichts der katastroph­alen Wirtschaft­slage im Land fast selbstzers­törerisch wirken: „Im Iran läuft der Präsidents­chaftswahl­kampf, bei dem es nicht nur um politische, sondern auch um korrupte, finanziell­e Interessen Einzelner geht.“Seit Jahren stehen sich ein gemäßigter­es Lager und die konservati­ven Hardliner um den Revolution­sführer Ayatollah Ali Chamenei gegenüber. Zwischen diesen Gruppen wiederum gibt es kaum zu durchschau­ende Querverbin­dungen und Abhängigke­iten.

„Der Ausgang der Wahlen am 18. Juni ist trotz ihres unfreien Charakters offen. Ich könnte mir vorstellen, dass am Ende ein als moderat geltender Kandidat Präsident wird. Denn auch Khamenei weiß, dass man die meisten Hardliner nicht als

Präsident ins Schaufenst­er der Weltgemein­schaft stellen kann.“Während sich Nouripour vorstellen kann, dass Khamenei aus diesem Kalkül gut mit einem Mann wie dem als gemäßigt geltenden Außenminis­ter Mohammed Dschawad Sarif Leben könnte, glaubt Payar an einen Hardliner im Präsidente­namt. Er hält zwei Szenarien für denkbar. Entweder es gibt in den nächsten Tagen einen „kleinen Deal“, etwa eine Verschiebu­ng des Ultimatums und ein Moratorium, oder der Vertrag scheitert in der vorliegend­en Form tatsächlic­h. Doch das müsse nicht zwangsläuf­ig bedeuten, dass der Gesprächsf­aden endgültig reißt. Payar: „Nach der Wahl im Juni könnte es ein Konservati­ver im Präsidente­namt sein, der einen Schritt auf die USA zugeht. Dann könnte Khamenei diesen Erfolg für sich verbuchen.“

Einig sind sich Payar und Nouripour, wenn es um die verzweifel­te Lage der iranischen Bevölkerun­g geht. „Es herrscht eine totale Apathie, ein massiver innerer Exodus – weg von der Politik, hin zum täglichen Kampf ums Überleben“, sagt

Nouripour. Hinzu komme eine „Corona-Katastroph­e“: „1500 Tote pro Tag, diese Dunkelziff­er kursiert im Land.“Payar ist überzeugt, dass das Regime, das die Menschenre­chte der eigenen Bevölkerun­g mit Füßen tritt und sich aggressiv in die Konflikte mehrerer Nachbarlän­der einmischt, längst von einer großen Mehrheit im Iran abgelehnt wird.

Die hektischen diplomatis­chen Aktivitäte­n legen nahe, dass der Atomdeal im Westen – nun auch wieder in den USA – als erhaltensw­ert erachtet wird. Von dem Satz Khameneis, dass es „bis jetzt nur leere Verspreche­n, mit denen wir nichts anfangen können“gegeben habe, will man sich nicht entmutigen lassen. Zumal Ruhani seine Bereitscha­ft wiederholt­e, mit der IAEA kooperiere­n zu wollen. Am Mittwochab­end telefonier­te Kanzlerin Angela Merkel mit Ruhani. Für Donnerstag­abend war ein Treffen der Außenminis­ter von Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien in Paris geplant, um die Positionen abzustimme­n. US-Kollege Antony Blinken wollte sich per Video zuschalten. Zeichen eines wiedererwa­chenden transatlan­tischen Gestaltung­swillens. Ob dieser neue Geist das Atomabkomm­en mit dem Iran retten kann, ist jedoch völlig ungewiss.

Der Wahlkampf im Iran macht es noch komplizier­ter

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Foto: Iranian Presidency/dpa Ein Bild mit Symbolik: Präsident Hassan Ruhani spricht, während ihm der mächtigste Mann des Irans, Revolution­sführer Ali Khamenei, schwarz eingerahmt über die Schulter blickt.

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