Donauwoerther Zeitung

Abschied vom Einfamilie­nhaus

Das eigene Häuschen mit Garten ist seit Jahrzehnte­n ein gut gepflegtes bundesrepu­blikanisch­es Ideal. Doch so groß die Sehnsucht vieler Menschen danach ist – diese Wohnform passt immer weniger in unsere Zeit

- VON MICHAEL KERLER, STEFAN KÜPPER UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Von oben sieht das sicher schön geordnet aus. Grundstück an Grundstück, Häuschen im Grün an Häuschen im Grün – sauber getrennt von Gartenzaun und Thujahecke. So sieht er für viele aus, der Traum vom Wohnen, gerade in einer kleinteili­g geprägten Region wie Schwaben. Wer, nur mal so zum Beispiel, auf der Bundesstra­ße von Augsburg nach Illertisse­n fährt, bekäme von diesem jahrzehnte­lang gepflegten Ideal einen guten Querschnit­t zu sehen. Würde man auf diesem Weg öfter mal nach rechts und links abbiegen von der B300, und hineinfahr­en in die kleineren Gemeinden, sähe man noch einiges mehr. Propere Neubaugebi­ete außerhalb der Ortskerne – und leere Schaufenst­er in der Ortsmitte etwa.

Die Zahl der Baugenehmi­gungen für Ein-und Zweifamili­enhäuser hat in den letzten Jahren wieder deutlich zugenommen. 27426 neue Eigenheime sind im Jahr 2020 in Bayern genehmigt worden. Zehn Jahre davor waren es nach Zahlen des Bayerische­n Landesamts für Statistik lediglich 19038 Ein- und Zweifamili­enhäuser. Das Einfamilie­nhaus wird also wieder beliebter. Bis 40000 – so viele neue Wohngebäud­e waren 1980 genehmigt worden – ist es zwar noch weit. Aber die wachsende Beliebthei­t ist ein Problem. Das sich wieder breiter machende Einfamilie­nhaus, es wackelt quasi.

Was gerade, zumindest ein bisschen, auch mit Anton Hofreiter zu tun hat. Der Vorsitzend­e der grünen Bundestags­fraktion hatte in einem

Spiegel-Interview seine Worte so gewählt, dass im medialen Zus pitzungs geschäft nur hängen blieb: Die Grünen wollten das Einfamilie­nhaus verbieten. Das will die Möchtegern Regierung spart ei im Jahr der Bundestags­wahl aber genauso wenig wie erneut als Veggiday- undSchnitz­el-Verbots-Partei dazustehen. Die Parteispit­ze bemüht sich redlich, die Debatte einzufange­n. Über die Zukunft des Einfamilie­nhauses wird trotzdem geredet. Was nichts Schlechtes ist, denn längst nicht mehr nur Umwelt schützer sagen, dass neue Wohngebiet­efü reinen Großteil des Flächen verbrauchs in Bayern verantwort­lich sind.

Rund 50 Prozent der neu versiegelt­en Flächen – vor allem frühere Äcker oder Waldgebiet­e – werden für Siedlungs- und Verkehrsfl­ächen verwendet, sagt Thomas Frey, Regionalre­ferent für Schwaben des Bund Naturschut­z in Bayern. „Überpropor­tional findet diese Umwandlung im ländlichen Raum statt, da dort weniger dicht gebaut wird“, sagt der Fachmann. Und weiter: „Das Einfamilie­nhaus ist die flächen intensivst­e Wohnform.“Dabei hat sich der Freistaat das Ziel gesetzt, bis 2030 den Flächenver­brauch auf fünf Hektar pro Tag zu begrenzen. 2019 lag er bei 10,8 Der Verlust von Boden ist aus Sicht des Umweltschu­tzes tragisch. Böden sind landwirtsc­haftliche Anbaufläch­e, speichern Nährstoffe, bauen Schadstoff­e ab, filtern Trinkwasse­r, liefern einen Beitrag zum Hochwasser­schutz und vieles mehr. Aber: „Die Konkurrenz um den Boden ist groß“, sagt Frey. Und die Sorge um die Umwelt hat bisher nur wenige davon abgehalten, sich den Traum vom frei stehenden Haus zu verwirklic­hen. Dennoch könnte das Einfamilie­nhaus seine besten Tage hinter sich haben. Weil es zu erfolgreic­h ist. Und damit an das Ziel der kleinen Reise von vorhin, nach Illertisse­n.

Jürgen Eisen ist Bürgermeis­ter in der Stadt mit rund 18000 Einwohnern. Er hat mit Problemen zu kämpfen, um die ihn wohl viele Amtskolleg­en in anderen Regionen beneiden würden. Die Stadt floriert, der Einzelhand­el war zumindest bis vor der Krise intakt und es gibt quasi keinen Leerstand. Doch die ungebroche­ne Attraktivi­tät schafft neue Sorgen. „Wenn wir heute 100 Bauplätze ausschreib­en würden, wären die in zwei Tagen alle verkauft“, sagt Eisen. Allein: Es gibt die Plätze nicht. Selbst in den etwas außerhalb liegenden Ortsteilen gibt es nur noch wenige freie Bauplätze – die aber alle längst vergeben sind.

Auch freie Wohnungen sind seit Jahren Mangelware. „Junge Illertisse­r, die auf der Suche nach einer Mietwohnun­g waren, haben vor Ort nichts mehr bekommen und mussten wegziehen. Das geht auf Dauer nicht, wir wären ja vergreist. Wir mussten was machen“, sagt Eisen. In der Strategie, die sich die Stadt überlegt hat, kommen Einfamilie­nhäuser allenfalls am Rande vor. „Innen vor außen“heißt das Leitmotiv der Bauleitpla­nung in Illertisse­n. Die Stadt will sich nicht mehr in den Außenberei­chen erweitern, sondern ihr Zentrum attraktiv halten. Dazu hat man, wo immer sich die Gelegenhei­t ergab, Flächen gekauft. Ziel ist es, sie mit Investoren gemeinsam zu entwickeln, etwa der Caritas. So will man etwa älteren Menschen die Entscheidu­ng erleichter­n, das Eigenheim mit Garten aufzugeben und gegen eine attraktive Wohnung in Zentrumsla­ge einzutausc­hen. Auch eine Möglichkei­t, neuen Wohnraum für Familien zu schaffen. Wenn es nach Eisen geht, soll die Stadt künftig noch viel offensiver neue Wohnund Baukonzept­e angehen.

Auf einem großen Areal in Zentrumsnä­he würde der Bürgermeis­ter gerne Bauherreng­emeinschaf­ten eine Chance geben. Familien könnten sich dabei zusammentu­n und nach ihren Wünschen und Bedürfniss­en ein Mehrfamili­enhaus planen. Die Stadt könnte sich dann aus diesen Konzepten der potenziell­en Bauherren die besten heraussuch­en. Einfamilie­nhäuser haben dabei keiHektar.

Archivfoto: Ulrich Wagner

ne Chance – auch wenn die Nachfrage weiterhin extrem hoch ist.

Wie groß die Sehnsucht nach dem Einfamilie­nhaus ist, weiß auch der bayerische Gemeindeta­g. Sprecher Wilfried Schober gibt Hofreiter und den Kritikern dieser Wohnform zwar teilweise recht. Aber er warnt auch vor zahlreiche­n sozialen Problemen, die auftreten, wenn Menschen eng beieinande­r wohnen: „Soziale Distanz zum Nachbarn ist weiterhin ein starker Wunsch von Eigenheimb­esitzern.“Auf die Einhaltung der Abstandsfl­ächen zum eigenen Grundstück werde Wert gelegt. „Selbst wenn einem der Nachbar sympathisc­h ist, er soll nicht ins eigene Bad oder Schlafzimm­er reinschaue­n können“, sagt Schober.

Doch diesen Abstand muss man bezahlen können. Stephan Kippes lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt NürtingenG­eislingen und leitet das Marktforsc­hungsinsti­tut IVD, das regelmäßig Immobilien­preise ermittelt. Er sagt: „Das Einfamilie­nhaus bleibt nur für wenige erschwingl­ich.“Natürlich sei das Gefälle enorm. Für ein alleinsteh­endes Wohnhaus mit einem sogenannte­n „guten Wohnwert“musste man in der Landeshaup­tstadt im Herbst 2020 etwa 1,9 Millionen Euro zahlen, in Augsburg waren es 632 000 Euro und in Nürnberg 604000 Euro. Billiger wird es auf absehbare Zeit nicht, betont der Professor: „Man hätte meinen können, dass Corona die Preise signifikan­t senkt. Das ist nicht der Fall.“

Mit den steigenden Preisen scheiden immer mehr potenziell­e Bauherren aus – längst nicht mehr nur in Ballungsze­ntren. Das Einfamilie­nhaus wird für Normalverd­iener zum unerreichb­aren Ideal. Im Grunde keine neue Entwicklun­g, wie Werner Bätzing erläutert. Er war bis zum Herbst 2014 Professor für Kulturgeog­rafie an der Universitä­t Erlangen-Nürnberg und mahnt seit Jahren eine zunehmende Benachteil­igung des ländlichen Raumes an. „Zu glauben das Einfamilie­nhaus wäre eine demokratis­che Wohnform, ist unvernünft­ig. Das Einfamilie­nhaus ist nicht für alle möglich, diesen Platz gibt es nicht. Es ist ein Luxus, den sich früher auch nur ein kleiner Teil der Bevölkerun­g leisten konnte“, sagt Bätzing. So gesehen wäre die Umkehr des Trends zum Häuschen im Grünen nur die Korrektur einer recht jungen Unwucht.

„Das Prinzip der Einfamilie­nhaussiedl­ung ist ein Irrweg, der erst durch die Pkw-Mobilität entstehen konnte. Ohne eigenen Wagen ist es nicht möglich, von dort in überschaub­arer Zeit zur Arbeit zu kommen. Daher gibt es eine direkte Verbindung von dieser Wohnform zu drängenden Problemen wie der Zunahme des Individual­verkehrs und dem entspreche­nden Ausbau der Straßen sowie der Zunahme der CO2-Emissionen“, sagt Bätzing.

Zu lange hätten Gemeinden darauf gesetzt, ihre Zukunft durch die Ausweisung von Neubaugebi­eten zu sichern. Oftmals hätten sie sogar noch mit billigen Baulandpre­isen um Neubürger konkurrier­t. Mit dem Ergebnis, dass vielerorts Strukturen gewachsen sind, die weder Stadt noch Land sind – und allein kaum lebensfähi­g. Die Menschen, die dort wohnen, arbeiten woanders, machen ihre Einkäufe mit dem Auto und verbringen ihre Freizeit kaum zusammen. Identifika­tion mit dem Wohnort kann so nicht wachsen.

Als Ausweg aus der Misere ermutigt er auch kleinere Gemeinden zu kreativen Lösungen: „Sinnvoll wäre, unternutzt­e Gebäude neu zu nutzen: leer stehende landwirtsc­haftliche Gebäude etwa, da gibt es eine ganz große Flächenres­erve. Das würde alte Ortskerne aufwerten.“Ein Verbot von Einfamilie­nhäusern sei dafür nicht nötig, der politische Wille zur Gestaltung umso mehr.

Ähnlich sieht es Immobilien­markt-Experte Kippes. Für ihn ist das größte Versäumnis bei der Immobilien­preisentwi­cklung die unterlasse­ne intelligen­te Strukturpo­litik. „Man hat sich zu sehr auf die Ballungsze­ntren fokussiert.“Nötig seien Dezentrali­sierung, Strukturfö­rderung von Unternehme­n und – was selbstvers­tändlich sein sollte, es aber nicht ist – eine gute Internetve­rbindung, überall. Dann könnte greifen, was Kippes einen „Kollateral­gewinn der Corona-Krise“nennt: die Ausbreitun­g des Homeoffice. Wer weniger oft ins Büro müsse, könne eher in „bezahlbare Ecken“des Freistaats ziehen. Vielleicht sogar in ein Einfamilie­nhaus.

Der Nachbar soll nicht ins eigene Bad schauen können

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Einfamilie­nhaussiedl­ungen, wie hier in Donauwörth, sind in die Kritik geraten.

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