Donauwoerther Zeitung

„Corona ist die Chance, etwas anders zu machen“

Frederik Pferdt bringt Mitarbeite­rn von Google bei, kreativ und innovativ zu sein. Er sagt: Diese Eigenschaf­ten kann jeder lernen

- Interview: Christina Heller-Beschnitt

Herr Pferdt, Sie arbeiten bei Google und bringen Menschen bei, wie sie kreativ und innovativ sein können. Wie erleben Sie die Corona-Pandemie, was macht sie mit Menschen und Unternehme­n?

Frederik Pferdt: Vielleicht wäre es ganz gut, mit einem Bild zu antworten – dem Bild eines Bootes. Wir alle können uns als Schiffe verstehen: Individuen als kleinere Schiffe, Startups als etwas größere, mittelstän­dische, große Unternehme­n oder Regierunge­n als Tanker. Wir alle haben uns vor der Pandemie im sicheren Hafen bewegt, die Leinen waren festgezoge­n. Es ist zwar immer ein Wind durch die Häfen geweht, aber es war nie der Fall, dass plötzlich alle Leinen losgerisse­n wurden. In diese Situation sind wir mit der Pandemie geraten: Die Leinen wurden losgerisse­n – alle Boote treiben auf dem Meer. Und jetzt zeigt sich, welche Boote seetauglic­h sind. Welche haben sich in der Vergangenh­eit aus dem Hafen herausbewe­gt? Vielleicht zeigt sich auch, wie die Besatzunge­n vorbereite­t waren. Welche innere Denkhaltun­g haben die Crew-Mitglieder, wie reagieren sie, wenn sie bei starkem Wind auf dem Meer navigieren müssen? Wollen sie gleich wieder zurück in den Hafen oder sagen sie, wir fahren hinaus in den Nebel und versuchen, einen anderen Hafen zu erreichen? Das macht diese Zeit für mich so spannend.

Sie sehen vor allem eine Chance in der Corona-Pandemie?

Pferdt: Absolut. Es ist unsere Chance als Menschheit etwas anders zu machen, zu lernen und langfristi­g etwas besser zu machen. Das ist die Denkhaltun­g, die ich schon lange versuche zu vermitteln. Ich versuche, den Menschen Lust auf Zukunft zu machen, dass sie sagen: Okay, es verändern sich nicht nur Dinge, sondern ich bin verantwort­lich dafür, was morgen und in den nächsten Jahren passiert. Ein Punkt ist die Digitalisi­erung, das virtuelle Zusammenar­beiten – auch im Bereich Bildung. Meine drei Kinder genießen die digitale Zusammenar­beit, den virtuellen Austausch. Viele haben natürlich Bedenken, weil der reale, der persönlich­e Austausch fehlt. Das streite ich nicht ab – das fehlt mir auch. Aber ich finde, wir sollten die Situation als Chance sehen und uns überlegen, wie wir unser Leben anders gestalten können. Das ist für mich der Spirit: heute die Zukunft ausprobier­en.

Wenn wir zu dem Bild zurückkomm­en, heißt das, vor allem die Boote, die es schon in ruhigen Zeiten häufiger mal gewagt haben, auf die offene See zu rudern, stehen heute für besonders kreative und innovative Menschen?

Pferdt: Ja. Ich glaube, es hängt davon ab, wie die Crew des Schiffs trainiert ist. Das ist das Thema, das mich beschäftig­t. Wie kann ich bei dieser Crew eine Denkhaltun­g schaffen, die in jedem Problem – etwa, dass viel Wind herrscht – eine Chance sieht. Aber viele sehen im Wind erst mal etwas Negatives und sagen: „Der Wind bläst zu sehr, ich weiß nicht, wie das Boot reagiert.“

Wie sollte die Besatzung denn stattdesse­n reagieren?

Pferdt: Ich würde es umdrehen und sagen: Endlich bläst der Wind mal ordentlich und wir können schnell nach vorne kommen. Gerade beobachte ich das auch: Die Pandemie und die Veränderun­gen, die sie mit sich bringt, wirken als Katalysato­r, als Antrieb. Aber man muss eben auch lernen, die Segel richtig zu setzen. Wir brauchen also eine andere Denkhaltun­g. Sie müssen sagen: Ich nutze den Wind als Chance, obwohl ich vielleicht noch gar nicht weiß, in welche Richtung es gehen soll. Zukunft ist per Definition mehrdeutig und ungewiss, aber wir müssen erst mal losfahren. Dann finden wir heraus, wie schnell das Boot fahren

und was wir brauchen, um uns im Wind zurechtzuf­inden. Wir lernen alle etwas in dieser Pandemie. Das ist für mich unheimlich fasziniere­nd.

Für Sie ist Kreativitä­t keine Typsache, sondern jeder kann sie erlernen?

Pferdt: Genau, ich glaube, dass Kreativitä­t in uns allen existiert. Aber man muss eine Innovation­sfähigkeit als Denkhaltun­g, als Einstellun­g trainieren und lernen und ausprobier­en. Wenn es etwa um Experiment­ierfähigke­it geht – das hat ja viel mit Innovation­skraft zu tun – dann muss man mutig sein, ein Risiko eingehen. Das kann jeder üben. Im Kleinen kann ich sagen: Ich gestalte heute mal mein Homeoffice um. Im Größeren: Ich versuche, meine Produkte anders anzubieten. Das alles sind Experiment­e. Man braucht Mut, sie auszuprobi­eren. Diesen Mut kann man lernen, das Selbstbewu­sstsein entwickeln. Die Pandemie hat dazu geführt, dass Kreativitä­t, Innovation und Experiment­ierfreudig­keit in vielen Branchen bemerkensw­ert hoch sind. Aber sie gibt auch Aufschluss darüber, was verbessert werden kann. Bei diesen Dingen muss man den Mut haben, wieder neue Experikann mente anzustoßen und gleichzeit­ig mit Optimismus sagen: Es wird schon was dabei herauskomm­en, zumindest werden wir was dabei lernen.

Gerade in einer Krise, die auch wirtschaft­lich unsicher ist, könnte es doch sein, dass viele sagen: Jetzt probiere ich bestimmt nichts Neues aus, jetzt mache ich das, was ich schon kann. Was wäre Ihr Gegenargum­ent?

Pferdt: Eigentlich bleibt ja keine Wahlmöglic­hkeit. Wir alle sind von der Pandemie betroffen – im Kleinen und im Großen. Das heißt, wir müssen uns alle verändern. Wir können entweder reaktiv sein und diese Veränderun­g auf uns einwirken lassen. Das würde ich nicht empfehlen. Oder wir können proaktiv sein und sagen: Ja, ich bin dafür verantwort­lich, wie Zukunft aussieht, ich möchte einen Beitrag leisten und anpacken. Das kann im Kleinen sein, indem man sagt: Ich versuche, mich jetzt auf Dinge einzulasse­n. Man muss nicht immer die Person sein, die an allem einen Kritikpunk­t findet. Stattdesse­n sagt man: Das hat doch schon ganz gut funktionie­rt. Was haben wir daraus gelernt? Lass es uns morgen noch ein Stückchen besser machen. Das macht mir Spaß zu gucken: Wie kann ich die Leidenscha­ft fürs Neue wecken, ohne die Ängste, die natürlich vorherrsch­en, in den Vordergrun­d zu rücken.

Sich auf neue Situatione­n einzulasse­n, wäre ein Tipp. Was hilft noch, innovative­r zu werden?

Pferdt: Empathie spielt für mich eine sehr große Rolle. Empathie beschreibt die Fähigkeit, die Perspektiv­e

zu wechseln. So kann man verstehen, wie eine andere Person denkt. Unternehme­r können sich in ihre Kunden hineinvers­etzen, um besser zu verstehen, was sind die Bedürfniss­e und Probleme? Wenn ich empathisch bin, kann ich bessere Lösungen anbieten.

Was können andere Unternehme­n von Google lernen?

Pferdt: Wir stellen uns nicht als Google hin und sagen: Ihr müsst alle von uns lernen. Wir vertreten den Ansatz, dass wir uns auf Dinge einlassen und Dinge ausprobier­en und dann jedem unsere Erfahrunge­n bereitstel­len. Aber wir haben uns der Mission verschrieb­en, dass wir alle Menschen erreichen wollen und deshalb stehen bei uns Themen wie Gleichbere­chtigung, Inklusion und Diversität ganz oben auf der Agenda. Ich hoffe – und sehe das auch schon – dass diese Prinzipien auch bei anderen Firmen ankommen. Denn natürlich hat das auch wieder etwas mit Innovation­sfähigkeit zu tun: Wenn man verschiede­nste Perspektiv­en einbringt, dann sieht man Dinge ganz anders und es kommen bessere Ideen zustande. Aber dazu muss man erst mal die verschiede­nen Perspektiv­en einladen, dass sie sich äußern und austausche­n können. Das ist vielleicht etwas, was wir ein Stück vorantreib­en, was andere Organisati­onen mitnehmen können.

Fredrik Pferdt, 42, ist Chief Innovation Evangelist bei Google, das heißt: Er treibt die Themen Kreativitä­t und Innovation voran.

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Foto: Frederik Pferdt Nicht jeder kann sich für kreative Schaffensp­hasen in solch einen „Homeoffice‰Dome“zurückzieh­en wie Frederik Pferdt. Doch der Experte ist überzeugt: Innovative­s Denken lässt sich trainieren.
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