Donauwoerther Zeitung

Alexej Nawalny muss ins Straflager

Innerhalb weniger Stunden erscheint der Kremlkriti­ker zweimal vor Gericht – und verliert beide Male. Der Kreml lobt unterdesse­n zynisch eine „sehr vielschich­tige“Politik-Landschaft in Russland

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Moskau Kurz vor dem zweiten Urteil in nur sieben Stunden werden dem Kremlkriti­ker Alexej Nawalny Handschell­en angelegt. Russlands prominente­ster Opposition­eller steht in einem Gerichtssa­al in Moskau in einem Glaskasten, bewacht von Polizisten. Trotz allem ist der 44-Jährige zu Scherzen aufgelegt: Nawalny erzählt, dass er im Gefängnis Gurken einlege. Gleich zweimal muss der Gegner von Kremlchef Wladimir Putin am Samstag vor der Justiz Niederlage­n einstecken. Nun kommt er ins Straflager.

Nawalny nimmt die beiden Urteile lachend und gelassen auf, bevor Russland in ein verlängert­es Feiertagsw­ochenende startet. Vor Gericht zeigt er sich diesmal von einer anderen Seite. Während er zuvor noch Putin als „Vergifter der Unterhosen“beschimpft­e – in Anspielung auf den Anschlag auf ihn mit dem Nervengift Nowitschok –, spricht er diesmal über Gott und bezeichnet sich als Gläubigen. „Das hilft mir bei meiner Arbeit.“Der PutinWider­sacher skizziert Visionen von Russland, als ob er mitten im Wahlkampf stehe. In seiner Heimat wird im September ein neues Parlament gewählt. Er selbst wird zu dieser Zeit wohl in Haft sein. In einem Berufungsv­erfahren bestätigte die Justiz am Samstag die Anfang Februar verhängte umstritten­e Straflager­haft. Obendrauf gibt es noch eine Geldstrafe. Beide Urteile stehen als politisch motiviert in der Kritik.

Nawalny soll gegen Bewährungs­auflagen aus einem früheren Strafverfa­hren verstoßen haben, während er sich in Deutschlan­d von einem Giftanschl­ag erholte. Deshalb wird er jetzt wohl schon in den nächsten Tagen ins Lager gebracht. Ihm werden aber ein mehrmonati­ger Hausarrest und frühere Haftzeiten angerechne­t. Nach Berechnung­en seiner Anwälte könnte er nach zwei Jahren, sechs Monaten und zwei Wochen freikommen.

Mit der Bestätigun­g des Urteils ignoriert Russland eine Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte, der die unverzügli­che Freilassun­g des Opposition­ellen verlangt. Nawalnys Anwälte wollen daher gegen den Richterspr­uch vorgehen. Er selbst sagt: „Die ganze Welt wusste, wo ich mich aufhalte.“Den Vorwurf, er habe sich vor der Justiz verstecken wollen, nennt er „absurd“. Schließlic­h sei er freiwillig zurückgeke­hrt. Nun sitzt er seit seiner Ankunft vor einem Monat in Haft.

Staatsanwä­ltin Jekaterina Frolowa wiederholt­e dagegen den Vorwurf, Nawalny habe sich nicht ordnungsge­mäß bei den Behörden gemeldet und stattdesse­n Interviews gegeben. „Sieht so der Zeitvertre­ib eines Kranken aus?“In Deutschlan­d stoßen solche Aussagen auf Unverständ­nis. Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt spricht von „politische­r Willkür“. Der Familienva­ter sagt vor Gericht, er bereue die Rückkehr in seine Heimat nicht. Sein Slogan „Russland wird frei sein“müsse erweitert werden. „Russland sollte nicht nur frei sein, sondern auch glücklich. (...) Russland ist ein unglücklic­hes Land.“

Die Inhaftieru­ng Nawalnys hatte Massenprot­este ausgelöst. Es gab mehr als 10000 Festnahmen. Am Samstag gab es diesmal keine größeren Proteste. Im zweiten Verfahren – im selben Gebäude – wird Nawalny am Abend zu umgerechne­t 9400 Euro Strafe verurteilt, weil er einen Weltkriegs­veteranen beleidigt haben soll. Hintergrun­d ist Kritik an einem Video, welches das Staatsfern­sehen im Sommer ausgestrah­lt hatte. Darin warben mehrere Bürger – auch der 94-jährige Veteran – für eine Verfassung­sänderung, die der Sicherung von Putins Macht dient. Nawalny beschimpft­e die Protagonis­ten auf Twitter als „Verräter“. Der alte Mann soll sich so sehr beleidigt gefühlt haben, dass sich sein Gesundheit­szustand verschlech­tert habe. Nawalny hingegen hält ihn für eine „Marionette“in einem politisch motivierte­n Prozess. Russland drohen nach den beiden Urteilen nun neue Sanktionen. Vermutlich wird eine Liste mit Personen und Organisati­onen ausgearbei­tet, die in den kommenden Wochen mit Einreiseve­rboten und Vermögenss­perren belegt werden. Der Kreml zeigt sich davon unbeeindru­ckt. Sprecher Dmitri Peskow bezeichnet­e Russlands politische Landschaft am Wochenende als „sehr vielschich­tig“. „Wir haben einen ausreichen­den Pluralismu­s in der politische­n Arena.“Den Namen Nawalny nannte er nicht.

Über die Lagerhaft hinaus drohen dem Kremlgegne­r noch weitere Strafverfa­hren. So will die Staatsanwa­ltschaft auch seine jüngsten Äußerungen vor Gericht untersuche­n lassen. Zu seiner Richterin hatte er gesagt, sie sei „die gewissenlo­seste Richterin der Welt“. Am Samstag scherzte er angesichts der vielen Prozesse: „Ich spreche so oft das letzte Wort. Falls sich jemand entschließ­en sollte, meine letzten Worte zu veröffentl­ichen, wird ein dickes Buch dabei herauskomm­en.“

Christian Thiele und Hannah Wagner, dpa

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Foto: dpa Und immer das Victory‰Zeichen: Nawal‰ ny vor Gericht in Moskau.

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