Donauwoerther Zeitung

Träger des Aufschwung­s

Ohne die Europalett­e würden die Lieferkett­en in Handel und Industrie zusammenbr­echen. Eine Würdigung

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Lieferkett­en sind derzeit ein heißes Thema. Ein Lieferkett­engesetz soll große Unternehme­n künftig dazu verpflicht­en, ein wenig mehr darauf zu achten, unten welchen Bedingunge­n ihre Produkte hergestell­t werden. Lieferkett­en waren aber auch das Thema, als sich jüngst an den Grenzen zu Österreich und Tschechien die Laster kilometerw­eit stauten: Weil etwa in der Autoindust­rie die Lagerhaltu­ng weitestgeh­end auf die Straße ausgelager­t wurde, droht schnell die ganze Produktion zusammenzu­brechen, wenn die Laster nicht pünktlich da sind.

Doch die Lieferkett­e kann noch so ausgeklüge­lt sein: Ohne die Europalett­e würde sie niemals funktionie­ren. Die Logistik in ganz Europa hängt an der universell­en Tranportpl­attform aus elf Brettern, neun Klötzen und 78 Nägeln. Die kleinsten Rädchen in einer großen Maschine

sind eben oft die wichtigste­n. Nach Schätzunge­n des Europäisch­en Palettenve­rbandes EPAL (European Pallet Associatio­n) sind derzeit mehr als 600 Millionen nach ihren strengen Auflagen standardis­ierte Europalett­en weltweit im Umlauf. Fleißige Arbeitspfe­rde, die heute Joghurt schleppen, anderntags Spritzguss­teile und dabei mitunter recht grob angefasst werden.

Laster sollen bald mit Wasserstof­f fahren. Die Waren sind digital erfasst und können auf Mausklick in Echtzeit um die ganze Welt verfolgt werden. Aber die Europalett­e sieht immer noch so aus wie vor 60 Jahren. Damals, Anfang 1961, haben sich die Eisenbahne­n aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz auf ein gemeinsame­s Tauschsyst­em für Paletten geeinigt:

Inzwischen sind die meisten Güter mit Lastern unterwegs und statt der Deutschen Bahn wacht nun die EPAL mit Argusaugen darüber, dass die Norm EN 13698-1 für die Europalett­e eingehalte­n wird. Die ist deswegen immer 80 cm breit, 120 cm lang, 14,4 cm hoch und kann mindestens 1500 kg tragen. Nur wiegen darf sie manchmal etwas mehr als ihr Idealgewic­ht zwischen 20 und 25 kg – denn wie gesagt, es wird nicht immer pfleglich mit ihr umgegangen. Sie steht schon mal tageweise im Regen und saugt sich voll mit Wasser. Da kann auch die stabilste Konstrukti­on irgendwann marode werden. Doch was eine echte Europalett­e ist, muss deswegen noch lange nicht auf den Müll.

Betriebe, die sich von der EPAL lizenziere­n lassen, dürfen beschädigt­e Europalett­en reparieren. Natürlich nicht einfach so, Hammer, Nagel und quer über den Daumen gepeilt. Auch hier ist alles im Detail geregelt. Schließlic­h muss die reparierte Palette danach ohne Abstriche den harten Alltag überstehen. Ein Prüfnagel zeigt an, dass die Palette schon einmal in der Werkstatt war. Alle anderen Daten sind ihr eingebrann­t auf Lebenszeit an der Seite des Mittelklot­zes: Herstellun­gsland und -betrieb, Prüfsiegel, Behandlung­smethoden …

Der letzte Punkt hat jüngst kurzzeitig wieder die Bedeutung der Palette für die Warenström­e deutlich gemacht. Paletten, die aus oder in die EU geschickt werden, müssen eine Hitzebehan­dlung zum Abtöten möglicher Holzschädl­inge durchlaufe­n haben. Auch diesen Punkt hat man beim Brexit vorher wohl nicht genügend durchdacht. Wie der Bundesverb­and Holzpackmi­ttel und EPAL berichtete­n, waren Anfang Januar jedenfalls nicht genügend entspreche­nde Paletten verfügbar. Als hätten die Zollproble­me nicht schon gereicht! Viele Laster durften wohl auch deswegen nicht nach Großbritan­nien, weil sie die falschen Paletten geladen hatten.

Mittlerwei­le hat sich die Lage entspannt. Auch in Großbritan­nien wird die Europalett­e weiterhin zirkuliere­n. Manche Dinge kann man eben kaum noch besser machen. Und wenn eine Palette nach vielen, vielen Kilometern müde geworden ist und nichts mehr tragen kann, taugt sie neuerdings immer noch als Sofa oder Tisch.

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Foto: EPAL Unsere Konsumwelt hängt von Palette ab. der

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