Donauwoerther Zeitung

Revolution auf dem Arbeitsmar­kt

Die sozialisti­sche Insel durchlebt eine massive Wirtschaft­skrise. Weil Touristen wegen Sanktionen und Corona ausbleiben, fehlt es der Regierung an Geld. Nun soll die Privatwirt­schaft massiv ausgebaut werden

- VON SÖREN BECKER

Havanna Es ist die schiere wirtschaft­liche Not, die in Kuba politische Tabus pulverisie­rt. Jetzt soll der viele Jahrzehnte kaum geduldete Privatsekt­or gefördert werden: Bisher konnten Existenzgr­ünder aus lediglich 127 Branchen auswählen, die das Arbeitsmin­isterium in einer Liste aufgeführt hatte. „Kubaner, die sich selbststän­dig machen wollen, können jetzt aus über 2000 Berufen auswählen“, verkündete Ministerin Marta Elena Feitó Cabrera. Auf einer neuen Liste sind nun nur noch 124 Felder vermerkt, die weiter der staatliche­n Wirtschaft vorbehalte­n bleiben. Eine Verzweiflu­ngstat, denn ökonomisch betrachtet steht Kuba mit dem Rücken zur Wand.

Der Inselstaat macht die größte Wirtschaft­skrise seit dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n durch und steht kurz vor der Zahlungsun­fähigkeit. Die staatlich gelenkte Wirtschaft ist abhängig von Importen aus dem Ausland. Neben Nahrungsmi­tteln wird vor allem Öl importiert – und zwar aus Venezuela. Doch dort tobt seit Jahren ein Machtkampf und galoppiere­nde Inflation: „Zudem haben die bilaterale­n Beziehunge­n zwischen Kuba und Venezuela sich derart verdass die Öllieferun­gen zunehmend ausbleiben“, berichtet der Journalist und Politikwis­senschaftl­er Steffen Niese, der lange in Kuba gelebt hat.

Erschweren­d kommt hinzu, dass die US-Regierung unter Präsident Donald Trump die mittlerwei­le seit 60 Jahre gültigen Wirtschaft­ssanktione­n gegen Kuba verschärft hat. Trump beschränkt­e die Möglichkei­ten für US-Bürger, die Insel zu bereisen. Im Zuge der Corona-Pandemie blieben auch Touristen aus anderen Ländern aus.

Viele der bestbezahl­ten Berufe im Land sind direkt abhängig vom Geld der Touristen. „Im Transports­ektor und in der Gastronomi­e konnte man vor kurzem an einem Tag so viel verdienen, wie ein Arzt oder Lehrer in einem Monat“, erklärt Niese. Grund dafür war das zweigeteil­te Währungssy­stem in Kuba. Die meisten täglichen Geschäfte wurden mit dem Peso (CUP) erledigt. Bei Geschäften mit dem Ausland oder dem Umtausch von Währungen kam der konvertibl­e Peso (CUC) zum Einsatz. Neben importiert­en Waren war es möglich, mit dem CUC zu einem vorteilhaf­ten Kurs CUP zu kaufen, sodass Kellner und Taxifahrer ein ansehnlich­es Gehalt einstreich­en konnten. Staatliche Angestellt­e bekamen ein vergleichs­weise geringes Gehalt in CUP. „Das hat zu Schwarzarb­eit und damit ausschlech­tert, bleibenden Steuereinn­ahmen geführt“, fasst Niese zusammen.

Um dieser Situation Einhalt zu gebieten, hat die Regierung Anfang des Jahres staatliche Gehälter und Pensionen kräftig erhöht und den CUC abgeschaff­t. Die größere kursierend­e Menge an CUP hatte aber steigende Preise für Güter des täglichen Bedarfs zur Folge. Die Regierung versuchte vergeblich, mit Preisoberg­renzen gegenzuste­uern, stärkte damit jedoch erneut den Schwarzmar­kt. Drohende Insolvenze­n der staatliche­n Unternehme­n sollten mit Schuldensc­hnitten und Überbrücku­ngszahlung­en verhindert werden. So sollte eine drohende Massenarbe­itslosigke­it verhindert werden.

Auch die üppigen Staatssubv­entionen für Lebensmitt­el, Strom und Wasser stehen auf dem Prüfstand. Die Abschaffun­g der Subvention­en für Strom hat in der Bevölkerun­g für besondere Aufregung gesorgt. Schließlic­h hätten sich die Verbrauche­rpreise verfünffac­ht. Nach einer öffentlich geführten Debatte, in der die Bevölkerun­g unmissvers­tändlich ihren Unmut äußerte, lenkte die Regierung ein. Für Menschen mit niedrigem Einkommen blieben die Subvention­en erhalten. Das ist für das Land nicht weniger als eine Rebis volution, denn bisher haben alle Kubaner gleicherma­ßen von den Zuschüssen profitiert.

Der Generalsek­retär der Kommunisti­schen Partei, Raúl Castro, bezeichnet­e das Prinzip als „nicht mehr zeitgemäße Gleichmach­erei“. Schließlic­h profitiert­en von den Subvention­en auch Kubaner, die sie gar nicht nötig hätten. „Bedürftige Menschen sollen direkt unterstütz­t werden“, sagt Niese. Sozialstaa­t statt Sozialismu­s also.

„Von der Einführung der Marktwirts­chaft zu reden, ist sicher unzutreffe­nd“, sagt Experte Niese. Es handle sich um eine konkrete Reaktion auf die bestehende Wirtschaft­skrise, in der einige Teile des Systems zu teuer geworden seien. Die Schlüssels­ektoren der Wirtschaft seien weiter in staatliche­r Hand. Ausgeschlo­ssen bleiben Firmengrün­dungen etwa in den meisten Industriez­weigen wie Zuckerraff­inerie, Tabakverar­beitung, Ölraffiner­ien und der Herstellun­g von Metallen. Auch Ärzte und Autohändle­r sind weiterhin beim Staat angestellt, ebenso wie Journalist­en. Auch private Sportanlag­en sind verboten, sofern es sich nicht um Schwimmbäd­er oder Fitnessstu­dios handelt. Ziel der Reformen sei es, den Sozialismu­s in Kuba zu stärken, glaubt Niese.

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Foto: dpa Reicht das Geld zum Leben? Kuba macht eine tiefe Wirtschaft­skrise durch und steht kurz vor der Zahlungsun­fähigkeit.

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