Warum das Schachspiel boomt
In einer Netflix-Serie schauen Millionen Menschen einer jungen Frau beim Schachspielen zu. Den Zulauf, den die Sportart gerade erlebt, kennen Vereine in der Region schon länger. Was langjährige Spieler Neulingen raten
Donauwörth Das gab es noch nie: Eine erfundene Person wird zur Galionsfigur eines weltweiten Trends. Elizabeth Harmon ist ein Waisenkind, sie ist drogenabhängig und am Schachbrett fast unschlagbar. Als Außenseiterin besiegt sie einen Gegner nach dem anderen, bis sie schließlich auf einem Turnier in der Sowjetunion ihre sportliche Karriere krönt. Millionen Menschen schauen ihr dabei zu, sind fasziniert von ihrem Talent und ihrer Persönlichkeit. Dabei ist Harmon bloß eine Erfindung, ausgedacht von den Produzenten des Streamingdienstes Netflix.
Auf der Onlineplattform läuft seit wenigen Monaten die Serie „Das Damengambit“, die die fiktive Geschichte Harmons erzählt. Spätestens seit Erscheinen der Erfolgsproduktion häufen sich die Geschichten von Massenbestellungen an Schachbrettern und ständigen Klicks auf die Schach-Seite der Internet-Enzyklopädie Wikipedia. Aber wenn man Christian Spatz fragt, ist das gar nichts Neues. Der Serienerfolg hat den Schachtrend sichtbar gemacht, doch für Spatz ist er schon lange in Gange.
Spatz leitet die Schach-AG am Gymnasium in Donauwörth, zudem ist er Spielleiter der Schachabteilung in der Sportgemeinschaft von Airbus Helicopters. Der Verein nimmt auch Spieler auf, die wie Lehrer Spatz nicht beim Unternehmen beschäftigt sind. „Schon seit zehn Jahren ist der Zulauf in der Unterstufe besonders groß“, sagt Spatz über seine AG. Der Zulauf könnte in der nächsten Zeit weiter an Fahrt aufnehmen, denn dass die Netflix-Serie den Trend noch beschleunigen könnte, hält der Lehrer durchaus für möglich. „Die ist wirklich gut gemacht“, sagt er. Besonders gefällt ihm, wie spannend die Schachspiele inszeniert werden – und so viele vom Gegenteil überzeugen könnten, die Schach für langweilig hielten.
Doch bevor sich der Zulauf in der Schach-AG am Gymnasium zeigen kann, müssen die Spieler das Ende des Lockdowns abwarten. In der ruhen die Schachfiguren momentan. Man könne auch online spielen, sagt Spatz, Partien zwischen Schülern habe er jedoch keine organisiert. „Dafür kam der Lockdown etwas zu plötzlich“, berichtet er. Spatz erwartet beinahe, dass nach Ende der Pandemie viele Schüler, die mit dem Schachspielen begonnen haben, nicht mehr im Team seien. Doch damit würde Corona nicht einmal eine Zäsur darstellen. Denn dass Neulinge nach wenigen Monaten ihre Bauern und Könige wieder tief im Schrank verstauen, sei schon länger zu beobachten, erzählt Spatz. Früher seien Teams noch länger zusammengeblieben, weshalb das Gymnasium auf eine erfolgreiche Schachtradition zurückblickt. 2010 holte das Mädchenteam Platz zwei bei der bayerischen Meisterschaft. Teams aufrecht zu erhalten, sei heute schwieriger geworden, sagt Spatz. Doch er verstehe, dass einigen Schülern zuweilen die Zeit fehle, mehrere Hobbys gleichzeitig zu verfolgen.
Wichtig sei es, einige Spielpartner zu haben, mit denen man sich regelmäßig messen könne. „Das erleichtert es enorm, die Motivation hochzuhalten“, sagt Spatz. Auch könne man Computerprogramme nutzen, mit denen man verschiedene Schachvariationen ausprobieren kann. Diese könnten eine Abwechslung zum traditionellen Schachspiel sein.
Hubert Renelt empfiehlt Neulingen ein gutes Buch. „Es gibt sehr viel Schachliteratur“, sagt der Vorsitzende des Schachclubs Bäumenheim. Diese erleichtere den Einstieg ins Spiel enorm.
Auch den Bäumenheimer Verein setzt die Pandemie aktuell Matt. In der Kreisliga Nordschwaben ist er eigentlich Rivale von Spatz’ Team von Airbus Helicopters – doch der Wettkampfbetrieb ruht seit fast einem Jahr. Und auch die internen Trainingsspiele seien seit Monaten nicht mehr möglich, wie die VerAG einsvertreter berichten. Deshalb könne er auch noch nicht abschätzen, ob sich gerade ein Schachtrend entwickle, sagt der Bäumenheimer Renelt. Er erinnert sich an die vergangene Hochzeit des Sports in den Achtzigern, als im Training in Bäumenheim wöchentlich 15 Jugendliche saßen. „In den vergangenen Jahren waren wir froh, wenn zwei oder drei Nachwuchsspieler da waren“, sagt Renelt.
Manche Spieler im Verein nutzten während der Pandemie Onlineplattformen, um zu spielen. Vielen ginge es jedoch nicht nur um das Spiel selbst. Auch Lehrer Spatz lobt die Nebeneffekte von Schach: Der Sport vermittle Werte, fördere die Konzentration und Spieler lernten, mit Sieg und Niederlage umzugehen. In Bäumenheim mache zudem die Geselligkeit einen großen Teil des Vereinslebens aus. Im Sommer hoffe man darauf, wie früher einen Abend Schach im Biergarten spielen zu können, sagt Renelt.
Bis das möglich ist, müssen sich Schachfreunde noch gedulden. Für Renelt könnte eine Beschäftigung schnell gefunden sein. Ihn faszinieren die Spiele der Großmeister. „Das ist Schach, das selbst erfahrene Spieler fast nicht verstehen können“, sagt Renelt. Voller Interesse betrachtet und analysiert er vergangene Partien. Und auch „Das Damengambit“bleibt Renelt noch: Er hat die Serie noch nicht gesehen.
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