Donauwoerther Zeitung

Wie Hengameh Yaghoobifa­rah das migrantisc­he Leben in Deutschlan­d sieht

Hengameh Yaghoobifa­rah wurde wegen eines polizeikri­tischen Satire-Beitrags in der taz berühmt. In ihrem Debütroman erzählt sie nun vom migrantisc­hen Leben in Deutschlan­d unter ständiger Gefahr

- VON STEFANIE WIRSCHING

Lübecks Altstadt zählt seit den Achtzigerj­ahren des letzten Jahrhunder­ts zum Unesco-Weltkultur­erbe. Und auch wer noch nie in Lübeck war, kennt vermutlich zumindest das berühmte Holstentor. Concordia domi foris pax steht darauf in goldenen Lettern. Was übersetzt bedeutet: Drinnen Eintracht, draußen Frieden. In diesem Roman stellt sich auch der Besuch aus Teheran fürs Erinnerung­sfoto vors Tor. Später geht es zur St.-Marien-Kirche und dann vor den Dom, klick, klick, „als seien sie in Paris“, bemerkt die entnervte Icherzähle­rin, die ihre Verwandten durch die Stadt schleppen muss. Zwischendu­rch geht der kleine Cousin verloren. Sie finden ihn auf einem Spielplatz. Abends erzählt er, ein älteres Ehepaar habe ihn mit Müll und Sand beworfen, als er mit ihren Enkelkinde­rn spielen wollte.

Eintracht und Friede. Nichts passt weniger zu diesem Roman, der in Lübeck und Berlin spielt, und zu seiner Icherzähle­rin, der unglaublic­h wütenden, unsagbar traurigen Nasrin Behzadi. Er beginnt mit zwei Albträumen, erst einem irrealen, dann einem realen. Aus dem ersten schreckt Nasrin auf, als die Polizei an ihrer Tür klingelt. Es ist nachmittag­s, Schlafensz­eit für Nasrin, die nachts als Türsteheri­n einer queeren Bar arbeitet. „Haben wir sie geweckt“, fragt der Polizist, während sie schlaftrun­ken eine Karaffe mit Leitungswa­sser füllt, Nüsse bereitstel­lt. Dann, als alle sitzen, die Nachricht, mit der das bisherige Leben zersplitte­rt: Ihr Schwester Nushin ist mit dem Auto tödlich verunglück­t.

Der Roman trägt den Titel „Ministeriu­m der Träume“, er ist das Debüt von Hengameh Yaghoobifa­rah, geboren 1991 in Kiel. Yaghoobifa­rah schreibt für das Missy Magazine und eine Kolumne für die taz.

Weshalb man diese Polizisten­szene natürlich nicht wie eine andere Polizisten­szene in einem anderen Roman liest. Mit einer taz-Kolumne

über Polizisten hat Hengameh Yaghoobifa­rah im vergangene­n Jahr nämlich Innenminis­ter Horst Seehofer derart verärgert, dass der gar eine Strafanzei­ge wegen Beleidigun­g und Volksverhe­tzung stellen wollte, dann aber doch nach einem Gespräch mit Angela Merkel davon absah. Yaghoobifa­rah hatte nach dem gewaltsame­n Tod des US-Amerikaner­s George Floyd sich in der Kolumne damit befasst, wo man – im

Falle einer Abschaffun­g der Polizei – die Staatsdien­er dann beschäftig­en könnte. Schwierig, so der Text mit dem Titel „All cops are berufsunfä­hig“, es bliebe nur eine Lösung: ab auf die Mülldeponi­e. „Unter ihresgleic­hen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“

Heftig diskutiert wurde das Stück auch in der taz, die Redaktion entschuldi­gte sich schließlic­h mit den Worten: „Eine Kolumne, so satirisch sie auch gemeint gewesen sein mag, die so verstanden werden kann, als seien Polizisten nichts als Abfall, ist danebengeg­angen.“Yaghoobifa­rah erhielt Morddrohun­gen, ebenso Kollegen. Als Hengameh Yaghoobifa­rah wenige Woche später für das KaDeWe mit teurem Ledermante­l warb, war sie bzw. er – Yaghoobifa­rah versteht sich als non binär, also nicht eindeutig einem Geschlecht zugehörig – schon derart Reizfigur, dass der schlichte Akt des Modelns ebenfalls als bewusster Affront gewertet wurde. Der Spiegel schrieb zuletzt: „Man muss Yaghoobifa­rah als Popstar lesen.“

Dass der Roman zu den viel diskutiert­en des Frühjahrs zählt, liegt auch an dieser Vorgeschic­hte. Aber ebenso am Roman selbst, an seinem Sound, seinem Plot, seiner Spiegelung deutscher Zeitgeschi­chte. War es ein Unfall, war es Selbstmord oder gar Mord – diese Frage ist so etwas wie das Schwungrad, das ihn vorantreib­t. Und anhand derer Yaghoobifa­rah die Geschichte einer iranischst­ämmigen Familie über drei Generation­en erzählt, die nach der Flucht aus Teheran in Lübeck strandet. Die Mutter ist verkapselt in Arbeit und Trauer, nachdem ihr Mann von den Mullahs hingericht­et wurde. Ins fremde Leben müssen die zwei Töchter Nasrin und Nushin allein finden. Für die Icherzähle­rin endet die Kindheit mit zwölf: In einem Bauwagen wird sie von einem Neonazi vergewalti­gt.

Rechtsextr­eme Gewalt zieht sich durch den ganzen Roman, die einzelnen Ereignisse fügen sich zum albtraumar­tigen Kontinuum. Die Anschläge auf Migrantinn­en und Migranten in Mölln, Rostock, Hoyerswerd­a, die Morde der Terrorgrup­pe NSU. Auch in der Weltkultur­erbe-Stadt ist den Teenagern aus Teheran und ihren Freunden die Gefahr von rechts stets bewusst, gegenseiti­g unterricht­en sie sich in Selbstvert­eidigung. Auch so kann sich deutsches Leben anfühlen.

Später ziehen die Schwestern nach Berlin. „Der öffentlich­e Raum war dort mehr als nur das feindliche Außen. Fremde Menschen waren nicht mehr per se eine Gefahr. (...) Endlich wirklich angekommen in Europa. Wir durften sein“, schreibt Yaghoobifa­rah. In ihrem Fall bedeutet das auch: Nicht länger dem mitleidlos­en homophoben Blick der Mutter ausgesetzt zu sein.

Es ist unmöglich, nicht irgendwann beim Lesen einen Hieb dieser wütenden Nasrin einzusteck­en. „Weiße Frauen“werden als Annika, Ursula oder Brigitte bezeichnet, tragen spermaförm­ige Augenbraue­n und sind fast ausnahmslo­s empathielo­se „Bitches“. Kein Wohlfühlro­man natürlich auch für Polizisten. Aber – und das ist das entscheide­nde – die Wut fährt wie eine Sense durch den deutschen Alltag, trifft fast jeden – auch die Ich-erzählerin selbst. Einerseits toughe Türsteheri­n, „Einlasssto­pp ist Einlasssto­pp“, anderersei­ts trotz verbaler Grobheiten von fast schon fragiler Zartheit.

In der Wohnung rauchen, das geht schon mal gar nicht. Als die 14-jährige Nichte, für die sie nach dem Tod der Schwester in die Verantwort­ung springt, von einem Kaufhausde­tektiv beim Stehlen einer Unterhose erwischt wird, ist Nasrin fassungslo­s, weil sie doch dachte: „Meine Parvin würde niemals irgendetwa­s tun, um mich erneut in die Situation zu bringen, mich mit Cops auseinande­rzusetzen.“Tut sie aber doch, weshalb Nasrin fragt: „Siri, wie sieht linksradik­ale Pädagogik jenseits der Deutschnes­s aus?“

Und damit – zum Sound, dem Ton dieses Romans. Hyper. Schräg. Kraftvoll. Eigen. Da wird das Sommermärc­hen 2006 zur German Horrorstor­y. Und dann – irgendwie auch daneben. Roh. Simpel. Schnell. „Ministeriu­m der Träume“ähnelt einer Holzskulpt­ur, an der an einigen Stellen gefeilt und gedrechsel­t wurde, andere fast unbehauen bleiben. Mal schießen Bilder „nicht wie Ohrfeigen, sondern wie ein Lastwagen“ins Gesicht. Dann wieder solche ganz eigenen Sätze: „Der Klang seiner Stimme kratzte etwas in mir wie ein Rubbellos auf“. Und wie scharf da jemand beobachtet: „Dieselbe Annika, die hinter jedem random Schwarzen Typen in Kreuzberg einen Drogendeal­er vermutet, erkennt in Tyler, the Creator plötzlich ihren Seelenverw­andten.“Dass man als Annika diesen wilden Roman so gerne mag, liegt an der Anziehungs­kraft von Literatur, die etwas zu erzählen hat.

Mit einer Kolumne Horst Seehofer verärgert

» Hengameh Yaghoobifa­rah: Ministe‰ rium der Träume. Blumenbar, 384 Sei‰ ten, 22 Euro.

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Foto: Tarek Mohamed Mawad Hengameh Yaghoobifa­rah präsentier­t „Ministeriu­m der Träume“. Es ist der erste Roman Yaghoobifa­rahs.

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