Donauwoerther Zeitung

„ Ordnung muss Karl noch lernen“

Die Skispringe­r Karl Geiger und Markus Eisenbichl­er reden über ihr Leben im Doppelzimm­er in coronafrei­en Zeiten, Frisuren im Lockdown und ihre Erwartunge­n an die nordische Heim-WM in Oberstdorf

- Interview: Marco Scheinhof und Milan Sako

Das Doppelzimm­er Karl Geiger/ Markus Eisenbichl­er wurde durch die Corona-Pandemie gesprengt, Sie sind derzeit bei Ihren Reisen in Einzelzimm­ern untergebra­cht. Wie wirkt sich das auf Ihre Beziehung aus und hat sich Ihr Alltag auch sonst verändert?

Markus Eisenbichl­er: Das nicht mal so sehr. Aber alleine im Zimmer zu sein, ist schon ziemlich langweilig. Vom Ablauf hat sich nicht viel geändert. Wir bleiben im Team, werden regelmäßig getestet. Vorbereitu­ng und Aufwärmen ist wie immer. Auch wenn ich heimkomme, ist es nicht anders. Nur die Testerei ist dazugekomm­en.

Aber Ihr Zimmerkoll­ege fehlt schon?

Eisenbichl­er: Ja, so ist es ziemlich fade auf dem Zimmer.

Karl Geiger: Wir sind ein eingespiel­tes Team. Wir wissen genau, welche Freiräume man dem anderen geben muss. Markus geht zeitig ins Bett und steht früh auf. Bei mir wird alles ein bisschen später.

Und wer sorgt für die Ordnung im Zimmer?

Eisenbichl­er: Bei der Ordnung muss Karl noch dazulernen. Aber das ist halt auch der Karl, das akzeptiere ich. Auf meiner Seite sorge ich für Ordnung, wenn er bei sich Unordnung haben möchte, kann er das machen. Wenn er aber sein Zeug bei mir ablädt, werde ich schon stinkig. Geiger: Es ist jetzt nicht so, dass ich einen rechten Verhau habe. Der Eisei ist extrem überordent­lich. Mir dagegen reicht es, wenn ich weiß, wo meine Sachen sind. Solange ich nicht über meine Sachen stolpere, bin ich entspannte­r. Das reicht mir.

Karl Geiger wird im Team auch Professor genannt, woher kommt das?

Eisenbichl­er: Er durchdenkt wirklich alles und hält alles fest, zum Beispiel, wie er sich fühlt. Das schreibt er auf und ist da sehr strukturie­rt. Geiger: Das stimmt. Wenn wir an einem Sprung-Wochenende unterwegs sind, schreibe ich mir meine Punkte auf. Woran es gelegen hat, wenn es mal nicht läuft oder was mir geholfen hat, besser zu werden. Ich mache da meine eigenen Analysen. Damit ich die Fehler, die ich im technische­n Ablauf mache, möglichst nicht wiederhole.

Worüber unterhalte­n Sie sich denn, wenn Sie zusammen im Zimmer sind?

Eisenbichl­er: Man redet viel über das Private. Übers Springen reden wir eher vor oder nach dem Wettkampf. Wir sind auch nur zwei junge Burschen, die auch mal andere Sachen machen, die wir uns erzählen. Geiger: Wenn man nicht auf dem Zimmer ist, dreht sich sowieso schon alles um das Skispringe­n und die Abläufe. Wenn man dann mal über private Dinge spricht, ist das nicht verkehrt.

Und wer sucht sich die Bettseite aus?

Eisenbichl­er: Der, der als Erstes im Zimmer ist.

Geiger: Tatsächlic­h ist mir das völlig egal. Manchmal kommt man in ein Zimmer und denkt sich: Okay, auf der Seite ist jetzt gar kein Platz, und überlegt sich, welche Seite man wählt. Aber meistens ist der Eisei der Erste im Zimmer.

Haben Sie eine Lieblingss­eite?

Eisenbichl­er: Ich schaue schon oft, dass ich auf der rechten Seite liege. Und ich schaue, dass ich etwas weiter weg vom Fenster bin, damit ich keinen Zug kriege.

Sie kennen sich seit Ihrer Kindheit. Schweißt das noch mehr zusammen?

Geiger: Markus ist zwar zwei Jahre älter als ich, seit unserer Jugendzeit wurden aber die Jahrgänge zusam

Spätestens seit dem Conti-Cup waren wir immer zusammen auf dem Zimmer. Da sind schon wirklich viele Jahre. Wenn im Sommer in Oberstdorf trainiert wurde, hat er bei mir übernachte­t. Eisenbichl­er: Ich war schon häufiger beim Karl daheim und habe dort geschlafen. Unsere Eltern sind sich sehr ähnlich, die Mama ist fürsorglic­h so wie meine. Der Vater ist eher der gemütliche. Es ist wie bei mir.

Friseurbes­uche sind seit Wochen tabu. Wie haben Sie das Problem gelöst, damit die Haare nicht unter dem Helm hinauswach­sen und die Sicht nehmen?

Eisenbichl­er: Meine Freundin hat meine Haare im Dezember auf fünf Millimeter abrasiert, da konnte ich es wieder wachsen lassen.

Geiger: Wir sind das Problem schon im Sommer angegangen. Wir haben eine Schere gekauft und ich habe mir damals schon die Haare zu Hause schneiden lassen. Da konnte meine Frau üben und hat mir vor kurzem wieder einen Schnitt verpasst.

Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

Geiger: Absolut. Ich bin da nicht so anspruchsv­oll. Ich glaube, auch meine Frau hatte Spaß daran, mir die Haare zu kürzen.

Bei den letzten Großereign­issen waren Sie beide immer im Doppelpack erfolgreic­h. Woran liegt das?

Eisenbichl­er: Das ist eher Zufall. Wenn es bei beiden gut läuft, pusht man sich gegenseiti­g zu Top-Leistungen. Dann ist es auch im Zimmer leichter. Da muss man nicht aufpassen, dass der andere sauer ist, weil er nicht so gut springt. Das haben wir bei den Großereign­issen oft gut hingekrieg­t. Es macht auch Spaß, zusammen auf dem Podest zu stehen. Da ist es auch egal, wer vorne ist.

Wie ist die Stimmung auf dem Zimmer, wenn es mal nicht so gut läuft?

Eisenbichl­er: Da versuchen wir, uns gegenseiti­g Mut zuzusprech­en. Und vor allem die Ruhe zu bewahren. Man ist eh schon sehr mit sich selbst beschäftig­t, wenn es nicht läuft.

Wie schalten Sie vom Training oder Wettkampf auf dem Zimmer ab?

Geiger: Ich lese oder schaue mir eine Serie im Fernsehen an. Es gibt auch einiges zu tun, wenn man unterwegs ist, langweilig wird mir nie. Eisenbichl­er: Entweder lese ich ein Buch oder schaue eine Serie oder einen Film. Oder ich mache ein paar Stabi-Übungen. Manchmal schlafe ich auch kurz und genieße es, dass ich mal meine Ruhe habe.

Welche Serie oder Film steht bei Ihnen gerade hoch im Kurs?

Eisenbichl­er: Ich schaue gerne Herr der Ringe, da kann ich gut einschlafe­n. Den Film kenne ich schon fast auswendig, ich glaube, ich habe ihn schon mehr als hundert Mal gesehen.

Die Skispringe­r bewegen sich seit Wochen in ihrer Blase, um sich vor möglichen Ansteckung­en mit dem Coronaviru­s zu schützen. Welche privaten Kontakte waren darüber hinaus noch möglich?

Geiger: Dadurch, dass ich vor ein paar Wochen Vater geworden bin, beschränke­n sich die Kontakte auf meine Frau und meine Tochter Luisa. Dadurch habe ich viel Abwechslun­g und Beschäftig­ung. Meine Eltern in Oberstdorf habe ich auch gesehen, aber mit ihnen sitze ich am Tisch und schaue, dass ich die Abmengeleg­t. stände wahre. Das ist mühsam, aber ansonsten bleibt eh wenig Zeit für andere Kontakte.

Corona hat auch sonst ziemlich viel verändert. Wie erleben Sie das?

Eisenbichl­er: Für mich persönlich ist es sogar etwas angenehmer, weil durch die Kontaktbes­chränkunge­n und die fehlenden Zuschauer nicht so viel Trubel an der Schanze ist. Es hat eher den Flair von Trainingss­prüngen, da mache ich mir nicht ganz so viel Druck. Natürlich ist es bei der Tournee oder jetzt bei der WM mit Zuschauern schöner und es pusht mich noch etwas mehr. Generell aber ist es für mich entspannte­r, da auch viele Medienterm­ine nur noch virtuell oder per Telefon stattfinde­n. Dadurch ist an der Schanze nicht mehr der ganz große Zirkus und ich kann mich besser auf mich konzentrie­ren.

Geiger: Für mich ist der einzige Vorteil, dass man bei Wettkämpfe­n schnell zur Schanze und danach wieder ins Hotel fahren kann. Aber ich vermisse die schönen Momente mit dem Publikum schon sehr.

Dennoch werden Springen ohne Zuschauer fast schon zur Gewohnheit.

Geiger: Es ist schon schade. Das Traurige ist, dass man sich als Springer allmählich daran gewöhnt. Aber da müssen wir durch und hoffen, dass in der kommenden Saison wieder alles wie gewohnt wird. Eisenbichl­er: Wenn in Oberstdorf das Stadion voll ist, ist das eine überragend­e Stimmung. Es wäre eine Wahnsinns-WM geworden mit Fans. Aber es bringt nichts, die Zeiten sind leider so. Damit müssen wir jetzt klarkommen und nicht immer nur jammern.

Welche sportliche­n Erwartunge­n haben Sie an die Heim-WM?

Geiger: Mein Ziel ist es, anzugreife­n. Ich will gute Sprünge zeigen und vorne mitmischen.

Eisenbichl­er: Mir geht es darum, dass ich gut springe. Und was rauskommt, kommt raus. Ich habe jetzt schon sieben WM-Medaillen gesammelt. Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt nur eine bekomme. Deshalb ist alles, was kommt, Zugabe. Natürlich will ich mit dem Team eine Medaille holen, das spiegelt die ganze Arbeit des Teams wider.

Was ist neben der Team-Medaille noch Ihr großer Wunsch?

Eisenbichl­er: Mehr als zufrieden wäre ich, wenn ich eine EinzelMeda­ille hole. Ich schaue, dass ich gut springe. Die anderen sollen sich verrückt machen, weil WM ist. Es ist auch nur ein normaler Wettkampf. Ich war bei der WM schon immer gut, deshalb habe ich überhaupt keinen Druck und genieße die schönen Schanzen in Oberstdorf.

Das heißt, Sie mögen die Schanzen in Oberstdorf?

Eisenbichl­er: Ja, sehr. Beide haben einen Charakter und sind anders als die ganz modernen Schanzen. Der Druck baut sich im Anlauf auf, man hat das Gefühl, es katapultie­rt einen in den Flug raus. Man kann sehr aggressiv springen, das gefällt mir. Und es ist eine Trainingss­chanze von mir, auf der ich schon viele Sprünge gemacht habe. Ich kenne sie in- und auswendig. Wobei das nicht bedeutet, dass man am Tag X automatisc­h super ist. Aber es schafft gute Voraussetz­ungen.

Geiger: Ich würde nicht sagen, dass mir die Schanzen in Oberstdorf gut liegen, aber ich bin die vergangene­n zwei Mal extrem gut gesprungen. Das Auftaktspr­ingen der Vierschanz­entournee im Dezember habe ich ja gewonnen. Ich mag aber das Stadion sehr. Auf jeder der fünf Schanzen habe ich zusammen schon tausende Sprünge absolviert. Ich freue mich einfach auf die Wettkämpfe zu Hause. Die Schanzen sind nicht ganz einfach, aber jetzt gilt es, Vollgas zu geben.

Der Druck bei einer Heim-WM kann groß sein. Verfolgen Sie, was über Sie geschriebe­n wird?

Eisenbichl­er: Selten. Ab und zu, wenn mir meine Mama etwas unter die Nase hält. Generell versuche ich, etwas Abstand zu halten. Ich lese ungern über mich selbst, das hat oft was mit Selbstverl­iebtheit zu tun.

Vielleicht führt ja Ihre Mutter ein Archiv, was sie Ihnen irgendwann mal schenkt.

Eisenbichl­er: Da bin ich mir ziemlich sicher, dass sie ein Archiv führt. Aber ich hoffe, dass sie mir es jetzt noch nicht schenkt. Und wenn doch, wird es irgendwo verstaut und nicht gelesen. Vielleicht kann ich es ja mal meinen Kindern zeigen, wenn ich welche habe.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Markus Eisenbichl­er (rechts) ist eher der emotionale Typ, Karl Geiger der etwas ruhigere. Beide sind nun bei der Heim‰WM in Oberstdorf am Start.
Foto: Ralf Lienert Markus Eisenbichl­er (rechts) ist eher der emotionale Typ, Karl Geiger der etwas ruhigere. Beide sind nun bei der Heim‰WM in Oberstdorf am Start.

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