Wie wir leben wollen
Die Professorin für Moraltheologie Kerstin Schlögl-Flierl im Gespräch über ihr Ehrenamt im Deutschen Ethikrat
Wenn gesellschaftliche Fragen heikel werden, ethische Dilemmata die Fraktionen spalten und Juristen Neuland betreten, kommt der Deutsche Ethikrat ins Spiel. Er bietet ethisch-moralische Orientierung, Denkanstöße zur Meinungsfindung und ordnet Themen ein. Kerstin Schlögl-Flierl, Professorin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg, ist Mitglied dieses Sachverständigenrates.
Was macht der Deutsche Ethikrat?
Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl: Wir beschäftigen uns mit ethischen, gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Fragen, insbesondere solchen, die sich aus den Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf Menschen ergeben, zum Beispiel Reproduktionsmedizin oder Roboter in der Pflege. Wir beziehen zu diesen Fragen Stellung und geben der Politik Empfehlungen. Was wir sagen und erklären, soll jedoch für alle verständlich und nachvollziehbar sein. Das ist uns sehr wichtig.
Derzeit sind wir 24 Mitglieder, natürlich viele Ethiker und
Ethikerinnen, aber auch Expertinnen und Experten aus den Naturwissenschaften, der Medizin und der Rechtswissenschaft. Weltanschaulich und religiös sind wir divers: eine Islam-Theologin arbeitet ebenso unter uns wie der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Nicht-Gläubige und einige christliche Theologinnen und Theologen.
Womit beschäftigt er sich?
Schlögl-Flierl: Es sind oft die großen Fragen unserer Zeit, die so komplex oder so berührend sind, dass es keine leichten Antworten gibt. Häufig wirft der wissenschaftliche oder technische Fortschritt Fragen auf, die rechtlich noch ungelöst sind. Ist der Hirntod der Todeszeitpunkt des Menschen? Soll es eine Impfpflicht geben? Dürfen im Namen der Forschung Mensch-Tier-Mischwesen kreiert werden? Teils werden wir von der Politik angefragt, zum Beispiel bei der Stellungnahme zum Thema Impfstoffverteilung. Zusätzlich setzen wir uns selbst eine Agenda. Jeweils zu Beginn einer neuen Amtszeit, die vier Jahre dauert, suchen wir Themen aus, mit denen wir uns im Rahmen von Veranstaltungen oder Stellungnahmen
beschäftigen möchten. Aktuell sind es das Mensch-Maschine-Verhältnis, Suizidbeihilfe und Ernährungsverantwortung. Themen wie die ethischen Fragen rund um die Pandemie ergeben sich freilich tagesaktuell. Unsere Arbeitsgruppe „Pandemie“beschäftigt sich gerade mit der Frage, ob für Geimpfte besondere Regeln gelten sollen.
Wie dient das der Öffentlichkeit?
Schlögl-Flierl: Anders als in der politischen Debatte geht es bei uns nicht vordergründig darum, einen Konsens zu finden. Wir stellen mögliche Perspektiven auf eine Frage dar, zeigen Hintergründe, Argumentationswege und die dahinterliegenden Prinzipien. Damit kann man sich seine eigene Meinung bilden, sich aber auch daran reiben. Das ist für mich persönlich nicht nur unglaublich spannend, es bereichert auch meine Arbeit. Meine Blickwinkel werden vielfältiger.
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