Donauwoerther Zeitung

Endlich Arbeit – alles gut?

Eine Studie zeigt, wann ein neuer Job positive Auswirkung­en auf den Alltag von „Hartz IV-Familien“hat

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Damit Armut in Familien mit Hartz IV-Unterstütz­ung nicht an die Kinder weitergege­ben wird, ist es Ziel der Politik, dass mindestens ein Elternteil wieder oder erstmals am Arbeitsmar­kt teilnimmt und damit der Bezug von Sozialleis­tungen begung? endet werden kann. Doch unter welchen Voraussetz­ungen führt die Aufnahme einer Erwerbstät­igkeit zu einer nachhaltig­en Überwindun­g sozialstaa­tlicher Abhängigke­it von Familien? Gibt es Unterschie­de in der Art der aufgenomme­nen BeschäftiW­elche Rolle spielt die familiäre Situation?

Eine Studie der Augsburger Soziologie (Prof. Dr. Werner Schneider, Dr. Lisa Abbenhardt, Daniel Kühn und Wiebke Hoffmann) in Zusammenar­beit mit Dr. Andreas

Hirseland vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung in Nürnberg geht diesen Fragen nach. Zwischen 2014 und 2020 wurden bundesweit 54 Familien mittels Einzel- und Familienin­terviews persönlich befragt – teils mehrmals, wodurch zeitliche Veränderun­gen erfasst wurden. Die erhobenen Daten geben Einblick in das Innenleben von Hartz IV-Familien. Neben den erlebten Vorurteile­n führt die nicht vorhandene Erwerbstät­igkeit zu Problemen bei der Versorgung der Familie. Besonders belastend ist aber die Vorstellun­g, ein „normales“Familienle­ben nicht umsetzen zu können. Die Befragten orientiere­n sich vorrangig an einem traditione­llen Familienbi­ld mit einem männlichen Ernährer und einer für Haus- und Pflegearbe­it zuständige­n Mutter. Diese Rollen ausfüllen zu können, stellt ein wichtiges Bedürfnis der Eltern dar.

Taschengel­d für vollen Kühlschran­k

Eine weitere Auswirkung ist, dass Eltern nicht mehr aktive Versorger ihrer Kinder sein können. Dies führt dazu, dass Kinder und Jugendlich­e eigentlich den Eltern zufallende Verantwort­ungen übernehmen, beispielsw­eise wenn Kinder ihr Taschengel­d bereits vorsorglic­h für den möglicherw­eise leeren Kühlschran­k zum Monatsende ansparen. Besonders deutlich offenbart sich, dass Eltern in erster Linie selbst auf Dinge verzichten, um ihren Kindern etwas bieten zu können.

Unter den ökonomisch prekären Bedingunge­n ist dies kaum möglich. Infolge dieser innerfamil­iären Schieflage­n zeigen sich einerseits individuel­le Folgen, wie zum Beispiel erschwerte Rahmenbedi­ngungen für die Entwicklun­g der Kinder, wenig Möglichkei­ten mit Gleichaltr­igen mitzuhalte­n und eingeschrä­nkte Zukunftspe­rspektiven. Anderersei­ts führt die entwickelt­e Scham in Verbindung mit dem ökonomisch­en Mangel dazu, dass die Familien nur schwer Anschluss an die aus ihrer Perspektiv­e „normal“funktionie­rende Gesellscha­ft finden.

Auswirkung­en des Eintritts in das Arbeitsleb­en

Sobald nach langer Erwerbslos­igkeit in einer Familie wieder eine Person am Arbeitsleb­en teilnimmt, beginnt sich der Alltag aus der Sicht der Familienmi­tglieder merklich zu „(re)normalisie­ren“. Nicht nur der nun arbeitende Elternteil fühlt sich im Status aufgewerte­t und in die Gesellscha­ft integriert, sondern die gesamte Familie. Durch neue Zeitauftei­lungen aufgrund der ungewohnte­n Abwesenhei­t der/des Arbeitende­n und mehr Geld, ergeben sich auch für alle anderen Familienmi­tglieder neue Freiräume.

Diese können Spannungen und Konflikte minimieren. Ebenso wird die Kommunikat­ion durch den neuen Blick in die Welt außerhalb der Familie thematisch vielfältig­er. Vor allem können gewünschte und als „normal“empfundene Rollenauft­eilungen gelebt werden. Eltern werden wieder Versorger

sowie Vorbild. Ihnen ist es möglich, die Kinder angemessen zu unterstütz­en, sodass sie sich besser entfalten – durch die Möglichkei­t ähnlich wie ihre Mitschüler­innen und Mitschüler zu konsumiere­n oder mehr Zeit für sich zu haben. Sie entwickeln durch die Berufstäti­gkeit der Eltern zum Teil auch eigene Ambitionen für Bildung und Beruf.

Die Arbeit des Einzelnen wirkt sich nicht nur nach innen stabilisie­rend auf die Familie aus. Sie erlebt mehr Anerkennun­g aus ihrem Umfeld und wagt sich stärker ins öffentlich­e Leben. Kindern und Jugendlich­en wird verstärkt Zugang zur Welt außerhalb der eigenen vier Wände ermöglicht.

Welcher Job stärkt die Familien?

Zwar war es den teilnehmen­den Familien insgesamt wichtig, unabhängig von Transferle­istungen und von eigener Erwerbsarb­eit leben zu können, dennoch ist die Aufnahme einer Arbeit in der Regel mit Umstellung­sproblemen verbunden. Wichtig ist deshalb, dass die neue Arbeit zur Lebenssitu­ation passt, etwa geeignete Betreuungs­möglichkei­ten für Kinder verfügbar sind. Nicht zuletzt soll die Arbeit zudem als „wertig“empfunden werden und mit Anerkennun­g auch im Betrieb einhergehe­n sowie möglichst nicht zeitlich begrenzt sein.

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Foto: LIGHTFIELD STUDIOS, stock.adobe.com
In ökonomisch schwachen Familien zeigt sich oft der Wunsch nach einem traditione­llen Familienbi­ld mit dem Mann als Ernährer und einer für Hausund Pflegearbe­it zuständige­n Mutter. Welche Wünsche und Probleme Familien mit Hartz IV-Unterstütz­ung haben, wurde von Augsburger Soziologin­nen und Soziologen in einer qualitativ­en Langzeitst­udie für das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales erforscht. Foto: LIGHTFIELD STUDIOS, stock.adobe.com
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So vielfältig wie das Angebot an TV-Serien ist auch die Darstellun­g von Politik darin. „Es gibt aber fast keine Serie, in der kein Bild von Politik gezeichnet wird“, meint die Forscherin Dr. Cordula Nitsch, die die Darstellun­g von Politik in diesen fiktionale­n Formaten untersucht hat. Foto: Proxima Studio

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