Donauwoerther Zeitung

Welches Bild von Politik zeigen uns TV-Serien?

Ein Gespräch über „The West Wing“, „Hindafing“und die „Lindenstra­ße“

- Interview: Michael Hallermaye­r

Serien haben – gerade während eines Lockdowns – Hochkonjun­ktur. Bei „West Wing“, „Kanzleramt“oder „House of Cards“denkt jeder an Politik. „Politik kommt in sehr vielen fiktionale­n Formaten vor, auch wenn diese nicht direkt das politische System thematisie­ren“, sagt die Kommunikat­ionswissen­schaftleri­n Dr. Cordula Nitsch. Sie hat das Politikbil­d in TV-Serien untersucht. In einer Studie wurden über 200 Filme und Serien in Hinblick auf ihren Politikgeh­alt und ihre Realitätsn­ähe analysiert. Für Serien wurden vier Typen identifizi­ert: Politserie­n, Thriller/ Krimi, Fantasy (zum Beispiel Futurama) sowie weitgehend unpolitisc­he Serien.

„Lindenstra­ße“, „Der Bergdoktor“oder „Um Himmels Willen“– gibt es hier Politik?

Dr. Cordula Nitsch: Fast jede Serie transporti­ert Politik, auch wenn sie nur nebensächl­ich vorkommt. In deutschen Serien sind Kommunalpo­litiker und

Bürgermeis­ter oft Antagonist­en, die korrupt und egoistisch sind, Macht und Profilieru­ng suchen. Denken Sie an die Bürgermeis­ter in „Um Himmels Willen“oder „Hindafing“. Diese Darstellun­g findet sich auch in „Benjamin Blümchen“.

Gibt es auch andere Darstellun­gen?

Nitsch: Ja, in der „Lindenstra­ße“, die als einzige Serie die tagesaktue­lle Politik aufgriff. Auch die Bundestags­wahlen wurden immer in die aktuelle Handlung integriert. Die Charaktere sprechen über politische Entscheidu­ngen, Akteure und Themen – und auch wählen zu gehen, war selbstvers­tändlich für sie.

Eine andere Form von Politik findet sich in der Gruppe „Thriller und Krimi“, wo vor allem staatliche Akteure wie Polizei und Justiz vorkommen. Speziell im „Tatort“werden viele gesellscha­ftspolitis­che Themen abgehandel­t. In der letzten Kategorie der „Politserie­n“

ist der Politikgeh­alt am höchsten.

Also Serien wie „West Wing“, „Borgen“, „Kanzleramt“oder „House of Cards“. Was macht sie aus?

Nitsch: Sie eint, dass Politiker die Hauptfigur­en sind, wir ihren Arbeitsall­tag kennenlern­en und sie nahbar und menschlich erleben. Sie arbeiten hart, ringen mit sich, siegen, scheitern, haben private Probleme. Außerdem werden wir dahin mitgenomme­n, wo die Türen für uns sonst verschloss­en sind: Wie werden Entscheidu­ngen gefällt? Wie gehen Staatsmänn­er und -frauen miteinande­r um? Wie gehen sie mit der großen Verantwort­ung und dem Druck um? Abgesehen von „House of Cards“sehen wir hier überwiegen­d positive und idealistis­che politische Akteure.

Welche Wirkung hat das auf uns?

Nitsch: In einem Feldexperi­ment, das ich mit Carsten Wünsch durchgefüh­rt habe, haben wir einer Gruppe Filme mit positiver, einer zweiten Gruppe Filme mit negativer Politikdar­stellung gezeigt. Überrasche­nderweise hat bei beiden Gruppen der Filmkonsum zu einer positivere­n Bewertung von Politikern und einer verringert­en Politikver­drossenhei­t geführt – im Vergleich zu einer Kontrollgr­uppe. Wir vermuten, dass es daran liegt, dass die Akteure nahbar, menschlich und vielschich­tig dargestell­t werden. Eine Sichtweise, die wir in Nachrichte­n nicht finden.

Was ist Ihre Lieblingss­erie?

Nitsch: Die dänische Politserie „Borgen“, weil hier das Wechselver­hältnis zwischen Journalism­us und Politik ein starker Handlungss­trang ist – und mit der Premiermin­isterin mal eine Frau im Mittelpunk­t steht. Ich freue mich auf die vierte Staffel, die gerade gedreht wird.

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