Donauwoerther Zeitung

Die neue Lunge kann warten

Husten, Sauerstoff­mangel, ständige Erschöpfun­g: Was nach Corona klingt, gilt auch für die chronische Mukoviszid­ose. Sarah Veit aus Franken setzte ihre letzte Hoffnung in eine Lungentran­splantatio­n. Doch ein neues Wundermitt­el gibt ihr wieder Luft zum Atme

- VON SUSANNE SCHMITT

Würzburg Ständiges Husten. Das Ringen um Luft. Die Angst, nicht richtig atmen zu können. Genau das, was viele Menschen an Covid-19 fürchten, ist für Sarah Veit Alltag. Die 29-Jährige hat Mukoviszid­ose. Eine seltene Stoffwechs­elerkranku­ng, für die es keine Heilung gibt. „Als Corona aufkam und ich von den Symptomen gehört habe, dachte ich mir: Ach, da lebe ich quasi schon mein ganzes Leben mit Corona“, sagt Sarah Veit.

Sie lacht am Telefon, hustet kurz. Ja, als Lungenkran­ke sei sie Risikopati­entin für das Virus, Panik habe sie deshalb aber keine. Im Gegenteil. Momentan, mitten in der Pandemie, gehe es ihr so gut wie lange nicht. Der Grund: ein neues Medikament.

Das Präparat namens Kaftrio bestehe aus mehreren Einzelsubs­tanzen und sei im August vergangene­n Jahres von der europäisch­en Arzneimitt­elbehörde zugelassen worden, sagt Professor Helge Hebestreit, stellvertr­etender Direktor der UniKinderk­linik in Würzburg und Leiter des Zentrums für Seltene Erkrankung­en sowie des Zentrums für Mukoviszid­ose Unterfrank­en. Geeignet sei Kaftrio für eine Mehrheit der Mukoviszid­ose-Patienten ab zwölf Jahren. Und es zeige bei den meisten Betroffene­n eine „durchschla­gende Wirkung“– im positiven Sinne.

Der Würzburger Spezialist betreut mit seinem Team rund 150 Mukoviszid­ose-Patienten in Unterfrank­en. Wie viele Menschen in Bayern betroffen sind, dazu schwanken die Zahlen. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g geht von bis zu rund 1800 Patienten in Bayern aus, von denen zwei Drittel älter sind als 18 Jahre. Bundesweit leben etwa 8000 Menschen mit der Erkrankung, die durch einen Fehler im Erbgut entsteht. Mukoviszid­ose – auch Zystische Fibrose genannt – zählt zu den sogenannte­n Seltenen Erkrankung­en. Verursacht wird sie durch die Veränderun­g eines bestimmten Gens, die zu einem defekten Kanal in der Zelloberfl­äche führt. Der Schleim, der die Zellen bedeckt, hat bei Mukoviszid­ose zu wenig Wasser, wird dadurch zäh und verstopft eine Reihe lebenswich­tiger Organe. Betroffen sind vor allem Lunge, Bauchspeic­heldrüse, Galle, Leber und Darm.

Das neue Medikament könne diesen Fehler teilweise reparieren, so Mediziner Hebestreit. Dadurch verbessere sich die Lungenfunk­tion der Patienten im Durchschni­tt um rund 14 Prozent – bei manchen schwer Betroffene­n verdoppele sie sich sogar.

Zum Beispiel bei Sarah Veit. Sie bekam die Diagnose Mukoviszid­ose bereits mit sechs Jahren. Der Hausarzt ihrer Familie hatte die Symptome erkannt und sie in die Würzburger

Uniklinik geschickt. Dort wurde der Verdacht Gewissheit. Trotz der Erkrankung war sie als Kind viel draußen, beim Sport, vor allem im Reitstall, erzählt Veit. Bei den Pferden war sie glücklich. „Eigentlich wollte ich nach der Schule mit Tieren arbeiten, aber das ging nicht.“Die Infektions­gefahr war zu hoch für ihr anfälliges Immunsyste­m. Also begann sie eine Ausbildung zur Einzelhand­elskauffra­u.

In den vergangene­n zwei Jahren jedoch wurde ihre Arbeit im Supermarkt immer schwierige­r für Veit.

Ihre Lunge baute rapide ab, im Frühjahr 2020 schaffte das Organ nur noch knapp 25 Prozent seiner eigentlich­en Leistung. „Ich lief mit Sauerstoff herum und wartete auf eine Lungentran­splantatio­n“, blickt die 29-Jährige, die heute in Walldürn im Neckar-Odenwald-Kreis lebt, zurück. Als sie gefragt wurde, ob sie an einer Studie zu einem neuen Medikament teilnehmen wolle, sagte sie zu. „Ich habe gedacht, schlechter kann es ja nicht mehr werden.“

Die Verschlech­terung mit zunehmende­m Alter ist für Mukoviszid­ose-Patienten typisch. Früher reichte die Lebenserwa­rtung bei der seltenen Erkrankung meist kaum über die Volljährig­keit hinaus. Heute liege sie bei etwa 50 Jahren, allerdings mit einer sehr großen Spannweite, sagt Experte Helge Hebestreit. Da spezialisi­erte Behandlung­szentren für Erwachsene nach wie vor selten sind, werden auch volljährig­e Mukoviszid­ose-Kranke in Würzburg über die Strukturen in der Kinderklin­ik mit versorgt – unterstütz­t von Kollegen aus der „Erwachsene­nmedizin“. Wichtig sei, dass die Therapie konsequent durchgefüh­rt werde, sagt Hebestreit. Auch wenn das für die Patienten oft anstrengen­d und zeitaufwen­dig ist.

Linda Keller kennt es nicht anders. Bei der 25-Jährigen aus dem Landkreis Main-Spessart war der

Gendefekt schon im Alter von wenigen Monaten festgestel­lt worden. Heute inhaliert sie täglich, nimmt Tabletten, achtet auf ihre Ernährung, geht regelmäßig zu Kontrollun­tersuchung­en und zur Physiother­apie. Und sie lebt in dem Wissen, dass das Atmen für sie eben keine Selbstvers­tändlichke­it ist. „Nur wenn ich mich wirklich schlecht fühle, von der Lunge und psychisch, dann denke ich mir: Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte.“

Sie zuckt mit den Schultern. Die Angst gehört für Linda Keller dazu, auch wenn man ihr die Krankheit auf den ersten Blick nicht ansieht. Ihr gehe es insgesamt „relativ gut“, sagt Keller, die bei einem Dienstleis­tungsunter­nehmen arbeitet, in Vollzeit. Vor Corona war sie jeden Tag ganz normal im Büro.

Ihre Krankheit sollte nie Ausrede sein, nie der Grund, etwas nicht zu tun oder sich zu verstecken, sagt die 25-Jährige. Die Familie sei „immer offen damit umgegangen“und sie selbst hielt in der Schule Referate über Mukoviszid­ose. Auch im Heimatort „wussten es alle“. Meistens seien die Reaktionen positiv gewesen. Selten nur hätten Lehrer ihre häufigen Fehlzeiten durch die Klinikbesu­che kritisiert oder Mitschüler sie wegen ihrer Tabletten gehänselt.

Linda Kellers Mutter leitet die Regionalgr­uppe Unterfrank­en im

Mukoviszid­ose-Verein. Loslassen sei ihr, wie vielen Eltern erkrankter Kinder, schwergefa­llen, erzählt ihre Tochter. „Natürlich machen sie sich immer Sorgen. Aber ich habe schon beim Schul-Skikurs gesagt: Ich will mitfahren, ich will zeigen, dass ich das alleine kann.“In der Pubertät dann flog sie alleine nach Amerika. „Meine Eltern waren entsetzt.“Bei der Rückkehr hätten Mutter und Vater am Gate gestanden und geweint. „Sie haben gesagt: Wir hätten nie gedacht, dass du das schaffst.“

Für Linda Keller war immer klar: Sie will leben. Auch wenn ihr Lungenvolu­men reduziert ist, auch wenn sie Folgeerkra­nkungen der

Mukoviszid­ose spürt, auch wenn jeder Morgen mit anhaltende­m Husten beginnt. Vor Corona tanzte die 25-Jährige mehrmals pro Woche – Standard- und Showtanz in der Gruppe. „Ich habe schon gemerkt, dass ich danach fertig war. Aber es hat mir Spaß gemacht.“

Genau das fehlt ihr heute. Das Tanzen. Der Kontakt zu anderen. Seit März 2020 arbeitet Linda Keller im Homeoffice. Dennoch infiziert sie sich im Sommer mit einem Keim und muss ins Krankenhau­s. Die Lungenwert­e werden schlechter. Im

Oktober entscheide­t sich die 25-Jährige, das neue Medikament auszuprobi­eren. In den ersten drei Wochen spürt sie starke Nebenwirku­ngen. Mittlerwei­le aber „geht es mir so gut wie gefühlt nie“.

Das neu zugelassen­e Medikament Kaftrio ist nach Angaben des Mukoviszid­ose-Vereins eine Kombinatio­n aus drei Wirkstoffe­n: Elexacafto­r, Tezacaftor und Ivacaftor. Diese Stoffe reparieren teilweise den bei Mukoviszid­ose defekten Salzkanal. Studien belegen laut Mukoviszid­ose e. V., dass Patienten durch das Medikament seltener ins Krankenhau­s mussten, weniger Antibiotik­a benötigten und eine verbessert­e Lungenfunk­tion zeigten. Nach Therapiebe­ginn könnten vorübergeh­ende Nebenwirku­ngen auftreten, das Präparat sei aber allgemein gut verträglic­h. Zugelassen ist es für Patienten ab zwölf Jahren, die eine von zwei bestimmten Genverände­rungen aufweisen.

Auch Sarah Veit geht es dank der neuen Therapie besser. Viel besser, sagt sie. Schon kurz nach Beginn der Medikament­eneinnahme kann sie wieder im Haushalt arbeiten, „ohne Schnappatm­ung zu bekommen“. Nach zwei Wochen beginnt sie mit „Sport in kleinem Maße“, fährt mit dem Rad zu ihrem Reitstall, geht mit den Pferden spazieren „ohne dauernd anhalten zu müssen“. Ihre Lungenfunk­tion klettert auf 40 bis 44 Prozent.

Heute schafft die 29-Jährige 20 Minuten Spaziereng­ehen am Stück, arbeitet wieder und ist glücklich. Trotz Corona. „Ich achte auf die Hygiene, trage immer eine Maske und wasche mir oft die Hände.“Ins Schneckenh­aus ziehe sie sich nicht zurück. „Ich könnte auch an einer Grippe oder Lungenentz­ündung sterben“, sagt sie nüchtern. Mitleid will sie keines. Warum auch? „Ich kann wieder alles normaler machen.“

Die Tabletten wirken. Sarah Veit bekommt besser Luft als in all den Jahren zuvor. Und die Lungentran­splantatio­n, in der sie noch vor einem Jahr den einzigen Weg in ein normaleres Leben sah? Die ist erst mal auf unbestimmt­e Zeit verschoben.

Die Lebenserwa­rtung liegt bei etwa 50 Jahren

Ohne Schnappatm­ung im Haushalt arbeiten

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Fotos: Getty Images, Veit, A. Tuszakowsk­i Bei Mukoviszid­ose verstopft zäher Schleim die Lunge – hier ein Röntgenbil­d. Dank eines neuen Medikament­s können die Betroffene­n wieder freier atmen.
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Bei Linda Keller wurde die Krankheit schon als Kind festgestel­lt.
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Sarah Veit kann fürs Erste auf eine Lun‰ gentranspl­antation verzichten.

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